Die aktuellen Ereignisse in Israel und Gaza haben auch die Zentrale Reformationsfeier des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region in der Trinitatiskirche geprägt. „Wir kommen zusammen in bewegter Zeit. Atemlos verfolgen wir die tägliche Nachrichtenentwicklung in Israel und Gaza. Wir sind entsetzt über die Opfer des schrecklichen Massakers der Hamas in Israel. Wir stehen als Kirchen und als Gesellschaft an der Seite unserer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in unserer Stadt und zeigen das auch klar“, sagte Stadtsuperintendent Bernhard Seiger zur Begrüßung der Gäste in der gut besetzten Kirche.
Man trauere um die Opfer auf beiden Seiten. „Wir sehen die Komplexität des politischen und ethischen Konflikts. Wir sind in großer Sorge um die weitere internationale Entwicklung. Wir versuchen, die Sicht der verschiedenen Seiten wahrzunehmen. Wir spüren die Tragik und unsere Unsicherheit und unsere Ohnmacht.“ Und suche Schutz in Gottes Haus, suche nach Wegen, Worten und Orientierung, nach Schutz für die aufgewühlten Seelen. Seiger verwies auch auf den Krieg in der Ukraine.
Eine weitere weltweite Krise sei der Klimawandel. „Wir sehen die Naturkatastrophen, die Zunahme von Wetterextremen, die Ausbreitung von Dürren und den Nahrungsmangel in der südlichen Hemisphäre. Die Abholzung von Wäldern und der CO2-Ausstoß sind wesentliche Ursachen dafür.“ Von der jungen Generation würden zu Recht unangenehme Fragen nach der Bewahrung der Schöpfung gestellt. Es gelte Antworten zu finden auf die Frage: „Wie können wir mit Blick auf folgende Generationen verantwortungsvoll leben und es tun, ohne dabei die reformatorische Botschaft von der Freiheit eines Christenmenschen aufzugeben?“
Bewegende Worte fand Pfarrerin Charlotte Horn zum Thema in einem Impuls vor der Predigt. Horn unterrichtet evangelische Religionslehre an der Erzbischöflichen Ursulinenschule und ist Pfarrerin der rheinischen Landeskirche. „In Pakistan gab es 2022 die schwerste Flut seit den Wetteraufzeichnungen. Während in Deutschland Klima-Aktivisten kriminalisiert werden, läuft den Menschen in Pakistan die Zeit davon.“ Es wurde ein Brief von Lars Werner verlesen, der eine mehrmonatige Haftstrafe verbüßt, weil er sich auf eine Straße geklebt hat: „Ich sehe mich im Gefängnis nicht als Opfer. Habe ich doch mein Schicksal selbst in die Hand nehmen können. Und ich habe ein Dach über dem Kopf. Nicht wie die 30 Millionen in Pakistan, die ihres bei der Flut verloren haben.“ Der Club of Rome habe schon in den 70er Jahren vor den katastrophalen Folgen ungebremsten Wirtschaftswachstum gewarnt, erinnerte Horn.
„Wer will ich einmal gewesen sein?“
„Wir Boomer hätten es wissen müssen. Die sogenannte ,Letzte Generation‘ ist ja nicht die Generation vor dem Kipp-Punkt, sondern die zwischen den Kipp-Punkten.“ Horn nannte das Buch „Hoffnung durch Handeln“ von Joanna Macy als Beispiel für den Umgang mit den Schuldgefühlen der Boomer. „Wenn Menschen sich dem Strom ihres Lebens öffnen, fällt ihnen eine Last von den Schultern. Die Tiefe ist schwarz, aber nicht bodenlos.“ Horn hat neben einer festgeklebten Kirchenmusikerin und Klima-Aktivistin auf der Straße gesessen. Die habe die entscheidende Frage gestellt: „Wer will ich einmal gewesen sein?“ Diese Frage müsse sich jeder selbst stellen. Aber: „Erfolgsgarantie war noch nie eine prophetsiche Kategorie.“
Predigt Dr. Wibke Janssen zum Reformationstag 2023 (Download)
Die Predigt im Reformationsgotttesdienst hielt Oberkirchenrätin Dr. Wibke Janssen, in der Landeskirchenleitung zuständig für Theologie und Ökumene sowie für die vier Kölner Kirchenkreise: „Liebe Gemeinde, ganz klar: Die Predigt, die wir vor neun Monaten für diesen Gottesdienst vereinbart hatten, muss ich heute anders halten. ,Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Land erben‘ sollte ich bedenken, mit Fokus auf die Bewahrung der Schöpfung und die unterschiedlichen Wege, die Menschen dazu für richtig halten. Nach dem brutalen Angriff der Hamas auf Israel vor 24 Tagen steht das Thema ,Land‘ noch in einer anderen, unendlich bitteren Dimension im Raum. Gleichzeitig bleibt die Klimakrise Wirklichkeit.“ Der Reformationstag rufe in ein Spannungsfeld von Widerstand gegen etwas, das unbedingt anders werden müsse, und pro-testare, also Zeugnis ablegend für etwas.
„Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Land erben.“
Mit Bezug auf die Bergpredigt und die Worte „Selig sind…“, erklärte die Oberkirchenrätin: „Jesus wendet sich den Verunsicherten zu, die an Gott zweifeln und den Traurigen, den Trauernden, die sich nach Trost sehnen.“ Und er rufe auf: mit einem Hunger nach Gerechtigkeit, mit den Aufgaben, Frieden zu stiften und aktiv zu werden für die gerechte Sache. „Politische Themen. Wir sind mittendrin, in Gefühlen und Fragestellungen, zu denen Jesus vor langer Zeit lehrt, und die uns heute sehr bewegen.“ Und weiter: „,Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Land erben.‘ Ein sanftes Gemüt, das auf Einmütigkeit setzt, macht friedliches Land-Erbe wahrscheinlich. Haltung, die auf Verständigung, nicht auf Behauptung angelegt ist, lässt auf gute Nachbarschaft hoffen. Wer hingebungsvoll sein Tagwerk tut, wird Land, das ihm/ihr zuteil wird, bestellen, für gute Ernte sorgen und zum Wohl aller beitragen. Wer wahrnehmend und respektvoll auf der Erde unterwegs ist, wird die Schöpfung nicht schädigen, sondern bewahren.“
Die Grenzen dieses Modells würden beim Konflikt zwischen Palästina und Israel deutlich. Juden und Jüdinnen seien mit ein unvorstellbar grausamen Gegenbild von Sanftmut konfrontiert. Und gemünzt auf die Klimakrise: „,Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Land erben.‘ – ,Da gibt es irgendwann, bald, nichts mehr zu erben‘ ist der Einwand der ,Letzten Generation‘. Die Sanftmütigkeit mit der Schöpfung, die nötig wäre, um die Klimakrise auf dem Weg in die Klimakatastrophe deutlich zu bremsen, tritt einfach nicht ein. Trotz besserer Einsicht, trotz wissenschaftlicher Absicherung, die Wende geschieht nur bedingt, zu langsam, zu wenig.“ Sanftmut habe Grenzen. Oft könne man sie nicht gewährleisten.
„Und doch! Ich bin tief berührt, in Stimmen von Überlebenden und von Angehörigen der Opfer des terroristischen Überfalls auf Israel zu hören, dass für sie durch weitere Gewalt keine Lösung gefunden werden kann. Ich bin beeindruckt, wenn hier in Köln Vertreter von vier muslimischen Verbänden die Synagoge und ihre Gemeinde besuchen und sich von der Gewalt der Hamas distanzieren. Ich sehe Einsicht und Mut, anders zu ackern, zu essen, zu reisen, zu heizen, zu produzieren. Ich erlebe herausfordernde Beschlüsse und Entscheidungen in unserer Kirche, die dem Klima dienen. Der Mensch kann Sanftmut, aber: der Mensch kann auch ganz und ganz erschreckend anders.“
„Reich der Himmel“
Zurück zum Land, das die Sanftmütigen erben. Das könne man nicht kaufen, nicht mit einem Vertrag in Besitz nehmen. „Ich weiß deshalb, dass der Boden, auf dem ich stehe, nicht wirklich mir gehört, auch, wenn ich im Grundbuch stehe. Ich weiß, dass ich nicht aus meiner Kraft entstanden bin, sondern mich verdanke. Ich weiß um meine Grenzen und Abgründe.“ Demut vor Gott, die nichts damit zu tun habe, sich zu ducken oder klein zu machen, bewahre vor Größenwahn und fördere die Sanftmut. Jesus eröffne das „Reich der Himmel“, ein Land, in dem die Güter der Erde so gerecht verteilt seien, dass alle satt würden, alle, an allen Orten, nachhaltig, alle Generationen und in dem Gegensätze nebeneinanderstehen könnten, ohne sich zu beeinträchtigen. „Unfassbar, wir sind ja schon froh, wenn wir Gegensätze vorübergehend aushalten.“
Politik machen könne man mit der Bergpredigt indes nicht. „Ich kriege sie nicht in den Griff, ich kann sie nicht handhaben. Nur durch die Bergpredigt hindurch kann ich zu persönlichen und politischen Entscheidungen kommen. Durch sie hindurch mit aller Mühe (es geht bergauf) und Konfusion, die das bedeutet.“ Janssen riet, sich mit Jesu Worten von Land zu befassen, um die Hoffnung nicht aufzugeben, dass beide auf eine Weise Land besitzen können, „die ich mir noch nicht vorstellen kann“.
„Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Land erben“. Sanftmütig seien die Menschen im Umgang mit der Erde und den Ressourcen wohl nicht. „Aus den Schöpfungsberichten der Bibel ist in weiten Teilen der Kirchengeschichte dem Menschen eine besondere Rolle zugedacht worden: Macht euch die Erde untertan, vermehrt euch, benennt Geschöpfe. Anders ausgedrückt: Es geht vor allem um dich, Mensch, nimm dir, was du brauchst, breite dich aus, die Deutungshoheit über den Rest der Schöpfung liegt bei dir. Das ist eine Ideologie mit politischer Wirksamkeit.“ Die Dreiheit von Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung gelinge nicht. “ Vielleicht sollten wir dabei darüber nachdenken, die Reihenfolge umzustellen, wie Jesus es tut, der in den Seligpreisungen die Möglichkeit, die Erde zu erben und zu erhalten der Gerechtigkeit und dem Frieden voranstellt.“ Die „Letzte Generation“ signalisiere schon im Namen, dass es keinen Spielraum mehr gebe, es gehe um alles.
„Keine Sanftmut mehr, sondern Widerstand, gewaltfrei, aber unbequem und bewusst störend, für die höhere Sache. Die ,Letzte Generation‘ vollzieht eine Abkehr von der Sanftmut, um Sanftmütigkeit für die Schöpfung zu erkämpfen. Das Ziel teilen wir und die Motivation überzeugt. Die Mittel, die die ,Letzte Generation‘ nutzt, sehe ich kritisch, aber nicht so, dass es einem Dialog entgegenstehen könnte. Das, was durch die Praxis der Präventivhaft und Tendenz der Kriminalisierung geschieht, halte ich für ungerecht. Da sind wir als Kirche gefordert, seelsorglich sowieso und mit sehr genauem Hinschauen.“ Nötig sei allerdings auch der Dialog mit denen, die sich in den Maßnahmen zur Klimawende zurückgelassen fühlen: „Kirche im Auftrag der Sanftmütigkeit ist Raum für Gespräche über Meinungs- und Parteigrenzen, über unterschiedliche Zustimmungs- und Widerstandkulturen hinweg.“
Die Ökumene war vertreten durch Stadtdechant Monsignore Robert Kleine, der aus dem Matthäus-Evangelium las. Abraham Lehrer, Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, war ebenfalls der Einladung gefolgt. Musikalisch begleitet wurde der Gottesdienst an der Orgel von Kreiskantor Thomas Pehlken und dem Oratorienchor Köln unter der Leitung von Joachim Geibel. Stadtsuperintendent Seiger bedankte sich beim Vorbereitungskreis der Reformationsfeier und insbesondere bei Torsten Krall, Superintendent im Kirchenkreis Köln-Rechtsrheinisch, der sich für die Liturgie verantwortlich zeichnete.
Foto(s): Stefan Rahmann/APK