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Kindergedenkstätte Löwenbrunnen - Präses Dr. Thorsten Latzel

Internationaler Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust: Gedenkstunde am Löwenbrunnen – Erinnerung an die aus Köln deportierten und ermordeten Kinder

Bei anfangs „gewohnt schlechtem Wetter“ begrüßten Pfarrerin Ulrike Gebhardt und Adrian Stellmacher vom Arbeitskreis „Lern- und Gedenkort Jawne“ zur Gedenkstunde am Löwenbrunnen. Dort, in der Kölner City, setzten Schülerinnen und Schüler, Vertretende der Synagogen-Gemeinde Köln, der Stadt Köln, des Katholischen Stadtdekanates und des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region in Verbindung mit dem Arbeitskreis ein wichtiges Zeichen: Sie sprachen sich deutlich gegen Hass, Antisemitismus und Rassismus, gegen jede Form von Diskriminierung und Ausgrenzung aus. Da der 27. Januar in diesem Jahr auf einen Samstag fiel, verlegten die Organisatoren die Gedenkstunde auf den Vortag. Damit konnten auch Jüdinnen und Juden an der jährlichen Veranstaltung zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust in der Kölner City teilnehmen.

„Wir freuen uns sehr, dass Sie diese Arbeit würdigen“, wandte sich Gebhardt an Pfarrer Dr. Thorsten Latzel. Der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland nahm erstmals am Gedenken an der Kindergedenkstätte Löwenbrunnen teil. Damit wolle er die Erinnerungskultur stärken und den vermehrt wahrzunehmenden antisemitischen und insgesamt rechtsextremistischen Äußerungen entgegentreten, erläuterte er im kurzen Austausch mit Kirche Köln. Ebenso begrüßte Gebhardt den Stadtsuperintendenten Bernhard Seiger und sie dankte Rabbiner Yechiel Brukner, für den die Gedenkstunde eine Herzensangelegenheit sei. Die Pfarrerin wies hin auf die enorm wichtige Verbundenheit mit der Stadt Köln. Und stellte fest: „Es macht uns Mut, dass Schülerinnen und Schüler hierZeichen setzen. Das ist euer Ort.“ Schüler:innen von zwei Schulen und Mitglieder der Konfirmandengruppe der Evangelischen Dietrich-Bonhoeffer-Gemeinde Köln-Junkersdorf trugen Biografien vor. Einerseits von aus Köln deportierten und ermordeten jüdischen Kindern und Jugendlichen. Andererseits erinnerten sie an jüdische Heranwachsende, die vor nationalsozialistischer Verfolgung nach England, Palästina und in die USA fliehen konnten.

Mit der von Dieter und Irene Corbach initiierten Gedenkstätte auf dem Erich-Klibansky-Platz an der Helenenstraße wird namentlich der über 1.100 deportierten und ermordeten jüdischen Kinder und Jugendlichen aus Köln und Umgebung gedacht. Der achteckige Brunnen steht in unmittelbarer Nähe zum ehemaligen Areal des einstigen jüdischen Reform-Realgymnasium Jawne und der Synagoge der orthodoxen Gemeinde in Köln. Dort befand sich ein Zentrum jüdischen Lebens und Lernens.

„Es ist mir eine Ehre, zum ersten Mal hier bei dieser jährlichen Veranstaltung in Köln dabei zu sein“, sagte Latzel eingangs seiner Eröffnungsrede. Eine Ehre, diesen besonderen Ort kennenzulernen, der sich zu einem Erinnerungsort für Kinder und Jugendliche entwickelt habe. „Der Löwenbrunnen zeigt das in beeindruckender Weise“, wies er auf die dort dokumentierten Namen hin. Hier werde regelmäßig an Biographien von im Nationalsozialismus ermordeten oder auch geflüchteten Kindern erinnert. Und zwar aus der Sicht heutiger Kinder und Jugendlicher. Wenn wir aktuell von ermordeten jüdischen Kindern und Jugendlichen sprächen, könne man das nicht tun, ohne die aktuellen Geschehnisse in Israel und Palästina zu erwähnen. Er denke an die am 7. Oktober brutal ermordeten Kinder und jungen Menschen, an deren Eltern und Großeltern. Und an die Geiseln, die bereits 112 Tage dieses Leid ertragen müssten. „In unseren Kirchen beten wir um Frieden in Nahost. Und wir beten dabei immer auch um das Überleben und die Befreiung der Geiseln.“

„Es ist gut, dass wir solch eine Erinnerungskultur pflegen“, zeigte sich der Präses zunächst gespannt und anschließend berührt, wie die Schülerinnen Biografien ehemaliger jüdischer Schülerinnen lebendig werden ließen. Auch wenn „Erinnerung“ so klinge, als gehe es nur um die Vergangenheit. „Es geht bei dieser Erinnerung um unsere Zukunft, um Eure Zukunft“, verdeutlichte Latzel. Durch das Erinnern lernten wir, wachsam zu sein „gegenüber allen Gefährdungen von friedlichem, solidarischem Zusammenleben und Demokratie“. Ebenso müssten wir „Acht geben auf den Umgang mit Minderheiten und zugewanderten Menschen in unserem Land“.

„Euer Erinnern an die Schüler und Schülerinnen Kölns ist ein ganz wichtiger Beitrag dazu“, machte Latzel deutlich, dass es für „uns als Kirche und auch als Gesellschaft im Ganzen eine Pflicht“ sei, Schülerinnen und Schüler zu unterstützen. Latzel dankte ihnen und allen, „die heute hier sind, für ihr Engagement“. Es sei gut, „dass wir uns dafür einsetzen, dass niemand ausgegrenzt wird“. Für den Präses ist „Erinnern ist eine Haltung“. Schließlich stellte er unmissverständlich fest: „Wer Juden angreift, greift uns an. Antisemitismus ist Gotteslästerung.“

Gruppenfoto am Löwenbrunnen 2024

Grüße der Oberbürgermeisterin Henriette Reker und des Rates überbrachte Bürgermeister Andreas Wolter (Grüne). Auch er zeigte sich froh über die Anwesenheit zahlreicher Schülerinnen. „Das stetige Erinnern ist unser Schutzschild davor, dass sich ähnliches wiederholt“, begründete Wolter. Für uns sei ein selbstbestimmtes Leben eine Selbstverständlichkeit. Aber wir sollten das nicht als normal ansehen. Damals habe der mörderische Rassenwahn der Nazis vor niemand Halt gemacht. Heute wollten rechtsextremistische Kräfte missliebige Bürgerinnen vertreiben. Unsere Grundlagen seien die von uns geteilten demokratischen Werte, bekräftigte Wolter. „Jeder Mensch hat das Recht, würdevoll behandelt zu werden“, ermutigte er alle, sich „einzusetzen für Zivilcourage, Toleranz und Akzeptanz“.

Es sei nicht selbstverständlich, dass die Schülerinnen am Tag der Zeugnisausgabe und nun in ihrer Freizeit diesem Gedenken bewohnten, schickte Christina Zimmermann vom Katholischen Schulreferat Köln ihren Dank für deren biografischen Beiträge voraus. Mittels einer vorgetragenen Fabel zeigte die Schulreferentin auf, dass „jede und jeder Einzelne zählt“. Dass es auf jede Stimme ankomme im Engagement gegen Rassismus und Antisemitismus.

Schülerinnen der Ursulinenschule riefen Erinnerungen von überlebenden Jawne-Schülerinnen wach. „Vergessen kann man´s nicht und verstehen kann man´s auch nicht“, habe einst Kurt Marx festgestellt. Siggy Reichenstein habe die Entwicklung von der Diskriminierung über die Entrechtung bis hin zur Verfolgung und Ermordung der Juden beschrieben als „eine Schraube, die sich immer mehr zudrehte“. Die Jugendlichen berichteten von Henny Franks sowie Lore Robinson, die „uns deshalb beeindruckt, weil sie so optimistisch war“. Und sie stellten fest, dass „die geretteten Kinder sehr selbständig gewesen sein müssen“ – neun von zehn nach England geretteten Heranwachsenden hätten ihre Eltern nie wiedergesehen.

Schüler des Berufskollegs Werner-von-Siemens-Schule behandelten in ihrer Präsentation, wie damals betroffene Schülerinnen die Judenfeindlichkeit erlebt haben – und wie diese sich heute äußert. Zunächst blickten die Referierenden auf die früh gesetzlich verordneten umfassenden Einschränkungen für Juden. Darunter auch die Verbote, keine Haustiere mehr halten zu dürfen oder öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Vorgetragen wurden Betrachtungen von Ruth Rebecca Fischer-Beglückter, die 1939 mit ihrer Mutter und zwei Geschwistern nach Chile flüchten konnte. Einen weiteren Jawne-Schüler zitierten die Berufsschüler mit den Worten: „So wenig auffallen wie möglich, so wenig in Erscheinung treten wie möglich. Es war wirklich ein Gang in Richtung Nichtexistenz.“

Für Erschrecken sorgte zudem der Hinweis auf eine jüdische Schülerin, deren Lehrer hinter ihrem Rücken den Hitlergruß gezeigt hat. Was sich zunächst wie ein Vorfall aus ferner Vergangenheit anhörte, entpuppte sich bald als Tabubruch aus dem Jahr 2019. „Das war kein Einzelfall. Antisemitismus gibt es auch heute noch“, betonte der Berufsschüler, um schließlich auszurufen: „Antisemitismus gehört nicht in unsere Gesellschaft.“ Der auch im Arbeitskreis „Lern- und Gedenkort Jawne“ mitwirkende evangelische Schulreferent Dr. Rainer Lemaire zeigte sich „stolz auf das“, was die Berufsschüler in der kurzen Zeit ihres Workshops geleistet hätten.

Yechiel Brukner, Rabbiner der Synagogen-Gemeinde Köln, betonte zu Beginn seines sehr persönlichen Grußwortes seine Wertschätzung für die Schülerinnen und Schüler. Er erinnerte an seinen Vater, der Auschwitz überlebt und zeitlebens die in den Unterarm tätowierte Nummer getragen hat. Brukner dankte den vielen Soldaten auf der Welt, die damals für die Freiheit gekämpft und das Überleben von Gefangenen in den Konzentrations- und Vernichtungslagern ermöglicht hätten. Zahlreiche Soldaten hätten ihr Leben riskiert und geopfert, „damit dieses unfassbare Gespenst, diese Naziherrschaft, besiegt werden kann“. Und um die Welt von diesem Bösen und Fürchterlichen zu befreien. Wir seien diesen Menschen, die ihr Leben gegeben hätten, damit die Menschlichkeit wieder Oberhand gewinnen könne, zu großem Dank verpflichtet, sagte Brukner.

Er deutete an, dass wir uns heute in einem ähnlichen Kampf befänden. „Nur paradoxerweise“ seien es seine Söhne, seine Nachbarn, die jetzt in Israel kämpften, um leidende Geiseln zu befreien. Die kämpften, „um diese dämonischen, monströsen Kräfte, die sich am 7. Oktober wie plötzlich ausgelassen haben, zurückzudrängen. Damit wir, bei uns zuhause, leben können in Freiheit.“ Brukner ging ein auf den Slogan „From the river to the sea, (Palestine will be free)“. Dieser werde auch hierzulande auf pro-palästinensischen sowie israel- und judenfeindlichen Demonstrationen geschrien. „Ich bin ganz sicher, dass ihr davon gehört habt“, erläuterte Brukner diese Schmähung. Mit dem River sei der Jordan gemeint, mit der Sea das Mittelmeer. „Wenn das jemand sagt, dann sagt er mit anderen Worten, der jüdische Staat, der Staat Israel, der für die Juden da ist, muss ausgelöscht werden. Das ist klares Deutsch.“ Wer heute so etwas sage, schicke quasi die Juden zurück nach Auschwitz.

„Schade, dass Hitler dich nicht auch vergast hat“, habe ihm vor vierzig Jahren jemand auf der Straße in der Schweiz zugerufen. Damals dachte Brukner, „wer so etwas sagt, ist nostalgisch“. Aber inzwischen gebe es viele, „die auf der Straße ´From the river to the sea´ schreien“. Das bedeutet für den Rabbiner: „Geh´ zurück nach Auschwitz.“ Er bat die Schülerinnen, das den Menschen „bei euch in der Schule, im Dorf, im Stadtviertel, wo immer ihr auch einen Einfluss habt“, ins Bewusstsein zu bringen. Die Tatsache, „dass ihr da seid, heißt, dass ihr euch für den geschichtlichen Kontext interessiert. Das zeigt auch, dass ihr Zivilcourage habt“, so Brukner. „Dafür schätze ich euch sehr. Ich wünsche uns allen eine bessere Welt.“

Nach Brukner sprach und sang Mordechay Tauber die Gebete von Psalm 110 und „El Male Rachamin“ („Gott voller Erbarmen“). Den Vortrag des Kantors der Synagogen-Gemeinde Köln leitete Gebhardt bei nun blauem Himmel mit dem Hinweis ein, dass Psalmen in Köln weitaus früher in Hebräisch als in Hochdeutsch und Kölsch gesungen worden seien. Den Schülerinnen gab die Pfarrerin mit auf den Weg, dass diese für sie „mindestens so große Helden“ seien wie die Akteure der Deutschen Handball-Nationalmannschaft, die im Hotel gegenüber des Klibansky-Platzes residierten.

Schließlich betete Thomas Gruner, Referent des gesundheitlich verhinderten Stadtdechanten Monsignore Robert Kleine, zu Gott: „Gib, dass alle die Verantwortung haben, erfüllt werden mit Weisheit und Kraft, damit sie ihre Aufgabe vollbringen zum Leben und nicht zum Verderben der Welt.“ Stellvertretend empfahl Gruner dem Allmächtigen „die Menschen in Rechtlosigkeit und unter Unrechtsregimen, die Erniedrigten, Verhafteten, Deportierten und Ermordeten der Nazi-Diktatur mit ihrer perversen Tötungsmaschinerie“. Ebenso die Gequälten und zu Unrecht Verhafteten, die Gefolterten, die Heimatlosen auf der Flucht und in Lagern und die Hungernden. Gruner schloss in das Gedenken auch die Opfer des Massakers durch die Hamas ein.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich