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Großneffe Mathias Bonhoeffer, Pfarrer an der evangelischen Kartäuserkirche in Köln, (r.) konnte zusätzlich zu Jutta Koslowskis Ausführungen über Klaus Bonhoeffer aus eigenem Erleben darüber berichten, was es bedeutet, „ein Bonhoeffer“ zu sein.

Brückenbauer des Widerstands: Jutta Koslowski stellt die erste Monografie über Klaus Bonhoeffer vor

Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) hat spätestens sein Gedicht „Von guten Mächten“ unsterblich gemacht, das er 1944 aus dem Kellergefängnis des Reichssicherheitshauptamts schrieb. Kurz nach Kriegsende, in den Jahren 1945 bis 1948, war allerdings noch gar nicht klar, ob Dietrich oder sein älterer Bruder Klaus (1901-1945) der berühmtere evangelische Widerstandskämpfer werden würde. Jutta Koslowski hat dem unbekannteren, aber nicht weniger faszinierenden Bonhoeffer-Bruder eine 640 Seiten starke Monografie gewidmet, die sie, in Anwesenheit des Großneffen Mathias Bonhoeffer, Pfarrer an der evangelischen Kartäuserkirche in Köln, in der Melanchthon-Akademie vorstellte: „Wer war Klaus Bonhoeffer? Annäherungen an einen unbekannten Widerstandskämpfer“ (ISBN 978-3-579-07178-7).

Klaus Bonhoeffer wurde schon bald nach dem Abschluss seines Jura-Studiums 1935 Chefsyndikus der Deutschen Lufthansa. Verheiratet war er mit Emilie Delbrück, mit der er eine Tochter und zwei Söhne hatte. Er kämpfte aktiv gegen das Regime der Nationalsozialisten: Bereits Anfang der 1930er Jahre hatte er sich in Widerstandsgruppen vernetzt und schaffte systematisch wichtige Verbindungen zwischen den einzelnen Gruppen. Klaus Bonhoeffer wurde am 23. April 1945 in Berlin durch Genickschuss hingerichtet. Entsprechend seiner Persönlichkeit war er im Kampf gegen die Diktatur sehr entschieden.

„Die Familie hat sich als ungeheuer vertrauensvoll und hilfreich erwiesen“

Jutta Koslowski zeigte sich froh, dieses anspruchsvolle Projekt erfolgreich abgeschlossen zu haben. Es sei „ein befriedigendes Gefühl“, das quasi in „Punktlandung“ rechtzeitig zur Veranstaltung fertiggestellte Buch nun druckfrisch vor sich liegen zu haben. In ihren Recherchen werden erstmals die bisher nur verstreut publizierten Informationen über Klaus Bonhoeffer zusammengetragen und systematisch geordnet. Dafür hat sie in Archiven gestöbert und ausführliche Interviews mit den drei noch lebenden Kindern geführt. „Die Familie hat sich als ungeheuer vertrauensvoll und hilfreich erwiesen“, erinnerte sich Jutta Koslowski an diese Begegnungen.

Zunächst las Jutta Koslowski einen Ausschnitt aus der Einleitung ihres Buches und widmete sich der sich beinahe aufdrängenden Frage nach dem Verhältnis der beiden Bonhoeffer-Brüder. Koslowski betonte, es habe keinen offenen Konflikt gegeben, was wohl auch auf den großen Familienzusammenhalt zurückzuführen sei. Abgesehen von der charakterlichen Verschiedenheit des extrovertierten und charismatischen Theologen Dietrich und des eher introvertierten, mit einem starken Gerechtigkeitssinn ausgestatteten Juristen Klaus deute auch die Tatsache, dass kein einziger Brief von Klaus an Dietrich überliefert ist, auf eine gewisse Distanz hin. Negative Aussagen von Klaus über seinen Bruder seien allerdings nicht bekannt. „Klaus war in gewissem Maße der Entschlossenere von beiden“, stellte Jutta Koslowski fest. Als ausgebildeter Jurist verzichtete er auf das Plädoyer seines Pflichtverteidigers und sagte seinen Peinigern seine Ablehnung des NS-Staates ins Gesicht.

Das Buch zeichnet sich durch eine klare Gliederung und in sich abgeschlossene Kapitel aus, die sich auch einzeln oder in beliebiger Reihenfolge lesen lassen. Auf die Einleitung folgt zunächst auf etwa 340 Seiten eine Biografie Klaus Bonhoeffers. Das zweite Kapitel widmet sich seiner Persönlichkeit, die Jutta Koslowski anhand von vier Texten ausleuchtet, verfasst von seinem Bruder Karl-Friedrich Bonhoeffer, seinen Schwestern Sabine Leibholz und Susanne Dreß sowie seiner Ehefrau Emmi.

Das dritte Kapitel („Reflexion“) dokumentiert drei ausführliche Interviews mit den noch lebenden Bonhoeffer-Kindern. Im vierten Kapitel wird Klaus Bonhoeffer in seinen Schriften „sichtbar gemacht“. Es enthält unter anderem Klaus Bonhoeffers juristische Dissertation und einen von ihm verfassten Zeitungsartikel aus dem Jahr 1944. Im fünften Kapitel zieht Jutta Koslowski ein abschließendes Fazit und stellt noch einmal die Frage: Wer war Klaus Bonhoeffer?

Der etwa 150 Seiten starke Anhang versammelt neben Dokumenten (auch über Klaus Bonhoeffers Berufstätigkeit bei der Lufthansa) die Anklageschrift, ein Gnadengesuch, einen Augenzeugenbericht über die Erschießung am 23. April 1945, die am 11. Juni 1945 gehaltene Traueransprache sowie die Abschiedsbriefe, die Klaus Bonhoeffer an seine Kinder und seine Frau Emmi verfasste. Wer sich noch intensiver in das Leben Klaus Bonhoeffers hineinarbeiten möchte, findet in diesem Annex zudem Dokumente von Emmi und aus dem weiteren Kreis der Familie, eine Zeittafel, zwei Stammbäume sowie ein Abkürzungsverzeichnis.

„Brückenbauer“ zwischen kirchlichem, militärischem und sozialdemokratischen Widerstand

Großneffe Mathias Bonhoeffer äußerte sich zunächst zu der Differenzierung zwischen „kirchlich motivierten“ und militärischem Widerstand. „Ich sehe Dietrich im militärischen Widerstand“, erklärte er und stellte Klaus Bonhoeffers Rolle als „Brückenbauer“ zwischen kirchlichem, militärischem und sozialdemokratischen Widerstand heraus: „Klaus ist die Spinne im Netz.“ Mathias Bonhoeffer bestätigte, dass es Beziehungen zum Kreisauer Kreis gab und sogar Treffen stattgefunden hätten. Dietrich Bonhoeffer und Helmuth James Graf von Moltke kannten einander und reisten im April 1942 gemeinsam nach Schweden.

Über die Frage, wie es um den persönlichen Glauben Klaus Bonhoeffers bestellt war, gibt ein Brief seiner Frau Emmi Aufschluss. „Es verstand sich fast alles von selbst“, heißt es dort und es fallen die zentralen Begriffe „Gottgebundenheit“ und „Schamhaftigkeit der Seele“. Schließlich bringt Emmi Bonhoeffer die familienspezifische Mischung aus protestantischem Pflichtbewusstsein, selbstbewusster Geradlinigkeit und Sturheit mit einem Goethe-Zitat auf den Punkt: „Es kommt nicht darauf an, dass der Weg, den wir gehen zum Ziel führt, es kommt nur darauf an, dass es der Richtige ist.“

Zum Abschluss las Jutta Koslowski den Brief vor, den Klaus Bonhoeffer aus dem Gefängnis an seine Kinder schrieb und der bei seiner Erstveröffentlichung in einer Münchener Tageszeitung als „Dokument menschlicher Größe“ gewürdigt wurde. In diesem Schreiben begegnet den Lesenden ein liebevoller, zugewandter Vater, der die Verschiedenheit seiner Kinder als Reichtum beschreibt, den hohen Wert von „echter“ (nicht als Selbstzweck verstandener) Bildung herausstreicht und für ein „Leben im Bewusstsein der Vergänglichkeit“ plädiert. Klaus Bonhoeffer ruft seine Kinder aber auch zu „ritterlicher“ Fürsorge für die Mutter auf und ermahnt sie, nicht zu streiten. Dieser Brief, der im Hause Bonhoeffer an jedem Silvesterabend „quasi liturgisch“ verlesen wurde, war – das ließ auch die Reaktion von Mathias Bonhoeffer erkennen – wertvolles Vermächtnis und Bürde zugleich.

Dass Jutta Koslowski mit ihrem Buch eine bedeutende Lücke in der Bonhoeffer-Forschung geschlossen hat, steht außer Frage. Dass es ihr zudem gelungen ist, Klaus Bonhoeffer aus dem Schatten seines jüngeren Bruders zu befreien und bei einer breiteren Öffentlichkeit Interesse für sein Leben und Wirken zu wecken, zeigten nicht zuletzt die angeregten Diskussionen, die noch lange nach dem offiziellen Ende der Veranstaltung weitergingen.

Die Autorin

Dr. Jutta Koslowski ist evangelische Pfarrerin und Lehrbeauftragte für Ökumene und interreligiösen Dialog. Sie hat zahlreiche Publikationen zur Bonhoeffer-Forschung – insbesondere zum biografischen und familiären Hintergrund – veröffentlicht. Jutta Koslowski ist Mitglied der Internationalen Bonhoeffer-Gesellschaft und war zuletzt als Dietrich Bonhoeffer Visiting Professor am Union Theological Seminary in New York tätig. Im Gütersloher Verlagshaus hat sie die Titel veröffentlicht „Aus dem Leben der Familie Bonhoeffer. Die Aufzeichnungen von Dietrich Bonhoeffers jüngster Schwester Susanne Dreß“ (2018) und „Das Bonhoeffer Weihnachtsbuch“ (2019); außerdem die Monografie „Erinnerungen an Dietrich Bonhoeffer“ sowie „Von guten Mächten umgeben“ (beide 2020).

Text: Priska Mielke
Foto(s): Priska Mielke