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Girlspace – Echte Medienkompetenz statt verklärter Jugendwelt

Susanne Hermans ist erste Vorsitzende des girlspace e.V., der in diesen Tagen sein 20-jähriges Bestehen feiert. Hauptamtlich arbeitet die Diplom-Pädagogin als Öffentlichkeitsreferentin bei der Antoniter Siedlungsgesellschaft mbH. Gelegentlich tritt sie auch als Kabarettistin auf. Im Interview blickt sie zurück auf zwei Jahrzehnte medienpädagogische Arbeit.

Frau Hermanns, können Sie in zwei Sätzen zusammenfassen, was das girlspace ist und was dort passiert?

Es ist ein Treff, in dem Mädchen und junge Frauen Medienkompetenz erwerben und entwickeln können. Früher ging es vorrangig um das Internet, aber inzwischen um alle Medien – unter anderem auch darum, wie man Fotos bearbeitet, Filme schneidet oder Podcasts produziert.

Sie waren schon bei der Gründungsveranstaltung dabei. War das damals ein kleiner, überschaubarer Kreis; galten Sie als Exoten?

Exotisch war das schon, ja. Unter anderem deswegen, weil es ein Angebot speziell für Mädchen war. Auch das Thema war damals ja noch neu. Es war die Zeit, als erste Internetcafés entstanden. Meine Tochter nutzte zum Beispiel den Nachrichtendienst ICQ. Ich habe gemerkt: Da muss man aufpassen, dass die Kinder nicht zu viele Daten von sich preisgeben, sondern sich sicher im Netz bewegen – und auch, dass sie nicht nur am Computer sitzen! Bei der Gründungsveranstaltung war ich allerdings nur, weil man mich um einen Kabarettauftritt dort gebeten hatte. Ich kam als kölsche Mutter und fragte: „Wat is Internetz? Hat dat mit Handarbeiten zu tun?“ Heute würde man die Witze, die ich damals gemacht habe, gar nicht mehr verstehen. Aber damals brauchten ja auch wir Erwachsenen noch viel Aufklärung! Ich erinnere mich noch daran, wie ich selbst im girlspace meine erste gmx-Adresse eingerichtet habe.

Vor fünf Jahren haben Sie den Vorsitz des Vereins übernommen. Was macht Ihnen daran Freude, und welche Aufgaben haben Sie?

Ich leite die Vorstandssitzungen, die wir drei- oder viermal im Jahr haben und gebe mein Okay zu den Einladungen und Protokollen, die das Jugendpfarramt dazu verschickt. Natürlich bin ich in alle wichtigen Entscheidungen wie zum Beispiel Personalfragen eingebunden. Außerdem bin ich die Repräsentantin nach außen. So viel Zeit nimmt es also nicht in Anspruch. Aber ich mache es gerne, weil ich das girlspace von Anfang an kenne, auch die Menschen, die dort arbeiten. Außerdem habe ich eine große Affinität zur Mädchen- und Frauenarbeit und auch zu Medien. Ein anderer Aspekt ist, dass ich lange selbst in der evangelischen Jugendarbeit tätig war. So habe ich nun noch immer einen Fuß darin und kann nach wie vor mitwirken: Auch das gefällt mir.

Um die Jahrtausendwende sah die Mehrheit der Menschen zwischen Kirche und Internet noch keinen notwendigen Sinnzusammenhang. Warum entstand das girlspace gerade aus einem kirchlichen Kontext heraus, und wie haben Sie Ihre Unterstützer überzeugt?

Es gab vorher schon den Mädchenarbeitstreff der Evangelischen Jugend in Köln und Umgebung, den MATT. Darauf konnte das girlspace aufbauen, das als Modellprojekt des Landes NRW und unter der Trägerschaft des Evangelischen Jugendpfarramtes Köln gegründet wurde. Ein weiterer Punkt war die Flüchtlingssituation: Es wurden dringend Angebote gebraucht, die den geflüchteten Mädchen helfen konnten, sich in diese Gesellschaft einzufinden. Im girlspace konnten wir das bieten. Da gab es den geschützten Raum dafür. Unterstützung hatten wir immer: von der Emil- und Laura-Oelbermann-Stiftung, von der Stadt Köln, vom Kirchenkreis Köln-Süd und vielen anderen. Ein Teil der finanziellen Unterstützung kommt auch durch die Mitglieder zustande, die im Jahr einen Beitrag von 48 Euro zahlen.

Als das girlspace gegründet wurde, spielte das Internet in den Schulen noch keine große Rolle. Das ist seit einigen Jahren anders. Welche Auslöser haben Ihrer Einschätzung nach dafür gesorgt, dass die Medienpädagogik diesbezüglich Fahrt aufnahm?

Eine Rolle spielte sicher das Cybermobbing. Das war auch im girlspace schon früh ein Thema, zu dem es in Kooperation mit Schulen Projekte gab. Uns ist es wichtig, die Mädchen nicht nur technisch fit zu machen, sondern auch ihre Persönlichkeit und ihr Selbstbewusstsein zu stärken – und das im kirchlichen Kontext. Dazu gehört, dass wir mit ihnen reflektieren, welche Inhalte sie im Netz sehen und welches Frauenbild da vermittelt wird: zum Beispiel die verklärte Jugendwelt auf Instagram. Da gibt es ja Bilder von Mädchen, die so bearbeitet sind, dass sie wie Puppen aussehen. Im girlspace können unsere Teilnehmerinnen zwar lernen, wie sie Bilder bearbeiten können, aber es soll noch realistisch bleiben. Sie lernen auch: Ihr seid schön so, wie ihr wirklich seid!

Inzwischen haben Jugendzentren nachgezogen, und auch in den Schulen gibt es Projekttage rund um die digitale Welt. Sind die vorhandenen Angebote ausreichend, oder noch lange nicht?

Der Bedarf ist noch immer sehr hoch, und wir haben in Deutschland in Sachen Digitalisierung noch großen Nachholbedarf. Das merken wir gerade jetzt in Zeiten von Corona. Öffentliche Stellen müssten dem Thema eine höhere Priorität einräumen. Aber an Jugend und Kultur wird ja leider oft zuerst gespart. Wir sind als kleiner Verein auch immer wieder auf Spenden angewiesen und müssen schauen, ob unser Geld reicht. Deshalb waren wir froh, dass wir, nachdem die Stadt Köln uns seit Kurzem als Mädchen- und Medientreff fördert und wir es uns leisten konnten, eine zweite Medienpädagogin einzustellen.

Braucht man wirklich noch eine besondere Förderung für Mädchen? Was wäre anders, wenn Sie die Angebote auch für Jungen öffnen würden?

Zugang zum Netz haben Jungen und Mädchen gleichermaßen, der wird auch den Mädchen nicht verwehrt. Aber wenn sie unter sich sind, trauen sie sich eher, offen über ihre Fragen zu sprechen, sie kommen mehr aus sich heraus und probieren mehr aus.

Wie alt sind die Mädchen, die das girlspace aufsuchen?

Die jüngsten gehen noch zur Grundschule, die ältesten sind junge Frauen und Ehrenamtliche bis etwa Mitte 20.

Welche Chancen kann das Girlspace den Teilnehmerinnen eröffnen, und welche Risiken sehen Sie mit besonderer Sorge, wenn Sie an Mädchen denken, die ohne entsprechende Förderung sind?

Zu den Chancen gehört es, dass sich die Teilnehmerinnen bei uns Zugang zu den Medien verschaffen und ihre Kompetenzen verbessern können. Das kann ihnen auch beruflich helfen. Es ist ja immer ein Anliegen der Jugendarbeit, junge Menschen in ihrer Selbstfindung zu unterstützen und ihnen Möglichkeiten zu offenbaren. Durch die Angebote können sie ihre Fähigkeiten und Stärken entdecken. Sie lernen aber auch, Verantwortung zu übernehmen, etwa durch ehrenamtliche Mitarbeit. Das muss gar nicht immer mit Technik zu tun haben: Es werden ja auch Leute gebraucht, die bei unseren Seminaren für das Essen sorgen. Wenn es aber um die Risiken geht, dann sehe ich die Gefahren, die das Internet nun einmal mit sich bringt – zum Beispiel, dass Mädchen Opfer von Cybermobbing und anderem werden.

Sie sagen von sich, dass Sie es lieben, immer und überall erreichbar zu sein. Denken Sie, dass Freundschaften sich durch das Internet verändert haben – und zwar einmal mit Blick auf Ihre eigenen, aber auch mit Blick auf die der jugendlichen und heranwachsenden Generation?

Ja, das finde ich auf jeden Fall. Positiv ist, dass es viel leichter ist, Kontakte mehr zu pflegen. Ich hatte viele Leute aus den Augen verloren, mit denen ich zum Beispiel durch Facebook wieder Kontakt habe. Bei einigen haben sich daraus auch enge Kontakte entwickelt. Ähnliches beobachte ich bei meiner Tochter, die ihre Schulfreundschaften Jahre nach ihrem Abschluss noch intensiv pflegt. Ein Nachteil ist aber, dass manche Beziehungen auch nur sehr unverbindlich und oberflächlich sind, und dass man damit zu viel Zeit verbringt. Wir alle müssen uns fragen: Was ist nötig – und was nicht?

 

Unter den vielen Gratulantinnen und Gratulanten für das Girlspace war auch Stadtsuperintendent Bernhard Seiger. Hier sein Grußwort im Video:

Text: Johanna Tüntsch
Foto(s): Johanna Tüntsch/Thorsten Levin