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Stadtsuperintendent Bernhard Seiger.

„Unser Denken und Verhalten werden anders, und wir setzen unsere Füße auf den Weg des Friedens“ – Weihnachtspredigt von Stadtsuperintendent Bernhard Seiger

„Wir öffnen die Augen und Sinne für die am Rande, weil dieses Kind von Bethlehem auch am Rande war. Unser Denken und Verhalten werden anders, und wir setzen unsere Füße auf den Weg des Friedens“, sagte Stadtsuperintendent Bernhard Seiger in der Predigt in der Christvesper am Heiligabend in der Reformationskirche in Köln-Bayenthal. Er sprach über den Predigttext Galater 4,4-7. Lesen Sie hier die Predigt:

Liebe Gemeinde,
wir feiern die „Heilige Nacht“.

Was ist uns denn heilig? 2023 und in dieser Stunde?
Fünf Antworten:
• Dass jeder Mensch Würde hat.
• Ein Klima im Gleichgewicht.
• Dass Menschen sich verstehen.
• Dass es keinen Hass gibt und wir Frieden halten.
• Dass unsere Seele heil bleibt.
Alles heilig und zum Leben unverzichtbar.
Und alles davon ist in Gefahr!

Das, was uns heilig ist,
müssen wir kennen und darauf achten.
Was uns heilig ist, müssen wir schützen,
sonst kommt es unter die Räder oder es zerbröselt.

Die Geschichte von Weihnachten erzählt davon, wie sehr Leben bedroht ist und wie Gott in das Bedrohte hineinkommt und es schützt.
Die Geschichte von Bethlehem erzählt davon, wie es im Kleinen, bei Maria und Joseph und dem Kind, Licht und Wärme gibt.
Und zugleich:
Es gibt Schmerzen und Bitterkeit, weil nicht alles harmonisch ist und weil auch heute Abend Menschen im Krieg und in Schützengräben und Wüstentunneln sind. Und weil Mütter und Kinder in Sorge sind.

Es ist ja wahr:
Wir leben mit vielen Krisen.
Und trotzdem feiern wir.
Denn ja, auch die Weihnachtsgeschichte
begab sich zu einer Zeit,
als die Sehnsucht nach Frieden riesengroß war:
nach Gerechtigkeit,
nach Sicherheit für das Volk Israel,
nach Respekt und einem Lebensrecht für alle.

Damals erließ der römische Kaiser
einen Volkszählungs-Steuerbescheid.
Immer schon diese Gleichzeitigkeit:
Keine Herberge und schreckliche Barbarei,
Rechtloche Pflichten und Menschen
mit ihrer Verletzlichkeit.
Und dann trotzdem in dieser Heiligen Nacht:
Sterne, Funkeln.
Lichter himmelweit.
Eine Frau guter Hoffnung.
Ein Baby, Gott geweiht.
Der Himmel grüßt die Erde.
Der Heilige wird wahrhaftig Mensch.
Mit Haut und Haaren.
Mit Lungenflügeln und großem Herzen.

Heilige Nacht.
Nacht der Gegensätze und doch anziehend.
Ein empfindsames Herz, wache Sinne.
Die Sehnsucht nach dem,
was mehr ist, als wir machen können.

Was wird denn geschehen, wenn in diese Sehnsucht hinein Gott Mensch wird?
Wird er geachtet und verehrt?
Oder bleibt er allein?
Wird er bekämpft oder als Träumer einsortiert?

Der Apostel Paulus schreibt davon, dass sich an Weihnachten Sehnsucht und Erwartungen erfüllen.

Textverlesung: Galaterbrief 4,4-7

„Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, auf dass er die, die unter dem Gesetz waren, loskaufte, damit wir die Kindschaft empfingen.
Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsere Herzen, der da ruft: Abba lieber Vater!
So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.“

„Als die Zeit erfüllt war“
Die Worte des Paulus zeugen davon, dass an Weihnachten etwas in Erfüllung geht.
Die Worte sprechen uns zu: Wir sind Gottes Kinder. Wir dürfen Gott „Abba, lieber Vater“ nennen. Wir sind zu Kindern Gottes geworden.
Dafür ist Gott in einem hilflosen kleinen Kind, als Jude, in die Welt gekommen.
In seinem Erdenleben erlebte und spürte Jesus in allen Höhen und Tiefen das mal so grandiose und mal so banale Menschsein. Wir wissen neben seinem Wirken von seinem Lebensende am Kreuz.

Er kam als Mensch in diese Welt. Er lebte „unter dem Gesetz“, also in den Begrenzungen, die wir kennen. „Unter dem Gesetz“ heißt, er erlebte auch die Regeln der Gesellschaft seiner Zeit und die Einschränkungen, die dadurch entstehen. Übrigens sehr viel engere Regeln als unsere moderne tolerante Gesellschaft sie kennt.

Uns wird zugesagt, dass wir als Kinder Anteil an dem bekommen, was unserem himmlischen Vater gehört. Dabei geht es nicht um materielle Werte, sondern das, was wir erben sollen, ist unendlich viel wertvoller: es ist das Reich Gottes. Wir sind Erben des Reiches Gottes. Also des Glanzes des Lebens, in dem das Heilige heilig bleibt und das Würdige würdig und nicht beschmutzt wird.
Wir sollen an Gottes Leben, wie es sein soll, Anteil haben: An seinen Maßstäben, nach denen Gerechtigkeit, Friede und Liebe das Leben bestimmen.

Das, was heilig ist an der Heiligen Nacht, ist ein Ereignis, das von außen kommt. Eine neue Wirklichkeit öffnet sich, eine andere Sicht auf das Leben.

Nach der Logik unserer Wirklichkeit wollen wir gerne über vieles die Kontrolle haben, weil wir uns dann sicherer fühlen. Wir spüren, dass das oft gar nicht geht. Wir merken: Die Liebe und Zuneigung anderer, auch die von Gott, können wir nicht beanspruchen oder sichern, wir können sie nur dankbar empfangen.
Erfolge können wir anstreben und zuweilen erreichen, aber wir „besitzen“ sie nicht. Und wenn wir meinen, sie zu „besitzen“, dann werden wir leicht besessen von uns selbst und unserer Selbstverliebtheit.

Immer dann, wenn wir uns zum Maß der Dinge machen, rutschen wir, so Paulus, unter das Gesetz der Selbstrechtfertigung und werden so zu Knechten.
Martin Luther hat sehr hellsichtig gesagt: „Das, woran du dein Herz hängst, das ist eigentlich dein Gott”.
Dagegen setzt er: “Wir sollen Menschen sein und nicht Gott.”

Das Evangelium des Apostels verkündet die weihnachtliche Sicht auf die Wirklichkeit, die uns erlaubt, neu zu sehen: Der lebendige Gott, fern und nah, hat gegen menschliche Selbstverdrehung die Freiheit erschlossen, “auf dass alle, die unter dem Gesetz” der Zwänge sind, erlöst werden.

Im Kind in der Krippe zeigt Gott seine Liebe. Gott macht sich uns gleich, schenkt uns seinen Sohn als Bruder, der an unserer Seite steht.
Was ist das viel!
Da ist einer, der ist in allem an unserer Seite!
Unantastbare Würde wird uns Menschen damit zugesprochen.

Wertschätzung wird uns so zuteil, ob jung oder älter, ob reich oder ärmer, ob gesund oder dement. Im Sohn hat Gott uns zu gleichberechtigten Kindern und Erben der Familie Gottes gemacht, die keine Verlierer kennt.
Wir dürfen als Geschwister Jesu zu Gott sagen „lieber Vater“ und dabei die Freiheit der Kinder Gottes spüren.

Mit jedem Kind, das neu in die Welt kommt, ist diese unverfügbare Sicht auf das Leben zu spüren. Angesichts eines Neugeborenen spüren wir, was das Geschenk des Lebens ist.
Wir staunen und hören hoffentlich nie auf, über dieses Wunder des Lebens zu staunen.
Beschenkt werden und die Gaben Gottes empfangen:
Das können wir erfahren, wenn wir uns zusagen lassen: Du bist Gottes geliebtes Kind – du.
Können wir uns das sagen lassen?
Können wir das, was uns heilig ist, Gott hinhalten und ihn bitten, unsere leeren Hände zu füllen?

Stellen wir uns vor, wir wären Maria und Joseph in der Nacht der Geburt Jesu. Stellen wir uns vor, wir hätten dieses kleine Wesen in den Armen und spüren seinen Atem. – Wie würden wir für dieses Kind beten?
Vielleicht so:
• Danke, Gott, für dieses Wunder.
• Danke für die Würde dieses Menschen.
• Dieses Kind braucht es, dass Menschen sich verstehen und Leben schützen.
• Dieses Kind soll keinen Hass verbreiten, sondern Frieden halten und deshalb ziehen wir es so groß, dass es diese Haltung lebt. Hilf uns dabei, Gott!
• Dieses Kind, Gott, ist Trost und Halt für unsere aufgescheuchten Seelen.
Und ja, wenn Jesus heute geboren würde, dann würden wir vermutlich auch noch hinzufügen:
• Lass unser Kind groß werden in einer Welt, die im Einklang mit der Natur lebt.

An der Verletzlichkeit dieses Kindes spüren wir als Maria und Joseph die Widersprüche des Lebens.
Wir sehen am heranwachsenden und erwachsenen Jesus seine Liebe zur Wahrhaftigkeit und die Kraft seiner Botschaft der Versöhnung für die Welt.

Bei diesem Kind werden wir empfindsamer.
Weihnachten lädt uns ein, dem Kind Gottes zu gestatten, uns nahe zu kommen.
Es kann gar nicht anders sein: Es wird unser Herz weicher machen und unser Gesicht fröhlicher.
Wir öffnen die Augen und Sinne für die am Rande,
weil dieses Kind von Bethlehem auch am Rande war.
Unser Denken und Verhalten werden anders, und wir setzen unsere Füße auf den Weg des Friedens.
Amen.

Der Weihnachtsfrieden, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne und euer Tun im Glauben an Jesus Christus, Gottes Sohn und unseren Bruder. Amen.

Text: APK
Foto(s): Michael Müller-Münker