Ein Hingucker ist das weiß lackierte Fahrzeug des gemeinnützigen Herzensangelegenheit e.V. Drei Seiten des Automobils tragen in Großbuchstaben das Kürzel TIEMO. In einem ebenso intensiven Rot prangt neben bzw. über dem Namen jeweils ein mächtiges Herz. Tiemo steht für Tiermobil. Denn der einstige Lieferwagen fungiert heute als mobile Tierarztpraxis und Tiertafel. Mitte Januar machte sie Station auf dem Parkplatz an der evangelischen Andreaskirche in Brühl-Vochem. Damit feierte das Projekt Premiere in der Schlossstadt. Ungeachtet der nasskalten Witterung hatten sich 16 finanzschwache Hunde-Halterinnen und Katzen-Halter zu ihrem vereinbarten Termin auf den Weg gemacht. Sie zeigten sich glücklich, dass ihre geliebten Vierbeiner kostenfrei von Veterinärin Jutta Jamann und zwei ihrer Mitarbeiterinnen fürsorglich untersucht und versorgt wurden. Zusätzlich schauten etliche Interessierte vorbei, um sich zu informieren oder eine Spende zu übergeben. „Ein herzlicher und gelungener Auftakt unseres Projekts in Brühl“, freut sich Lutz Wingerath.
Wingerath ist Vorsitzender des zehn Mitglieder zählenden Vereins mit Sitz in Grevenbroich. Dessen Motivation und Ziele bringt sein vollständiger Name exakt auf den Punkt: Herzensangelegenheit – Menschen für Tiere und Tiere für Menschen in Not e.V. Mit Freunden und Bekannten habe er sich vor Jahren Gedanken darüber gemacht, einen Tierschutzverein zu gründen, Geld zu sammeln und damit gleichgesinnte Organisationen und Einrichtungen zu unterstützen, erinnert Wingerath. Das war im März 2018. Mit Tiemo war bald die Idee für ein eigenes Hilfsprojekt geboren. Das Angebot richtet sich an Menschen in wirtschaftlich schwierigen Situationen, die sich eine normale medizinische Versorgung ihrer Haustiere nachweislich (!) nicht leisten können. „Damit helfen wir nicht nur den Tieren, wir helfen auch den Menschen“, weiß Wingerath. „Wir nehmen ihnen damit eine sehr große Sorge. Das macht sie glücklicher.“ Beeindruckend empfindet er die dem Tiemo-Team entgegengebrachte Dankbarkeit. „Besuchende bedanken sich dafür, dass sie freundlich empfangen, wertschätzend behandelt werden und vor allem ihren Tieren geholfen wird.“
Vor dem Start der rollenden Veterinärpraxis hat Herzensangelegenheit kräftig investiert. Insgesamt über 50.000 Euro brachte der Verein auf, um einen ausrangierten, abgetakelten Transporter eines Paketlieferdienstes zu erwerben und ihn aufwändig für seine neue Bestimmung umzurüsten. „Für unseren Zweck sind die Größe und Ausstattung des Wagens gut geeignet“, stellt Wingerath fest. In diesem Rahmen nehmen die jeweiligen Tierärzte die Grunduntersuchungen der tierischen Patienten vor. Sie schneiden Krallen, führen Impfungen, Wurmkuren und Schmerztherapien durch. „Sie kümmern sich um fast alles“, so Wingerath. „Allein Behandlungen und Operationen unter Narkose sind im Tiemo nicht möglich.“ Dafür würden die Halter:innen mit ihren Tieren zu Ärzten in deren Praxen vermittelt. „Für solche Zwecke steht der Verein in engem Kontakt mit Tierärzten in Köln, Engelskirchen und Overath.“ Und zu den anfallenden OP-Kosten leiste Herzensangelegenheit einen Zuschuss.
„Wir finanzieren uns zu hundert Prozent über Spenden. Alle Mitarbeitenden, auch die Tierärzte, sind ehrenamtlich aktiv“, hebt Wingerath hervor. „Wir sind angewiesen auf Unterstützung.“ Dabei gehe es nicht nur um Geld für medizinische Hilfe, sondern auch um Sachspenden. So werden, wie zuletzt in Brühl, bei Bedarf an die bedürftigen Menschen kostenlos Tierfutter und Utensilien wie Mäntelchen, Leinen und Körbchen angegeben. „Dafür benötigen wir Partner und Spenden“, wirbt Wingerath. In der Corona-Pandemie sei die Spendenlage schwierig gewesen. Zur Verbesserung der Situation hätten auch zwei Auszeichnungen für Herzensangelegenheit beigetragen. Ende 2022 erhielt der Verein zunächst den Deutschen Tierschutzpreis. Kurz darauf wurde er mit dem Tierschutzpreis des Landes Nordrhein-Westfalen geehrt.
Gefahren und in Schuss gehalten wird Tiemo von Peter, laut Wingerath die „gute Seele“ des Projekts. „Aktuell steuern wir regelmäßig vier Standorte an“, so der Vorsitzende. Neben Brühl-Vochem befindet sich einer in Grevenbroich. Zwei sind es in Köln: auf dem Kirchplatz von St. Nikolaus in Sülz und an der Amsterdamer Straße. Wingerath hebt die Kooperation mit der Tafel bzw. Lebensmittelausgabestellen hervor. „Wir versuchen, alle vier bis sechs Wochen an den jeweiligen Standorten zu sein“, informierte Wingerath. Denn die Nachfrage sei groß. Leider könne man nicht alle bedienen, die Bedarf hätten. Wichtig sind ihm die „vielen Kontakte“ zur Obdachlosenszene. Denn natürlich seien ebenso Menschen ohne festen Wohnsitz mit ihren Tieren willkommen.
Wie kam es nun zum zusätzlichen Angebot in Brühl? „Wir hatten die Zusage eines Sponsors und einer Tierärztin für einen vierten Standort. Diesen haben wir auch über die Tafel gesucht“, erklärt Wingerath. Schließlich habe man erfolgreich Kontakt zur Evangelischen Kirchengemeinde Brühl knüpfen können. „Dort war man begeistert von unserer Anfrage.“ Seitens der Gemeinde koordiniert die Ehrenamtlerin Larissa Conzen die Termine an der Andreaskirche. Anmeldungen werden unter der Internet-Adresse tiemo.bruehl@ekir.de angenommen. Über diesen Weg wird vorab auch abgeklärt, um welche Tierart es sich handelt und welche Behandlung gewünscht wird. Ebenso wichtig sei der Nachweis der Hilfsbedürftigkeit, betont Conzen. „Es macht wahnsinnig viel Spaß“, beschreibt sie ihre Mitarbeit. Das sehr nette Team unterstütze und helfe, wo es könne. Conzen spricht von einem großartigen, sehr gut vernetzten Projekt, in das viel Herzblut gesteckt werde. Umgekehrt würdigt Herzensangelegenheit das große Engagement der Ehrenamtlerin. Sie habe sich schon „im Vorfeld mit sehr viel Herz der Vorort-Organisation und der Terminvergabe gewidmet“. Der Dank des Vereins richtet sich ebenso an die Evangelische Kirchengemeinde Brühl und deren Pfarrbezirk Nord mit der Andreaskirche, die diesen Standort ermöglicht haben.
„Ich finde es ganz toll, Tieren und damit Menschen helfen zu können, die nicht so viel Geld haben“, begründet die Hürther Veterinärin Jutta Jamann ihren Einsatz. Ebenso motiviert und überzeugt zeigten sich ihre Mitarbeiterinnen Chantal und Milena. Wo sieht die Tierärztin einen Unterschied zwischen dem mobilen Angebot und einer Behandlung in stationären Praxen? Die Atmosphäre im Wagen sei lockerer, persönlicher und auch privater, empfindet sie. Nach ihrem ersten Tiemo-Einsatz bewertet Jamann das Projekt und ihre Erfahrungen als „absolut positiv“. Auf Seiten des Vereins wiederum herrscht große Freude, „dieses tolle Team für unser Projekt gewonnen zu haben“. Das nächste Mal wird es im Schatten der Andreaskirche am 15. März (15 bis 17.30 Uhr) seiner Berufung nachgehen. „Die Termine sind nahezu ausgebucht“, informiert Conzen. Gleichwohl bittet sie unverändert unter der genannten Internet-Adresse um Anmeldungen.
Unter www.herzensangelegenheit-ev.de oder www.facebook.com/team.tiemo können Interessierte Kontakt zum Verein aufnehmen und die aktuellen Termine für die Besuche der mobilen Tierarztpraxis an den derzeit vier Standorten erfahren.
Foto(s): Engelbert Broich