You are currently viewing „Ein Abend, an dem der Tod das Leben berührt“: Trauerwoche in Mülheim
Autor Stefan Weiller präsentierte in der Herz-Jesu-Kirche eine lebendige, lustige, kluge und anrührende Revue voller Geschichten über das Leben kurz vor dem Tod.

„Ein Abend, an dem der Tod das Leben berührt“: Trauerwoche in Mülheim

„Heute ist der Abend, an dem sich Leichtes und Schweres berühren“, sagte der Mülheimer Pfarrer Sebastian Baer-Henney an die zahlreichen Zuschauer in der Herz-Jesu-Kirche gewandt. „Heute ist der Abend, an dem der Tod das Leben berührt.“ Angesichts der kühlen Temperaturen in der Kirche empfahl er „als lebensrettende Maßnahmen Decken, Punsch und Glühwein“, die am Eingang vorgehalten wurden.

Der Abend war Teil der Trauerwoche in Mülheim, seit Jahren organisiert von der Evangelischen Kirchengemeinde Mülheim am Rhein, der Katholischen Pfarrgemeinde St. Clemens und St. Mauritius sowie vom Hospizverein Köln Mülheim.

Das Thema Sterben wollen sie mitten ins Leben holen und Berührungsängste abbauen. Baer-Henney kündigte einen vergnüglichen Abend mit Stefan Weiller an. Bei der Trauerwoche durfte nämlich auch gerne auch gelacht werden. Beispielsweise, als der Autor Stefan Weiller ein Foto eines Plattencovers von Cindy & Bert aus den 70ern zeigte. Vor quietschbunter Tapete und mit echten Prilblumen-Aufklebern aus jener Zeit.

Revue voller Geschichten über das Leben kurz vor dem Tod

Weiller präsentierte in der Herz-Jesu-Kirche eine lebendige, lustige, kluge und anrührende Revue voller Geschichten über das Leben kurz vor dem Tod. Er hat mit vielen Menschen in Hospizen oder auf dem Sterbebett gesprochen und die Frage gestellt: „Von welchem Lied werden Sie am Ende des Lebens sagen: Das war mein Lied?“ Herausgekommen ist ein sich stetig wandelndes multimediales Programm über das Sterben und die Frage, was am Ende wichtig ist.

Bei der älteren Dame, die er in einem Hospiz besucht hat, war klar: „Immer wieder sonntags“ war lebenslang ihr Favorit. Mit dieser Begegnung fing alles an. Weiller war freier Mitarbeiter beim Wiesbadener Kurier und hatte den Auftrag, eine 180-Zeilen-Reportage über ein Hospiz zu schreiben. „Ich dachte, dort würde es aussehen wie in einem Krankenhaus“, erzählte Weiller. „War aber gar nicht so“, erinnerte sich der gelernte Sozialpädagoge und Innenarchitekt. Das habe eher Ikea-Schick gehabt. Begrüßt habe ihn der riesige Hospizhund. Dann sei eine Pflegerin gekommen und habe ihn begrüßt: „Schön, dass Sie da sind. Sie werden erwartet.“ Die Pflegerin habe ihn zu einer Tür geführt, Weiller drückte die Klinke und: „Immer wieder sonntags.“

Weiller berichtete von der ersten Schallplatte seines Lebens. „Woman in love.“ Ausschlaggebend für den Kauf der Platte war, dass Streisand die gleiche Frisur hatte wie sein Patenonkel Heinz. „Ich dachte, wenn die sich an der Frisur von Onkel Heinz orientiert, kann die Musik nicht schlecht sein.“ Später kamen dann T-Rex und Madonna hinzu – beide eher ohne Bezüge zu Onkel Heinz. Madonna habe mit ihrer Musik und ihrer Lebenshaltung sein Outing befördert: „Deren Credo war: Mach dein Ding, lass dir nicht soviel Angst einreden.“

„Ich will den Tod nicht, aber ich nehme ihn an“

Nach dem Besuch der Frau in dem Wiesbadener Hospiz hat Weiler das Projekt mit den Lebensliedern gestartet. Eine Frau Mitte 60 traf er unheilbar an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt in einem Hamburger Hospiz. „Sie war starke Raucherin. Die Heimleitung hatte ihr gesagt, sie habe Angst, dass sie ihnen die Bude abfackele. Sie dürfe nicht rauchen, wenn sie allein sei. Von da ab stand ihre Tür ständig und für alle offen, sie hatte ständig Besuch und geraucht ohne Ende.“

Auch sie hat Weiller nach ihrem Lied befragt. Die Hamburgerin hat „Stark wie Zwei“ von Udo Lindenberg gewählt. Das hatte einen tragischen Hintergrund. Ihr Mann war ein halbes Jahr zuvor auch an Bauchspeicheldrüsenkrebs gestorben. Sie habe keine Angst vor dem Tod. Da kommt was Tolles auf mich zu, habe sie gesagt. „Ich will den Tod nicht, aber ich nehme ihn an. Und ich wünsche mir eine schöne Pinacolada mit nicht zu wenig Rum.“ „Ich geh‘ die Straße runter, stark wie zwei. Egal, wohin ich geh, Du bist dabei“, heißt es bei Lindenberg. Der hat dieses Lied geschrieben, nachdem sein Bruder unerwartet gestorben war.

Weiller hat auch den vierjährigen Ole getroffen, dem nicht wirklich klar war, wie es um ihn stand. Er hat sich „Weißt du, wie viel Sternlein stehen an dem blauen Himmelszelt“ ausgesucht. Und seine etwas ältere Schwester ist sicher, dass ihr Ole in Kürze von einem Stern herab zuwinkt. Sie wird ihn dann sehen können.  Weiller ist mit dem Pfarrer der deutschen evangelischen Gemeinde im schwedischen Malmö verheiratet. Dort hat er eine ältere Frau beim Sterben begleitet und in einem Film dokumentiert, wie ihre Asche ins Meer versenkt wurde. In einer Urne aus gepresstem Sand.

Interaktiver Trauerparcours

Es gab zahlreiche Veranstaltungen während der Trauerwoche, die unter dem Motto „Trauer in dir – Eine Woche voller Kraft“ stand. Die Ausstellung „Trauertattoos“ zeigte, wie Menschen sich Erinnerungen im wahrsten Sinne des Wortes in die Haut einprägen.

Ein interaktiver Trauerparcours stand unter dem Motto „So sad – so good“. Auf dem Parcours stand auch ein Sarg bereit: zum „Probeliegen“. Die  Trauerclownin Sophia Altklug führte einfühlsam und humoristisch Kinder und Erwachsene in die Kunst des Kicherns ein, obwohl man traurig ist. Einer der Höhepunkte war das „Fest der Toten“. Dabei ließ man auf dem Alten Evangelischen Friedhof in Bergisch Gladbach die Toten wieder aufleben, indem man ihrer gedachte bei Live-Musik, gutem Essen und vielen Geschichten aus ihrem Leben.

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Stefan Rahmann