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Die Performance von Finja Sander.

Performance von Finja Sander zu Barlachs Schwebendem im Kölner Wallraf-Richartz-Museum

Ein weites, hohes Metallgestell im Stiftersaal des Wallraf-Richartz-Museums/Fondation Corboud. Darin, von orangefarbenen Gurten gehalten, hängt Finja Sander. Sechzig Minuten verbringt sie in dieser relativ waagerechten Haltung. Hin und wieder senkt sie zur Entspannung der Halsmuskulatur ihren Kopf. Wohl die meisten Besuchenden, die das Bild auf Abstand sitzend, näher umkreisend oder in direkter Nähe wahrnehmen, wissen um den Hintergrund.

Im Januar dieses Jahres startete die 1996 in Hildesheim geborene Künstlern die zwölfteilige Reihung „Für Morgen“. Ihre Performance geht aus vom „Güstrower Ehrenmal“, auch „Schwebender“ genannt. Ernst Barlachs Bronzeplastik mit den Gesichtszügen von Käthe Kollwitz wurde 1927 im Dom der mecklenburgischen Stadt Güstrow installiert und unter den Nationalsozialisten 1941 eingeschmolzen. Glücklicherweise gab es schon Anfang 1939 eine von einem ehemaligen Mitarbeiter des 1938 verstorbenen Künstlers initiierte Sicherungskopie des Werkes. Diese kam 1952 in die evangelische Antoniterkirche nach Köln. Ein Drittguss hängt seit 1953 im Güstrower Dom.

Citykirchenpfarrer an der Antoniterkirche Markus Herzberg

Idee und Form des „Schwebenden“ regten Sander an, „verschiedene Mechanismen des kollektiven Erinnerns“ zu untersuchen und weiterzudenken. Ihre Reihung startete im Januar dieses Jahres auf dem brandenburgischen Truppenübungsplatz Döberitzer Heide und gastierte bislang etwa in der Museumshalle Barlachmusseen in Güstrow und im Berliner Olympiastadion. Zehnte Station bildete nun das Museum in Köln. Teil der Veranstaltung, die in Kooperation des Käthe Kollwitz Museums Köln mit den Freunden des Wallraf-Richartz-Museum und des Museum Ludwig e. V. durchgeführt wurde, war ein von Lynn B. Busch geleitetes Künstlerinnengespräch. Neben Sander, die im Sommer 2022 ihr Studium der Bildenden Kunst an der Universität der Künste Berlin abgeschlossen hat, beteiligten sich daran Katharina Koselleck (Direktorin des Käthe Kollwitz Museums Köln) und Markus Herzberg (Citykirchenpfarrer an der Antoniterkirche).

Skulptur der „Trauernden Eltern“ von Kollwitz in der Kirchenruine Alt St. Alban

Finja Sander bediene sich auf bewegende Weise dieser Figur, stellte die Moderatorin fest. Sie gebe ihre Körperlichkeit ein Stück auf, um ein plastisches Objekt zu werden. Busch und Koselleck informierten, dass Barlach und Kollwitz eine tiefe gegenseitige Wertschätzung verbunden habe. Nun sitze man hier in direkter Nachbarschaft einer Kopie der Skulptur der „Trauernden Eltern“ von Kollwitz in der Kirchenruine Alt St. Alban. Sie war die erste Gedenkstätte des Bundes für die Gefallenen beider Weltkriege. Man habe das Projekt von Sander schon länger im Blick, sagte Koselleck. Gerne hätte man es im Kollwitz-Museum gezeigt. Aber das sei derzeit geschlossen. Aber wie sich jetzt herausstelle, sei dieser Ort hier viel mehr geeignet, vis-à-vis der „Trauernde Eltern“.

Seit fünf Jahren ist die Performance Sanders Medium. Ausgehend vom fotografischen Selbstporträt sei sie zur Performance gelangt. „Seitdem lässt mich das nicht mehr los: der körperliche Ausdruck, mein körperlicher Ausdruck.“ Ihr Talent liege vor allem in der statischen Haltung. Spannend finde sie die Vielfalt des Mediums, auch die ortsspezifische Wahl – die Möglichkeit, „mich immer wieder an Orte oder Geschehnisse, an Gesellschaften anzupassen“. Das „Güstrower Ehrenmal“ sei ihr natürlich bekannt gewesen. Als sie vor rund vier Jahren erstmals in Mecklenburg vor ihm gestanden habe, „war das noch mal etwas ganz anderes“. Es sei sehr, sehr bewegend gewesen. „Weil diese Figur einfach eine unheimliche Ausstrahlung hat und fast eine Aggression in ihrer Gerichtetheit, in ihrer Konsequenz, wie sie konzipiert wurde.“ Sie denke alles von ihrem Körper aus, erklärte Sander. Und ihr Körper selber sende starke Signale, wenn sie sich für etwas interessiere. So habe sie begonnen, „den Gedanken auszufeilen, mich mit Barlach und dem ´Schwebenden´ auseinanderzusetzen“.

„Und dann kamst du wahrscheinlich schnell auf die Themen Denkmalgeschichte und Erinnerungskultur?“, fragte Busch. Wenn man von ihrer Verfassung, von ihrem Körper als Medium ausgehe, formulierte Sander, „dann habe ich den eigenen Körper und andere Körper als Konservatoren von Erinnerung und Erlebnissen angesehen“. Dahingehend sei der Schritt ins Politische, ins Gesellschaftliche gar nicht mehr so weit. Den Schwerpunkt auf den Nationalsozialismus könne sie gar nicht so einfach verorten. Deshalb nicht, weil der „Schwebende“ und seine Werkgeschichte viel umfassender seien. Jedenfalls stelle die Plastik ein entschiedenes Gegenbeispiel zu den Ehrenmalen des Ersten Weltkrieges dar, die sehr oft heroische idealisierende Darstellungen des Heldentodes verkörperten.

Viele der für die Performance-Reihung gewählten Orte stünden in Bezug zu Barlach oder zum Nationalsozialismus, flocht Busch ein. Sich diesen Orten zu stellen, sei wirklich sehr intensiv, reagierte Sander. „Wir können noch so gut planen.“ Jedes Mal passiere irgendetwas anderes. „Da wird die Realität konfrontiert mit einer künstlerischen Setzung – mit einem durchaus ernsthaften Ausdruck.“ Mitunter wunderten sich die Menschen. „Sie lassen sich davon einnehmen. Und es ist immer wieder faszinierend, was da passiert.“

Tiefe durch Wiederholung

Mit dem Rhythmus der monatlichen, jeweils 60-minütigen Performance spiele sie auch auf die Grenzen eines wiederkehrenden Rituals an, erklärte Sander. „Das, was wir jährlich immer wieder in Prozessionen, in Gedenkfeiern zelebrieren.“ Gleichzeitig sei ihr die Konsequenz wichtig. Im September 2022 habe sie ihre Idee der Performance in einer Skizze in einer Leipziger Galerie gezeigt. Da sei ihr bewusstgeworden, dass diese Arbeit Tiefe durch Wiederholung erhalte. Die Wiederholung sei im Gegensatz zu vielen jährlichen Gedenkzeremonien kein unterbewusst wahrgenommenes Ritual, das zum Plan dazugehöre. Vielmehr finde hier die Wiederholung in einer Art Konzentration, einer Art Manifestierung statt. Diese nehme mit auf, wie ernst es ihr sei mit dieser Darstellung. „Es ist eben kein flüchtiger Moment.“

Herzberg ging zunächst ein auf die wechselvolle Geschichte des „Güstrower Ehrenmals“. Von den Nationalsozialisten sei auch Barlachs Kunst und damit der „Schwebende“ als „entartet“ diffamiert und aus dem öffentlichen Raum entfernt worden. Seit Mai 1952, mit ihrer Wiedereinweihung nach der schweren Beschädigung im Krieg, befinde sich der Zweitguss in der Antoniterkirche. Die Gemeinde habe ihn bewusst in der nördlichen Chornische installiert. Dort habe im „Dritten Reich“ ein mit einer Hakenkreuzflagge geschmückter Seitenaltar gestanden. „Die Deutschen Christen konnten dort Führer, Volk und Vaterland huldigen.“ Die Gemeinde habe den „Schreckensort“ weggerissen und das Friedensmahl von Barlach genau dort platziert, erinnerte Herzberg.

Dort werde ja nicht nur der Toten des Ersten Weltkrieges, sondern auch des Zweiten Weltkrieges gedacht, so Busch. Diese Erweiterung der Gedenkplatte sei später nochmal anders, und zwar zeitlich in 1933 bis 1945 gestaltet worden. Als er vor 13 Jahren an die Antoniterkirche gekommen sei, habe er begonnen sich intensiver damit zu beschäftigen, was Barlach mit dem Werk beabsichtigt habe, sagte Herzberg. Warum er die damalige Gedenkkultur so wunderbar durchbrochen habe. Indem er eben die reelle Seite des Krieges, Schrecken und Tod, das Ende von Menschlichkeit habe zeigen wollen.

Die darunterliegende Platte mit den Weltkriegszahlen habe die Absicht des Künstlers eigentlich konterkariert. Dadurch hätten wir wieder unseren Fokus mit Mahnmalen und unserer Gedenkkultur.

„Was ist dieses Mahnmal heute für uns?“

Aber wir müssten schauen, wie uns dieses Kunstwerk beeinflusse. „Was ist dieses Mahnmal heute für uns?“ Es sei eben mehr als das Gedenken an die Toten des Ersten und Zweiten Weltkrieges. Daher „haben wir die Zahl des Zweiten Weltkrieges ummeißeln lassen und die 33 aus der 39 gemacht“. Dadurch habe man dieses Mahnmal Barlachs so geweitet, dass sich alle Opfer wiederfinden könnten. Damit könne man an diesem Ort an alle Menschen denken, die unter Schrecken, Krieg, Diktatur, Unterdrückung litten. „Und so nutzen wir bewusst dieses Kunstwerk, wie man auch jetzt sehen kann“, berichtete Herzberg vom Beispiel der neben dem „Schwebenden“ als Friedensgebet aufgestellten Kerze mit dem hebräischen Wort Shalom und dem Davidstern

Wenn man das höre, merke man nochmal sehr deutlich, dass wir heute mit diesen Denkmälern lebten, reagierte Koselleck auf Herzbergs Ausführungen. Wir interpretierten sie immer wieder neu. Wenn wir zurückdächten an Initiatoren von Denkmalen, etwa Kriegervereine nach dem Ersten Weltkrieg, würden wir den großen Unterschied feststellen zur damaligen Kirchengemeinde in Güstrow. Was Koselleck so bemerkenswert findet: Barlach und Kollwitz verbindet so stark auch ideell im Gedenken der Toten der Verzicht auf Militarismus, Waffen, Uniform, ebenso das Reduzieren auf das Menschliche, auf den humanistischen Gedanken dahinter. Deshalb findet die Museumsdirektorin es nicht so überraschend, dass Finja Sander sich auf ein solches Projekt einlässt. Ihr sei wichtig, dass Barlach dem „Schwebenden“ eine universelle Form verliehen habe, so Sander. Man könne bis heute nicht wirklich sagen, ob er männliche oder weibliche Züge habe und welcher gesellschaftlichen Schicht er angehöre.

Die Publikumsfrage, inwieweit eine solche Performance das Gedenken und Nachdenken in die nächste Generation trage, bezeichnete Sander als vielschichtig. Ihre Aufführung könne ein guter Impuls sein, wenn dieser weitergetragen werde. Sie sehe sich aber nicht als belehrende Person. „Ich mache nur meine Arbeit.“ Wenn dann aber doch ein gewisser Gedanke greife und das im besten Fall eine gesellschaftliche Wirkung habe, „freut mich das besonders“.

Markus Herzberg: „Nachdenken über unsere Erinnerungskultur“

„Ich war erstmal erstaunt, welche Parallelen im Gesichtsausdruck von Finja Sander zum Schwebenden bestehen“, teilte Markus Herzberg nach der Veranstaltung seine Empfindungen. „Darüber hinaus hat sie mich zum Nachdenken über unsere Erinnerungskultur angeregt.“ Als klug bezeichnete er die Entscheidung, diese Kunstaufführung nicht in unmittelbarer Nähe zum originalen Kunstwerk zu inszenieren. „Denn es geht hier ja nicht um eine originalgetreue Kopie, die dann in Konkurrenz oder Vergleichbarkeit zum ´Schwebenden´ tritt. Sondern die Performance will vielmehr die Intention Barlachs vertiefen bzw. neu anregen über Mahnmäler nachzudenken.“ Zudem stelle sie für ihn auch eine Anfrage an unsere Gedenkkultur. „Am Beispiel der Kaiserdenkmäler wäre dabei ein neuer Gedanke, dass diese zu Verehrung des Kaisers aufgestellten Werke heute als eine Form des Mahnmals zur Geschichte der Kolonialzeit neu zu denken wären.“

Die Performance soll auch nach Ende der Reihe in unregelmäßigen Abständen und auch über die Grenzen Deutschland hinaus wiederholt werden.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich