Ein Gottesdienst mit Erinnerungen und Hoffnungen: Seit November 2021 besteht der Evangelisch-Katholische Arbeitskreis für Ökumene im Stadtbereich Köln vierzig Jahre. Aus diesem Anlass haben nun der Arbeitskreis und die beiden ihn tragenden Institutionen, der Evangelische Kirchenverband Köln und Region sowie der Katholikenausschuss in der Stadt Köln, zu einem ökumenischen Gottesdienst eingeladen. In St. Aposteln am Kölner Neumarkt lautete dessen Motto „40 Jahre auf dem Weg. Aufbrechen – Ankommen – Weitergehen“. Rund siebzig Menschen hörten in der Basilika über die Geschichte und Entwicklung des Arbeitskreises. Mitglieder teilten ihre Erinnerungen und Erfahrungen mit. Erfahrungen, die auch im Licht der gottgeleiteten vierzigjährigen biblischen Wüstenwanderung der Israeliten beleuchtet wurden. Orientierung und Stärkung boten der Josua-Text, Musik von Kantor Thomas Frerichs von der Kartäuserkirche sowie eine Tanz-Performance. Die im Altarraum in einem großen Kreis gehaltenen Fürbitten thematisierten unter anderem die fortgesetzte Förderung „unserer Gemeinschaft, mit- und untereinander“. Zu den Anliegen gehörte auch die Vermeidung des kurz darauf doch ausgebrochenen Krieges in Osteuropa.
Pfarrer Dr. Dominik Meiering äußerte in seiner Begrüßung seine große Freude darüber, in stürmisch-grauen Tagen gemeinsam feiern zu können. „Seit vierzig Jahren sind wir mit dem Arbeitskreis auf dem Weg.“ Und diese über 1000 Jahre alte Kirche weise darauf hin, dass man insgesamt länger gemeinsam verbunden gewesen als in Konfessionen getrennt sei. Herzlich lud er ein, „unsere Bitten an Gott gemeinsam“ himmelwärts zu schicken. Das taten auch die circa zwanzig aktuellen ehrenamtlichen Mitglieder des Arbeitskreises. Dessen Vorsitz bekleiden derzeit der Katholik Franz-Josef Bertram und die evangelische Diakonin Anne Geburtig. Pfarrer Dr. Martin Bock bezeichnete die vier Jahrzehnte des Gremiums als „eine lange Geschichte von vielen Menschen, die aus evangelischen und katholischen Gemeinden zwischen Porz und Weiden, zwischen dem Nordkreuz und der Südkurve unterwegs waren und ihre Sehnsucht und ihre Hoffnungen, ihr Zutrauen und ihre Ängstlichkeit zusammengebracht haben“. Für den Gottesdienst habe man vier Generationen, die im Arbeitskreis unterwegs gewesen seien und noch sind, eingeladen, ihre Sicht, ihre Erinnerung und ihre Hoffnung zusammenzutragen, so der Leiter der Melanchthon-Akademie.
Den Anfang machte Margret Müller. Als langjährige ehemalige katholische Vorsitzende des Arbeitskreises erlebte sie seit 1986 dessen lange Geschichte mit. „Dass er bis heute noch lebendig ist, zeigt uns, dass den einzelnen Mitgliedern Ökumene ein Herzensanliegen ist.“ Am Anfang hätten Christen gestanden, die nicht vergessen hätten, dass uns das Evangelium beauftragt habe, die Trennung der Kirchen zu heilen. „Diesen Anstoß verdanken wir vor allem dem II. Vatikanum und in Folge auch engagierten Theologen und Theologinnen, die uns an der Basis durch ihre Erkenntnisse die Augen geöffnet hatten, dass Ökumene nicht Stillstand bedeuten kann.“ Leider sei Ökumene nie das Lieblingsthema der Kirchen gewesen. „Umso begeisterter wurden wir im Arbeitskreis erfüllt davon, Ökumenetage vorzubereiten und durchzuführen.“ Mit bislang 14 dieser Veranstaltungen habe man das Interesse an der Ökumene in der Stadt wachhalten und stärken können, so Müller. Als ebenso bedeutungsvoll schätzt sie die Beteiligung etwa an der Verabschiedung der Charta Oecumenica, an der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre und Feier des Gedenkens an 500 Jahre Reformation ein. „Gespannt dürfen wir sein, wie sich in Zukunft das ökumenische Leben entwickeln wird und der Arbeitskreis daran Anteil haben kann.“ Müller hob hervor, dass es für „uns Ehrenamtliche sehr wichtig ist, offizielle geistliche Berater an unserer Seite zu wissen, die uns unterstützen“.
Ökumene-Bewegung auf einem Weg der Verwandlung
Bevor Gabi Günther an das Ambo trat, platzierte sie das weiße beschriftete Ökumene-Kleid an ihrer Seite. Dann erläuterte sie die Idee dahinter. Eine Wallfahrt 2012 nach Trier zur Verehrung des Heiligen Rocks habe sie inspiriert, in ähnlicher Form ein Kleid für die Ökumene zu fertigen. Das Ergebnis ist auf der einen Seite beschriftet mit „OECUMENE = (über)lebenswichtig für Köln“. Die andere trägt laut Günther Worte, „die die Grundidee der Ökumene ausdrücken. Es ist damit sozusagen eine stichwortartige Charta Oecumenica entstanden.“ Und so las sie die Begriffe, die mit ihren roten Anfangsbuchstaben OECUMENE ergeben, vor. Von oben nach unten lauten sie Offen für Vielfalt, Einladend, Christusbezogen, Um Versöhnung bemüht, Menschenfreundlich, Evangeliumsgetreu, Neues Denken anregend und Einheitsbejahend. „Damit versteht sich die Ökumene-Bewegung als geistliche Nachfolge Jesu mit dem Ziel, sein Vorbild lebendig zu erhalten und seine Lehre auch heute noch nach draußen weiterzutragen“, erklärte Günther. Weiße Kleider würden seit alters her als Zeichen des gewandelten Lebens genutzt, sagte sie. Wir könnten die Farbwahl auch so verstehen, dass wir uns als Ökumene-Bewegung auf einem Weg der Verwandlung befänden und zu einem immer lebendigeren, menschenfreundlicheren Vertrauen kommen wollten.
Vom improvisierenden Spiel Frerichs begleitet, trug Schauspielerin Dagmar Operskalski einfühlsam den Josua-Text vor. Darin wird Josua als Nachfolger des verstorbenen Moses von Gott verpflichtet, sein Volk in das gelobte Land zu führen. „Ich werde dich nie verlassen und dich nicht aufgeben. (…) Hab keine Angst und verzweifle nicht. Denn ich, der Herr, dein Gott, bin bei dir, wohin du auch gehst“, versichert ihm Gott im Vorfeld der Landnahme. Künstlerin Clara Duncker interpretierte in ihrer Performance das Gehörte – und bezog dabei ein wenig wohl auch die vierzigjährige „Wanderung“ des Arbeitskreises mit ein: Aufbrechen – Ankommen – Weitergehen. Rasch oder langsam gehend, springend, stehend oder sitzend, schweigend oder sprechend, mit Tüchern und Bibel als Utensilien bewegte sich Duncker verhalten bis ausdrucksstark im erhöhten Altarbezirk. Bedrückung, Erleichterung und Freude waren nur einige der dargestellten Empfindungen.
Gemeinsam in einer spirituellen Wildnis auf der Suche
Bock sagte, in der jüdischen Auslegung der vierzigjährigen Wüstenwanderung Israels interessanterweise gelesen zu haben, dass das Volk die Einöde in einen menschlichen Wohnsitz habe verwandeln sollen. „Das finde ich eine spannende Zuschreibung auch für mich. Vier Generationen formen etwas um, damit es menschlicher und bewohnbarer wird.“ Als er 2005 Ökumenepfarrer in Köln geworden sei, habe sich gerade der Wind im Ökumenischen gedreht. „Mindestens zwei Generationen vor mir waren schon unterwegs in Köln, um das Christsein, das zerspalten ist in Konfessionen und Grenzen, wieder bewohnbarer zu machen.“ Im Arbeitskreis sei viel Energie in dieses Umformen und Umgestalten gesteckt worden. Wahrgenommen habe man „manchmal auch nicht so viel Interesse von außen“. Ökumene sei so ein Nischenthema geworden. „Das war unfair gegenüber dieser Aufgabe, dieser Berufung, die in diesem Weg dabei ist.“ Jetzt gehe es wieder darum, sehr achtsam miteinander umzugehen. Bock sieht die katholische Schwesterkirche in einer stürmischen Wetterlage, „und wir sind dicht im Windschatten“. Aber er sehe „sehr viele mutige Menschen, auch heute, die Visionen und Ideen haben, wie Kirche, wie Gesellschaft sein kann, wenn sie ein Wohnsitz sein will. Nichts anderes beschäftigt auch uns evangelische Christen.“ Deshalb sei ihm bewusst: „Wir sind gemeinsam in einer spirituellen Wildnis auf der Suche danach, wie wir die Wüste wieder zu einem Platz machen können, auf dem wir in Gottes Gegenwart verweilen können.“
Ein weibliches Mitglied der Evangelischen Kirchengemeinde Köln-Brück-Merheim arbeitet seit etwa einem halben Jahr im Arbeitskreis mit. „Ich nehme an, ich gehöre zur vierten Generation. Das weiß ich auch erst seit einer Viertelstunde“, hatte sie sich zuvor keine Gedanken darüber gemacht. Für sie sei dieser Arbeitskreis wie eine Einladung zueinander. Superintendentin Andrea Vogel habe um ihre Mitarbeit nachgefragt, weil sie seit der 500 Jahre-Reformationsfeier 2017 im gemeindlichen Ökumenekreis aktiv gewesen sei. Diesen habe sie als Heimat empfunden, „obwohl ich mir vorher nicht vorstellen konnte, dass evangelische und katholische Christen so nett miteinander umgehen“. Tatsächlich seien auch im stadtweiten Arbeitskreis die Atmosphäre und das evangelisch-katholische Miteinander genauso herzlich wie in Brück-Merheim.
Eingangs seiner Predigt über den Josua-Text erinnerte Peter Otten, Pastoralreferent in der Katholischen Pfarrgemeinde St. Agnes, an beeindruckende, menschenbewegende Momente des Weltjugendtages 2005 und des Evangelischen Kirchentages 2007 in und außerhalb Kölns. „So muss es aussehen, wenn Gott das Land nicht nur verspricht, sondern gibt.“ Wie sei es gewesen, als Gott uns das Land gegeben habe, fragte Otten. „Da ist ein Gott, der sagt, nehmt euch dieses Land. Und dann nehmen sie es sich mit Karacho und mit Gewalt“, sprach er vom Josua-Buch als eines der gewalttätigsten im Alten Testament. „Jetzt stonn mer he, und wir machen die Augen zu und überlegen, wie muss es wohl aussehen, wenn wir uns das Land nehmen, das Gott uns versprochen hat.“ Unsere Situation sei ähnlich, meinte Otten. Wir seien in der Realität vielleicht nicht im Exil. Aber, glaubt Otten, gefühlt befänden wir uns noch dort: ein verstreuter Haufen, Institutionskrise, Führungskrise, Ökumene-Krise, Müdigkeit, Missbrauch, Übergriffigkeit. Und wir träumten uns eine Vergangenheit zurück. „Die Zeit der Fahnen und der Prozessionen, Kirchentage und Weltjugendtage.“ Wir träumten uns zurück in die Zeit vor vierzig Jahren, als dieser Kreis mit seiner Arbeit begonnen habe: „Wir sind viele, wir sind bedeutsam, wir sind Volkskirche.“
Otten bezog sich auf Forschungen, die sagten, das mit der Landnahme sei ganz anders gewesen, als es in Josua stehe. „Es gibt keine archäologischen Hinweise dafür, dass das Volk Israel mit Karacho eingefallen ist und die, die da waren, vertrieben hat.“ Vielleicht sei es eher nicht kriegerisch verlaufen, sondern habe wie ein Prozess über Generationen gedauert. „Ein langsames Prägen vorhandener sozialer Strukturen.“ Otten fragte, ob wir jemals Volkskirche gewesen seien. Sei das, was wir als Volkskirchen kennen würden, wirklich Kirche des Volkes, Kirche für das Volk gewesen „War es nicht auch die Kirche des sozialen Drucks, war es nicht auch die Kirche des ´du sollst und du musst´?“
Landnahme anders denken
„Jetz stonn mer he“, wiederholte Otten, was seine Mutter sagen würde. „Und wir bekommen von Josua den Staffelstab in die Hand gedrückt.“ Vielleicht müssten wir uns die Landnahme ganz anders denken, so der Prediger. „Vielleicht beginnt Landnahme, wenn wir das aussprechen, was wir gerade gesehen und gehört haben.“ Beispielsweise nannte er: „Ich werde dir dein Leben lang zur Seite stehen. Genauso wie ich Mose zur Seite gestanden habe. Ich werde dich niemals im Stich lassen. Stellen sie sich vor, einer sagt ihnen das. Stell dir vor, einer sagt dir das, kommt da nicht das Land in Sicht?“ Otten setzte fort mit dieser befreienden Zusicherung: „Stell dir vor, du könntest Leuten vertrauen in einer Welt, die von dir nicht jeden Tag verlangt, dass du misstrauisch bist. Dass du dich vergewissern musst, dass du besser selber nachschaust. Stell dir vor, da gibt es einen, der dir diesen Druck wegnimmt, dass du jeden Tag aufstehst und für alles selber sorgen musst.“
„Hab keine Angst, lass dich durch nichts erschrecken, denn ich, der Herr, dein Gott bin bei dir, wohin du auch gehst. Was wäre, wenn dir das einer sagen würde. Wenn du zuhörst und auf einmal geht deine Angst weg.“ Die Angst, dass es nie reiche. „Wenn das jemand sagen würde, kämen dann nicht Zuversicht und Hoffnung zurück, wäre das nicht Landnahme?“ Die Welt sehne sich nach Glaube, Hoffnung, Liebe. Oder, formulierte Otten säkular, „die Welt sehnt sich nach Vertrauen, Zuversicht und Wertschätzung“ Wo Menschen das einander zusprächen, so wie Gott in diesem Text es dem Josua, da komme das grüne, bunte Land in Sicht. „Nehmen wir den Staffelstab doch in die Hand, sagen wir einander: Vertraue, sei zuversichtlich. Dann kommt wieder Land in Sicht, dann beginnt die Erlösung.“
Foto(s): Engelbert Broich