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Bernd Mombauer ist Geschäftsführer des KALZ und in dieser Funktion zuständig für das GULLIVER.

Diakoniespende 2022/2023: Bernd Mombauer vom GULLIVER – „Wichtiger Bestandteil der Obdachlosenhilfe“

In den kommenden Monaten, bis September 2023, steht die Überlebensstation GULLIVER im Bahnbogen 1 in der Trankgasse am Kölner Hauptbahnhof im Mittelpunkt der Diakoniespende des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region. Die Spende soll unter anderem dazu dienen, die Öffnungszeiten der Überlebensstation auszuweiten. Denn die Anlaufstelle für obdachlose Menschen, die täglich rund 200 Gäste zählt, möchte an 365 Tagen im Jahr statt von 8 bis 15 Uhr von 8 bis 18 Uhr für die Menschen da sein. Träger der Überlebensstation ist das Kölner Arbeitslosenzentrum KALZ. Bernd Mombauer ist Geschäftsführer im KALZ, im GULLIVER sowie im Lobby Restaurant LORE. Er berichtet davon, wie die Anlaufstelle für Obdachlose die Pandemiezeit erlebte.

Die Coronapandemie hat die Welt ein Stück weit ausgebremst. Wie konnten Sie während der Coronazeit mit all ihren Beschränkungen in der Überlebensstation GULLIVER weiterhin für die Menschen da sein?

Bernd Mombauer: Das konnten wir erst einmal tatsächlich bedauerlicherweise nicht. Der Cafébetrieb des GULLIVER wurde zum 17. März 2020 zunächst geschlossen. Am gleichen Tag mussten wir auch den Sanitärbereich nach einem Telefonat mit dem Gesundheitsamt der Stadt Köln vorübergehend schließen. Eine Aufrechterhaltung der Angebote erschien uns unter den gegebenen Bedingungen in jeder Hinsicht nicht verantwortbar, was unsere Gäste akzeptierten. Sie hatten das im Grunde schon erwartet. Es wurde aber sichergestellt, dass die wohnungslosen Menschen weiter zweimal wöchentlich ihre Post entgegennehmen konnten und Zugang zu ihren Gepäckfächern haben. Außerdem wurde eine telefonische Erreichbarkeit, wochentags von 10-14 Uhr, eingerichtet. Schon wenige Tage später konnten wir schrittweise wieder unsere Unterstützung anbieten. Nach dem Lockdown nahmen alle Arbeitsgelegenheit-Teilnehmende (AGH) ihre Tätigkeit in der Überlebensstation GULLIVER und im Restaurant LORE in Präsenzform wieder auf. Das zeigt die hohe Affinität und Motivation der AGH-Beschäftigten zur Einrichtung, zum Team, zur eigenen Beschäftigung und Verantwortung.

Wie ist GULLIVER in dieser Zeit finanziell über die Runden gekommen – gab es weiterhin Unterstützung durch Spenden?

Bernd Mombauer: GULLIVER erlebte in den Pandemiejahren 2020 bis 2023 eine in diesem Umfang noch nie erfahrene Solidarität für Obdachlose. Neben der Unterstützung durch den Evangelischen Kirchenverband Köln und Region, seiner Diakoniestiftung und der Diakoniespende sowie die Sozialverwaltung der Stadt Köln, offenbart sich auch im gesellschaftlichen und politischen Raum, dass GULLIVER in Köln als wichtiger Bestandteil der Obdachlosenhilfe und als ein zentraler Punkt der sozialen Arbeit anerkannt wird. Wir durften eine große Solidarität und Unterstützung auch aus der Kölner Bürgerschaft erfahren. Das übertraf alle Erwartungen, Hoffnungen und die ohnehin schon überaus große Unterstützung der vergangenen Jahrzehnte seit Gründung im Jahr 2001. Diese Unterstützung wurde in konkrete Hilfen und die zumindest partielle Verbesserung der Lebenssituation von Menschen, die auf der Straße leben und „Platte machen“, umgesetzt. Diese Solidarität hat unsere obdachlosen Gäste sowie Mitarbeitende und Verantwortliche in GULLIVER und LORE auch seelisch durch eine außergewöhnlich schwierige Zeit getragen.

Wie haben Sie sich, die Gäste und die Mitarbeitenden geschützt? Gab es eine Maskenpflicht, haben sie zum Beispiel Desinfektionsmittel verteilt?

Bernd Mombauer: Mit Beginn der Coronapandemie wurde unser bestehendes Hygienekonzept deutlich erweitert. Neben baulichen Maßnahmen, zu denen eine erweiterte Lüftung, Spuckschutzglaswände, Abstandshalter und -markierungen und Türdrücker gehörten, haben wir sehr auf den einzuhaltenden Abstand zwischen den Mitarbeitenden als auch zwischen den Gästen geachtet. Verpflichtend für alle war das Tragen von FFP 2-Masken. Desinfektionsspender stehen auf jeder Etage. Das machte es möglich, die Angebote so sicher wie möglich fortzuführen. Um Abstandsregeln einzuhalten, wurden unter anderem die Dienstpläne entzerrt. Insgesamt spielten ein zahlenmäßig regulierter Einlass, Abstandsregeln, die Bereitstellung von Handschuhen und Desinfektionsmitteln, die Maskenpflicht und die kostenlose Ausgabe von Corona Tests in dieser Zeit bei uns eine große Rolle. Während des gesamten Pandemiezeitraumes konnten so glücklicherweise Infektionsketten verhindert werden. Zu einem späteren Zeitpunkt haben wir 5000 FFP 2 –Masken von einem privaten Spender und weitere 15.000 vom Land NRW erhalten. Diese wurden kostenfrei an unsere obdachlosen Gäste und Mitarbeitenden ausgegeben. Die Maskenpflicht endete in GULLIVER zum 28. Februar 2023.

Wie haben ihre Gäste diese Zeit empfunden?

Bernd Mombauer: Die Themen in den Beratungen veränderten sich aufgrund der Pandemie massiv. Besonders zu Beginn gab es viel Aufklärungsbedarf. Ängste rund um das Virus waren vorherrschend. Ein weiterer arbeitsintensiver Punkt war der erschwerte Zugang zu Ämtern. So haben die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter mehrmals wöchentlich für Gäste online Termine beim Bürgeramt vereinbaren müssen, damit diese sich um Dinge wie die Neuausstellung eines Personalausweises oder um die An- oder Abmeldung ihres Wohnsitzes kümmern konnten. Viel nachgefragt wurden auch Unterbringungsmöglichkeiten. Hier half unser Team an Sozialarbeitern, telefonischen Kontakt herzustellen oder Unterlagen zu faxen, da eine persönliche Vorsprache in der Fachstelle Wohnen nicht möglich war. Mehr als ohnehin schon, wurden wegen der Angst vor Ansteckung Einzelzimmer in der Notunterkunft von den obdachlosen Nutzerinnen und Nutzern gewünscht.

Machten die Isolationsmaßnahmen für Menschen, die wohnungslos sind, einen Unterschied?

Bernd Mombauer: Durch das Pandemiegeschehen hat sich die Situation der wohnungslosen Menschen enorm verschärft, da die Angebote der Wohnungslosenhilfe und des öffentlichen Raumes generell nicht mehr in dem bisher gewohnten Umfang zur Verfügung standen. Neben einem erhöhten organisatorischen Aufwand stellten wir fest, dass die Menschen einen großen Gesprächsbedarf rund um das Thema Corona haben. Viele obdachlose Menschen fühlten sich aufgrund ihrer Lebenssituation ungeschützt, hilflos und noch mehr gesellschaftlich ausgegrenzt als ohnehin schon zu Zeiten vor der Pandemie. Besondere Wichtigkeit für die Gäste in GULLIVER hatte daher die ganzjährige Öffnung der Einrichtung an 365 Tagen im Jahr auch in Zeiten der Pandemie.

Haben Sie Impfaktionen angeboten? Wie wurde dieses Angebot angenommen? Wurde in den Räumen von GULLIVER geimpft oder haben sie die Menschen aufgesucht?

Bernd Mombauer: Zu Beginn der Pandemie konnten in GULLIVER in Zusammenarbeit mit der Stadt Köln, dem Amt für Soziales und dem Amt für öffentliche Ordnung, der Kassenärztlichen Vereinigung, der Berufsfeuerwehr, der Bundespolizei und der Deutschen Bahn an fünf Terminen insgesamt 680 Menschen geimpft werden. Außerdem bot sich die Möglichkeit, sich im Rahmen zweier Studien des Virologen im Severins-Klösterchen, Prof. Dr. Mark Oette, von medizinischem Fachpersonal in der Einrichtung auf Covid-19 testen zu lassen. Diese Tests fanden an mehreren Wochenenden statt und hatten regen Zulauf. Erste Ergebnisse der Studie wurden mittlerweile im Deutschen Ärzteblatt und Im Kölner Stadt Anzeiger veröffentlicht.

Konnten Sie ihre ehrenamtlich getragenen Angebote, wie Friseur, Fußpflege oder die Kleiderkammer aufrechterhalten? Wie wurde das umgesetzt?

Bernd Mombauer: Um Gruppenansammlungen und Wartezeiten zu vermeiden, wurde das Konzept der Kleiderkammer so umgestellt, dass es bei Bedarf während der Öffnungszeiten zu einer Einzelausgabe durch die Mitarbeitenden kam. Das Angebot wurde sehr stark nachgefragt. Im Jahr 2021 wurden 4350, 2022 4542 Menschen mit Kleidung ausgestattet.  Während der Phasen des Lockdowns und des Verbots körpernaher Dienstleistungen musste das Friseurangebot immer wieder unterbrochen werden. Insgesamt konnten aber 2021 fünfzig und im Jahr 2022 hundertfünfundvierzig wohnungslosen Personen die Haare geschnitten werden. Die medizinische Fußpflege gibt es seit 2016. Jedoch musste auch dieses Angebot vorübergehend unterbrochen werden. Im vorigen Jahr allerdings wurde 46 Personen eine kostenfreie Fußpflege ermöglicht.

www.diakoniespende-koeln.de

Text: Katja Pohl
Foto(s): Archiv