Das Jahr 1991 war voller bedeutsamer Ereignisse. Der Warschauer Pakt löst sich auf, Boris Jelzin wird zum russischen Präsidenten gewählt, der Bundestag beschließt den Umzug von Bonn nach Berlin, beliebtester Film ist „Der mit dem Wolf tanzt“, die Roten Teufel vom 1. FC Kaiserslautern werden Deutsche Fußball-Meister. Und Sabine Petzke wird Pfarrerin in der Evangelischen Kirchengemeinde Pulheim.
Sabine Petzke schrieb Geschichte
Jetzt wurde sie in einem Gottesdienst in der Gnadenkirche von Superintendent Markus Zimmermann entpflichtet und tritt in Kürze ihren Ruhestand an. „Dass Sabine Petzke nun in den Ruhestand geht, ist auch für mich kaum zu glauben“, sagte Zimmermann vor der Entpflichtung. Kraft, Ideen und Kreativität seien ja noch da, nach 31 Jahren Dienst in der Kirchengemeinde Pulheim und dem „segensreichen übergemeindlichen Engagement im Kirchenkreis Köln-Nord“. Sabine Petzke sei als Westfälin eine echte Bereicherung für das Rheinland gewesen. Und sie habe Geschichte geschrieben: „Sie hat sich damals als Erste in der Rheinischen Landeskirche mit ihrer Kollegin Renate Röver eine Stelle geteilt, ohne dass die beiden verheiratet waren.“
Der Superintendent lobte Sabine Petzkes „Menschenliebe, hohe Verbindlichkeit, Zuverlässigkeit, Gestaltungsfreude, Loyalität, Unterstützung und Freundschaft sowie die fröhliche Zuversicht, die Du immer wieder ausstrahlst und mit der Du andere Menschen ermutigst und tröstest“. Beispielhaft nannte Zimmermann die Leseabende, die Osternächte und die Miriam-Gottesdienste, die Petzke gestaltet habe. Auch die Mitarbeit im Pfarrkonvent ist dem Superintendenten in guter Erinnerung geblieben. „Sabine Petzke war stets sehr strukturiert und hatte immer gute Laune.“
Abschiedspredigt
Die derart Gelobte eröffnete ihre Abschiedspredigt mit einem Bild. Sie habe, so Petzke, in Zügen oft erlebt, dass die Leute in Fahrtrichtung Platz nähmen. Das sei ihr bei ihren Zugfahrten nicht so wichtig gewesen. In Fahrtrichtung habe man die Vergangenheit im Rücken und schaue in die Zukunft. Gegen die Fahrtrichtung sitzend sehe man das Vergangene, aber nicht das, was komme. Man könne sich überraschen lassen. „In der letzten Zeit saß ich bildlich gesprochen immer mal wieder mit dem Rücken zur Lok und habe mir angesehen, was jetzt hinter mir liegt: das Schmerzliche und das Ermutigende.“
Das Gemeindeleben habe sehr viel mit unterschiedlichen persönlichen Beziehungen zu tun. Petzke sprach das Thema Kirchenaustritte an. Oft hat sie gehört, dass Austritte mit persönlichen Verletzungen und Fehlverhalten von Pfarrerinnen und Pfarrern zu tun gehabt haben. „Nach solchen Gesprächen habe ich gehofft, dass nicht allzu viele Austritte auf mein Konto gingen.“ Die Verantwortung, im Pfarrberuf so stark als Person wahrgenommen zu werden, sei schon belastend. Tröstend sei gewesen, was ein älteres Gemeindeglied ihr gesagt habe: „Wir sollen über unsere Pfarrer und Pfarrerinnen nicht schlecht reden, sondern für sie beten. Fand ich gut.“
Für die Predigt hatte sie sich die Pfarrerin Verse aus dem Jeremia-Buch ausgesucht, die auch im Gottesdienst des Weltgebetstages eine Rolle spielen werden. „Darin geht es um Frieden, um Zukunft und Hoffnung. Themen, die ja gerade jetzt in mehrfacher Hinsicht aktuell sind.“ Petzke zitierte: „Ich allein weiß, was ich mit Euch vorhabe, so Gottes Spruch. Pläne des Friedens und nicht des Unglücks. Ich will Euch Zukunft und Hoffnung schenken. Der Mensch denkt, Gott lenkt. So hat man früher schon gesagt.“ Die Corona-Pandemie habe allen vor Augen geführt, wie leicht Pläne über den Haufen geworfen werden könnten. Und wie werde es nach der Pandemie weiter gehen? „Wer wird welche Angebote annehmen? Wer wird aufgreifen, was gerade dran ist? Wie können wir das Wort der Hoffnung weitergeben, das sich niemand selber sagen kann?“
Für die ersten Adressaten der Hoffnung sei die Zusage überraschend gekommen: „Sie befanden sich in 70-jähriger Quarantäne im babylonischen Exil. Abgeschottet von ihrem vertrauten Leben.“ Und dann sei ein ‚Brief des Propheten gekommen, in dem es geheißen habe, sie sollten dort Häuser bauen. Und Gärten anlegen und Familien gründen. So hätten sie sich ihre Zukunft nicht vorgestellt. Die Pfarrerin wechselte in die Gegenwart. Viele Gemeinden hätten jüngst ein Sabbatjahr eingelegt, ohne besondere Aktivitäten, um herauszufinden, was sie wirklich brauchen würden. Das babylonische Exil könne man als unfreiwillige Sabbatjahr-Maßnahme verstehen. Man habe herausgefunden, dass Gott zu suchen und Gottesdienste zu feiern nicht an den Tempel Jerusalems gebunden war. Darüber hinaus hätten die Exilanten ihre Niederlage als gottgewollt verstanden und eigene Verfehlungen als Ursachen für ihren Tiefpunkt gedeutet. Der Sabbat sei eine Erfindung der Exilzeit.
„Im Nachhinein können wir sagen, dass das Volk die Exilzeit gut genutzt hat. Das ist Ausgangspunkt für meine Wünsche an die Gemeinde. Ich würde mich freuen, wenn bei uns die Neuorientierung und die theologische Bedenkzeit zu ähnlich kreativen Ergebnissen führen könnte. Vielleicht schält sich ja in der Auszeit der Pandemie heraus, was wichtig ist für unser Gemeindeleben.“ Jede einzelne Person zähle, die sich einbringe. Und doch sei die Lebendigkeit der Gemeinde nicht personenabhängig. „Ich vertraue ganz auf Gottes guten Geist der Inspiration.“ Petzke erinnerte an einen Satz des Kirchenvaters Augustin: „Unruhig ist unser Herz, bis dass es Ruhe findet in Dir.“ Eine solche heilsame Unruhe wünschte sie der Gemeinde und sich selbst für ihren Ruhestand. Beziehungsweise „Ruhegang. Oder Ruheweg.
Foto(s): Stefan Rahmann