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Die Karfreitags-Predigt 2011 des Stadtsuperintendenten


Predigt des Stadtsuperintendenten Rolf Domning an Karfreitag, 22. April, um 9.45 im Abendmahlsgottesdienst der evangelischen Kartäuserkirche in der Kölner Südstadt über Lukas 23,32-43



Kanzelgruß.
Ich lese den Predigtext, er steht im Lukasevangelium in Kapitel 23, die Verse 33 bis 49:
33 Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken.
34 Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun! Und sie verteilten seine Kleider und warfen das Los darum.
35 Und das Volk stand da und sah zu. Aber die Oberen spotteten und sprachen: Er hat andern geholfen; er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes.
36 Es verspotteten ihn auch die Soldaten, traten herzu und brachten ihm Essig
37 und sprachen: Bist du der Juden König, so hilf dir selber!
38 Es war aber über ihm auch eine Aufschrift: Dies ist der Juden König. 39 Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn und sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns!
40 Da wies ihn der andere zurecht und sprach: Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist?
41 Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan.
42 Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst!
43 Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.
44 Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde,
45 und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels riss mitten entzwei.
46 Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt hatte, verschied er.
47 Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und sprach: Fürwahr, dieser ist ein frommer Mensch gewesen!
48 Und als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da geschah, schlugen sie sich an ihre Brust und kehrten wieder um.
49 Es standen aber alle seine Bekannten von ferne, auch die Frauen, die ihm aus Galiläa nachgefolgt waren, und sahen das alles.

Liebe Gemeinde,
bestimmt ist der eine oder die andere von Ihnen schon einmal an der St. Agneskirche am Neusser Platz vorbeigekommen. Vor dem Portal von St. Agnes steht auf einem steinernen Sockel ein großes Kruzifix. Da hängt also Jesus, angenagelt an die Kreuzesbalken, um die Hüften ein Tuch geschlungen, auf dem Haupt die Dornenkrone. Sein Gesicht ist zu Boden geneigt, das bärtige Kinn auf die Brust gefallen.
Solche Kruzifixe sind – zumindest im christlich geprägten Europa – nichts Besonderes. Man findet sie überall im öffentlichen Raum, in katholischen Gegenden sicher noch etwas häufiger als in protestantischen, aber auch uns Evangelischen ist die Darstellung des Gekreuzigten vertraut. Und das aus gutem Grund: Im Kreuzestod Jesu wurzelt schließlich die ganze Hoffnung christlichen Glaubens.
Zugleich wirken solche Kruzifixe in unserer modernen Gesellschaft als Störzeichen, ja als verstörende Verweise auf das ganz Andere. Man muss sich klar machen: Da hängt, für alle sichtbar, ein gemarterter und geschundener Mensch – einer, der zu Tode gefoltert wurde. An die Chiffre haben wir uns wohl gewöhnt, denn die Bildnisse des sterbenden Jesus gehören zu unserer kulturellen Ikonografie. Doch das öffentliche Zurschaustellen menschlicher Grausamkeit bleibt etwas Unerhörtes…

Und tatsächlich gibt es immer mehr Menschen, die mit dem Leiden Christi nicht mehr in dieser – sie abstoßenden Darstellung – konfrontiert werden wollen. Manche befürchten gar einen schädlichen Einfluss auf ihre nachkommen – in den vergangenen Jahren sind bekanntlich immer wieder Eltern vor Gericht gezogen, die ihre Kinder vor dem Anblick des Gekreuzigten schützen wollten. Und die deshalb verlangten, dass das Kruzifix im Schulzimmer abgehängt wird.
Auch die Moderatorin und Buchautorin Charlotte Roche hat so ihre Probleme mit der Darstellung des Gekreuzigten. Sie lebt mit ihrer Familie hier in Köln, und in einem Interview hat sie einmal geschildert, wie sie mit ihrer kleinen Tochter regelmäßig an der Agneskirche vorbeimusste. Und dass diese Tochter – zu der Zeit war sie et-wa fünf oder sechs Jahre alt – jedes Mal Angst hatte vor dem Schmerzensmann am Kreuz. Um sie zu beruhigen, hat Charlotte Roche, so berichtet sie, ihrer Tochter dann jedes Mal erzählt, dass der Mann sich nur festhalte an dem Balken, weil er sonst herunter falle. Sie habe ihr einfach nicht sagen können, dass es Menschen gibt, die andere ans Kreuz nageln.

Ja, dieser gekreuzigte Jesus wirkt störend und verstörend, und das in vielerlei Hinsicht. Ich bekenne: Auch mir selbst ist es schwergefallen, das Bild meinen Kindern zu erklären.
Ja, da ist zunächst einmal das ganz Offensichtliche, das Sichtbare. Eben jener geschundene, leidende Mensch, vor dem sich Kinder vielleicht fürchten und der auch Erwachsenen zusetzen kann, wenn sie ihn nur eingehend genug betrachten. Weil ihnen dann klar wird, was Menschen anderen Menschen antun können, weil sie nachempfinden können, was dieser Jesus von Nazareth in seinen letzten Stunden erlitten hat. Aber ist das nicht auch Teil unseres Lebens – auch die schmerzhaft empfundene sichtbare Wirklichkeit unserer Kinder, wenn sie die medialen Bilder der globalen Katastrophen im Fernsehen verfolgen müssen?

Deshalb Karfreitag. Ein Tag an dem wir gerade dann nicht vorbeikommen, wenn wir wahrhaftig Ostern feiern wollen. Karfreitag ist ein Tag, den wir nicht aussparen dürfen, auch wenn es uns schwerfällt, unsere Kinder diesem Tag, diesem Kreuz und diesem Gekreuzigten auszusetzen.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht – mir fällt es schwer, solange ich diesen Tag nicht ausgehalten habe, den Menschen am Beginn der Karwoche mit Blick auf den Sonntag schon „Frohe Ostern“ zu wünschen, obwohl das, zumal in Köln, schon so Brauch ist, wie ich auch in diesem Jahr immer wieder erfahren habe. Verständlich, vielleicht, einfach nur gedankenlos – ja, eben…
Doch längst nicht bei allen ruft der hingerichtete Jesus Mitleid hervor – in der Passionsgeschichte haben manche für diese Jammerge-stalt am Kreuz vor allem Spott übrig. Sie sehen nicht das Leid eines Menschen, sie sehen eine Witzfigur. Und auch das scheint eine durchaus menschliche Regung zu sein: Auch unser Predigttext bietet gleich mehrere Beispiele dafür, wie sich die Zuschauer über den angeblichen Gottessohn lustig machten. „Er hat so vielen geholfen, nun soll er sich selber helfen, dieser Christus, dieser Auserwählte Gottes!“ So spotten die „Oberen“ der Priesterhierarchie unter dem Kreuz. Römische Soldaten machen ihre Späße, indem sie dem dürstenden Jesus Essigwasser zu trinken geben und über ihm das berühmte Schild anbringen: König der Juden. Selbst einer der Verbrecher, die neben ihm gekreuzigt werden, schafft es noch, Jesus zu verhöhnen: „Du bist doch der Christus, nun tu was und hilf uns und dir!“
Es ist ja auch geradezu absurd: Da zieht einer jahrelang als Wanderprediger durch die Lande und vollbringt angeblich Wunder, ja behauptet von sich, der Messias zu sein, verkündet das anbrechende Reich Gottes – und endet dann wie ein gewöhnlicher Krimineller kläglich am Kreuz. Dass „so einer“ nicht unbedingt als Identifikationsfigur taugt, ist nachvollziehbar – heute wie vor 2.000 Jahren, oder nicht? Der Apostel Paulus hat deshalb vom „Skandalon“ des Kreuzes gesprochen (1.Kor. 1,18ff).

Wir Menschen lieben das Schöne, das Erfolgreiche, das Heldenhafte. Stars und Sieger werden vergöttert und angebetet – mit den Gescheiterten, den Verlierern will sich niemand gemein machen. Kürzlich erschien eine Studie mit dem Titel „Deutsche Zustände“ . Darin ist nachzulesen, wie sich unsere Wertmaßstäbe schleichend verän-dern. Sicher, schon immer gab es Reichere und Ärmere, erfolgreiche und weniger erfolgreiche Menschen. Vor einigen Jahren, Jahrzehnten insbesondere in den Zeiten des Wiederaufbaus, so erzählen es die Älteren jedenfalls, hat der, der es zu etwas gebracht hatte noch eine gewisse Dankbarkeit empfunden: Dankbarkeit gegenüber der Gesellschaft, die den eigenen Erfolg erst ermöglicht hat. Und es gab eine grundsätzliche Solidarität mit den Menschen, die vom Schicksal nicht so verwöhnt waren.
Die „alte“ Solidarität, dieses Gefühl früherer Generationen von Zusammengehörigkeit scheint unter uns mehr und mehr zu schwinden… Wo immer möglich, versucht die wohlhabende Mittelschicht sich abzugrenzen von den Verlierern der Gesellschaft, von all den Arbeitslosen, den Hartz-4-Empfängern, dem Prekariat. Denn wer heute erfolgreich ist, betrachtet das als seine ganz persönliche Leistung: Alles, was ich geschafft habe, verdanke ich nur mir allein!
Umgekehrt werden auch Armut und Misserfolg in erster Linie als individuelles Versagen gewertet. Wer keinen Job hat, der ist eben nicht motiviert genug. Wer pleite geht, hat nicht an den eigenen Er-olg geglaubt. Wer körperlich nicht fit ist, hätte wohl mehr härter trainieren und mehr an sich arbeiten müssen. Alles eine Sache der Einstellung und des persönlichen Engagements.
Von einer „Vereisung des sozialen Klimas“ sprechen denn auch die Autoren der Studie, von einem „Klassenkampf von oben“. Die Bereitschaft, Schwächeren zu helfen oder sich auch nur in ihre Situation einzufühlen, sei stark gesunken.
Wenn das wirklich alles so zutrifft, dann kann ich nur sagen: Was für eine Zumutung muss das Bild des Gekreuzigten für diese Gesellschaft sein! Dieser Verlierer-Typ, der sich freiwillig hinrichten und verhöhnen lässt, der seine Peiniger zu allem Überfluss auch noch in Schutz nimmt: „Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht was sie tun.“ Ein Skandalon, Skandal?

Liebe Gemeinde, der Karfreitag ist in die Diskussion gekommen. Für uns ist er noch immer ein wichtiger Feiertag – auch wenn die Bereitschaft in unserer Gesellschaft zu schwinden scheint, diesen Tag noch angemessen begehen zu wollen. Für uns Christinnen und Christen bleibt Karfreitag ein stiller Feiertag. Dabei wird niemand gezwungen, diesen Feiertag – als Anders- oder Nichtgläubiger – mit uns zu feiern.
Zugleich ist der Karfreitag ein Kulturgut, für das wir uns einsetzen. Doch selbst wenn es diesen Konsens in unserer Gesellschaft eines Tages nicht mehr geben sollten, wenn der Karfreitag als gesamtgesellschaftliches Kulturgut tatsächlich einmal obsolet werden sollte, dann würden wir Christinnen und Christen diesen Tag trotzdem feiern – nach Feierabend und so still, wie es uns eben möglich wäre. Denn dieser Tag ist uns wichtig, er bleibt uns wichtig. Und er sollte nicht eines Tages mutieren zum „Karnickelfest“ im Eiapopeia-Land des Osterhasen“, wenn Sie mich fragen.
Diese Welt, unsere Schöpfung, ist schön und schrecklich. Die Fähigkeit zu trauern, wir dürfen sie nicht verlieren, wenn künftige Generationen nicht infantiliert werden sollen – und seelisch krank. Oder um es mit Kurt Marti zu sagen, nicht ohne Ironie: „ostern. christus lebt. die hasen sterben aus“ – knapper und treffender kann man es nicht sagen.

Die Kreuzigung Jesu ist verstörend und geheimnisvoll: Er fügt sich in sein Schicksal. Er geht in den Tod, um uns Menschen mit Gott zu versöhnen: „Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird“, spricht Jesus beim letzten Abendmahl mit den Jüngern: „Das ist der Kelch, das neue Testament in meinem Blut, das für euch vergossen wird.“
So wird der Tod Jesu zum Zeichen der Versöhnung Christi. Ein Gewaltakt wird zu einem Gegenentwurf zur Gewalt. Und auch darin liegt auch die besondere Bedeutung des Karfreitages. Der später von den Nazis ermordete Dietrich Bonhoeffer schrieb zum Jahreswechsel 1942/43 in seinem Glaubensbekenntnis: „Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.“

Amen.


Und noch ein Tipp: Die Ostertermine im Evangelischen Kirchenverbabnad Köln und Region

Alle Konzerte
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Alle Gottesdiensttermine in Köln und Region sehen Sie auf einen Blick hier.

Text: Rolf Domning
Foto(s): Schulzki