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Stadtführung Köln mit anderen Augen: Die Protestanten in der Kölner Südstadt

Der frohen Botschaft tut es keinen Abbruch, wenn Pfarrer Hans Mörtter hinterlistig sogar die Kirchenbänke zur Verkündigung nutzt: „Da fließen die Gefühle von Arsch zu Arsch.“ Deshalb hat sich das Presbyterium der Lutherkirche in der Südstadt vor Jahren gegen Stühle entschieden und statt dessen die alten Eichenbänke modernisiert. Die Lutherkirche war Station eines Spaziergangs aus der Reihe „Köln mit anderen Augen“ der Evangelischen Informationsstelle Köln, bei dem Bärbel Link Geschichte und Gegenwart der Protestanten in der Südstadt vorstellte.

Die Glocken des Lutherturms

Die Kirche wurde 1907 eingeweiht, ihr markanter Turm ragte damals 38 Meter in die Höhe. Damals war das gesamte Gelände der Gemeinde an der Volksgartenstraße Kirche. „Im zweiten Weltkrieg wurde die Kirche komplett, der Turm teilweise zerstört. Drei Etagen sind einfach heruntergeplumpst“, berichtet Mörtter. Drei Glocken von 1924 riefen die Gläubigen in die Gottesdienste. Heute genießen sie einen zwiespältigen Ruf als Wecker für das feierfreudige Volk rund um den Martin-Luther-Platz. Früher aufgestanden sind die rund 100 Gottesdienstbesucher, die Mörtter an „normalen“ Sonntagen begrüßt. Das ist im Vergleich zu anderen evangelischen Kirchen überdurchschnittlich, „und 90 Prozent davon sind zwischen 25 und 50 Jahren alt“, merkt Mörtter an. Das hängt wohl auch mit dem „Regelverletzer-Ruf“ zusammen, der der Gemeinde anheftet. Hier wurden 1994 erstmals Schwule in einer Kirche getraut, hier liefen auch schon mal Models in ausgefallenen Klamotten über den Laufsteg. „In der katholischen Kirche ist der Raum heilig, die Evangelischen betrachten ihre Kirchen als ,Lebensräume'“, erklärt Mörtter den Unterschied.


Eindrucksvoll erhebt sich hinter dem Altar das sechs mal zwölf Meter große Altartuch, auf dem eine abstrakte Passionsdarstellung zu sehen ist. Daran hat der griechische Künstler Christos Koutsouras, der damals in der Südstadt wohnte, 1994 wochenlang in der Kirche gearbeitet. Menschen kamen vorbei, um den Fortgang der Arbeiten zu erleben, die Gottesdienste wurden in Atelier-Atmosphäre gefeiert. Das in weiten Teilen blutrote Tuch stieß nicht bei allen Gläubigen auf Zustimmung, aber Mörtter setzte sich durch. „Ich könnte ohne dieses Tuch nicht arbeiten. Außerdem ist Kunst nicht demokratiefähig.“ Da sich im übrigen kein Kritiker fand, der das riesige Tuch abhängen wollte oder konnte, blieb es einfach hängen.

Protestanten auf dem Gelände der Kartäusermönche

Untrennbar verbunden ist die Geschichte der Protestanten in der Südstadt ausgerechnet mit den Kartäusermönchen. Auf deren ehemaligem Klostergelände residiert heute der Evangelische Stadtkirchenverband, die Dachorganisation der Protestanten in Köln und Umgebung bis nach Bergheim und Bergisch Gladbach. Die Kartäuser, die großen Schweiger, die nur sonntags beim Spaziergang auf dem Klostergelände eine Stunde miteinander sprechen durften, wurden 1794 über Nacht von den französischen Besatzern aus ihrem Kloster vertrieben. Das diente unter Napoleon als Lazarett und später als Finanzamt. Die Kartäuserkirche, gegründet 1396, wurde von der Franzosenzeit bis 1928 als Wagenremise benutzt.

Bis zu ihrer Vertreibung im Zuge der Säkularisation im Rheinland waren die Kartäuser ein hoch angesehener und reicher Orden. In Köln hatte sich die Frömmigkeit der Mönche herumgesprochen, deren Kloster an der Stadtmauer unter dem Turm der Ulrepforte lag. Spendengelder flossen an die Kartäuser, gegeben in der Hoffnung, diese würden für den Stifter beten, um ihm den Aufenthalt im Fegefeuer zu verkürzen. Dem standen sie ohnehin näher als die, für die sie beteten. Denn alt wurden die Mönche in ihrem kärglichen Leben nicht. Hinter ihren kleinen Häuschen, in denen sie allein lebten, bauten sie Gemüse in ebenso kleinen Gärten an. Aus der Küche erhielten sie ihr Essen durch eine Luke, ohne zu wissen von wem. Wenn sie nicht beteten oder Messen feierten, schrieben sie die Bibel ab oder fertigten Rosenkränze an. Flucht war praktisch unmöglich. Wer ausbüxte, wurde gnadenlos eingefangen und wieder ins Kloster gesteckt. Darüber verfiel wohl mancher dem Wahnsinn.

Tipp
Weitere Führungen und Stadtspaziergänge der Evangelischen Informationsstelle „Köln mit anderen Augen“ finden Sie hier.

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Stefan Rahmann