Die entscheidenden Sätze sagte Dr. Stefan Muckel gleich zu Beginn seiner Ausführungen: „Das Recht auf Glaubensfreiheit ist ein vorbehaltloses Grundrecht. Da muss die Verwaltung nichts gestatten. Der Ruf des Muezzin ist nicht zulassungspflichtig und vom Grundgesetz geschützt. Ob uns das passt oder nicht. Freiheit ist manchmal anstrengend. Vor allem die der anderen“, erklärte der Professor für Öffentliches Recht und Religionsrecht Universität zu Köln.
Unter Federführung der Oberbürgermeisterin von Köln, Henriette Reker, startet die Stadt ein Pilotprojekt: Muslimische Gemeinden können beantragen, dass ein Muezzin zum Freitagsgebet rufen darf. Zwei Anträge von Gemeinden sind bisher bei der Verwaltung eingegangen. Darüber diskutierten im Domforum Bettina Baum, designierte Leiterin des Kölner Amtes für Integration und Vielfalt, Lale Akgün, Mitbegründerin der Initiative Säkularer Islam, Professor Dr. Thomas Lemmen, Referat für Dialog und Verkündigung im Erzbistum Köln, Abdassamad El Yazidi, Sprecher des Koordinationsrates der Muslime Deutschland (KRM) und Pfarrerin Dorothee Schaper von der Melanchthon-Akademie Köln. Es moderierte die Islamwissenschaftlerin und Journalistin Marfa Heimbach.
Antrag an die Verwaltung
Eingeladen hatten das Katholische Bildungswerk Köln, der Katholikenausschuss in der Stadt Köln und die Melanchthon-Akademie Köln. Bettina Baum erinnerte an die Geschichte des Verwaltungsbeschlusses. „Als Zeichen der Solidarität haben christliche Gemeinden im vergangenen Jahr im Lockdown die Glocken geläutet. Einige muslimische Gemeinden haben gesagt, dass sie auch solidarisch sein und ein Zeichen setzen möchten. Sie haben ihre Muezzine rufen lassen und haben gesagt, dass sie das gern fortsetzen würden. Dem wollen wir mit dem Pilotprojekt Rechnung tragen.“ Allerdings gibt es klar umrissene Regeln. In der Praxis muss jede Moscheegemeinde, die sich an dem Projekt beteiligen möchte, einen Antrag an die Verwaltung stellen. Festgelegt durch einen Vertrag erfolgt dann die formelle Zustimmung, den Gebetsruf zum mittäglichen Freitagsgebet an der jeweiligen Moschee zu praktizieren.
Der so geschlossene Vertrag enthält individuelle Auflagen, die von der antragstellenden Moscheegemeinde zu erfüllen sind. So darf der Gebetsruf freitags nur in der Zeit zwischen 12 bis 15 Uhr und für die Dauer von maximal fünf Minuten erfolgen. Auch die Lautstärke des Rufes wird je nach Lage der Moschee mit einer unterschiedlichen Höchstgrenze festgelegt. Die Oberbürgermeisterin hatte unmissverständlich erklärt: „Musliminnen und Muslime, viele von ihnen hier geboren, sind fester Teil der Kölner Stadtgesellschaft. Wer das anzweifelt, stellt die Kölner Identität und unser friedliches Zusammenleben infrage. Wenn wir in unserer Stadt neben dem Kirchengeläut auch den Ruf des Muezzins hören, zeigt das, dass in Köln Vielfalt geschätzt und gelebt wird.“
Unterschiede zwischen Glockengeläut und Muezzin-Ruf
Abdassamad El Yazidi erklärte, dass der Muezzin-Ruf „nicht unser größtes Problem ist. Es sind die Ressentiments gegenüber den Muslimen, die uns Sorge machen.“ El Yazidi erinnerte an den vereitelten Anschlag auf die Kölner Zentralmoschee vor wenigen Tagen. Professor Lemmen wies auf die Unterschiede zwischen Glockengeläut und Muezzin-Ruf hin. Beide riefen die Gläubigen zum Gebet, aber der Muezzin-Ruf sei gleichzeitig ein Glaubensbekenntnis zu Allah und dessen Propheten Mohammed. Dem könne er nicht zustimmen. „Sonst wäre ich ja ein Muslim.“ Das seien aber Unterschiede zwischen Ruf und Glockengeläut, die man aushalten müsse. „Ich kann dieses Glaubensbekenntnis nicht teilen, aber das kann kein Argument sein, um zu sagen, dass der Muezzin nicht rufen darf.“
Dorothee Schaper verwies darauf, dass es viel zu lange gedauert habe, bis sich in der Gesellschaft die Einsicht durchgesetzt habe, dass Deutschland ein Einwanderungsland sei. „Es ist sicher sinnvoll, dass wir miteinander über all das reden, was uns bei den anderen fremd erscheint.“ Lale Akgün sprach sich gegen den öffentlichen Muezzin-Ruf aus. Aus ihrer Sicht werden viele muslimische Gemeinden von der türkischen Regierung beeinflusst. Das gelte auch für die Kölner Zentralmoschee, die in Trägerschaft der DITIB (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion) stehe. Diese Union untersteht der dauerhaften Leitung, Kontrolle und Aufsicht des staatlichen Präsidiums für religiöse Angelegenheiten.
Glauben leben
„Bunt und tolerant sind keine Werte an sich. Man kann sich da auch in einen Enthusiasmus hineinsteigern. Viele Muslime können in ihren Gemeinden ihre Meinung nicht frei sagen“, so Akgün. Dem widersprach Bettina Baum: „Die Stadtverwaltung trifft keine theologischen Entscheidungen. Das ist überhaupt nicht unser Geschäft. Für uns geht es nicht um Erdogan, sondern um die Muslime und Musliminnen vor Ort. Denen wollen wir eine weitere Möglichkeit geben, ihren Glauben zu leben.“
Foto(s): Stefan Rahmann