Ein überzeugtes, kraftvolles „Jaaa“ schallte CityKirchenPfarrer Markus Herzberg entgegen. Über 350 Menschen reagierten einhellig auf seine Eingangsfrage, ob sie den ökumenischen Abendmahlsgottesdienst zum Christopher-Street-Day (CSD) in der Corona begründeten Zwangspause ebenso vermisst hätten wie er selbst. Viele Besucher*innen saßen schon eine Stunde vor Beginn in der AntoniterCityKirche. Als zum Einzug die ersten Töne der Bordkapelle der StattGarde Colonia Ahoj e.V. von der Empore erklangen, waren auch die Stehplätze in Teilen der Gänge und im Foyer besetzt.
„Umso schöner, dass wir nun in all unserer Vielfalt hier versammelt sind“, begrüßte Herzberg. Nach der Pause bräuchten wir diesen seit fast dreißig Jahren traditionell am Vorabend der CSD-Parade gefeierten Gottesdienst noch mehr als zuvor. Er beklagte beispielsweise das Attentat in Oslo und die anhaltende alltägliche Diskriminierung von lesbisch, schwul, bisexuell, trans*, inter* und queer orientierten Menschen (LGBTIQ+). Es sei wichtig, dass wir in all unserer Verschiedenheit zeigten, dass das die Kirche Jesu Christi sei. Diesen Gottesdienst nannte er eine Art Gegenprogramm zu unwahren Behauptungen, dass etwa Homosexualität gegen Gott sei. „Behaltet euer Hirn, eure Widerstandskraft“, appellierte der Pfarrer. „Gott nimmt uns so an, wie wir sind in all unserer Verschiedenheit.“
Die Freude über das gemeinsame Feiern fand im mitreißend-schwungvollen Spiel der von Kapellmeister Roland Steinfeld geleiteten Bordkapelle mit ihren Blas- und Schlaginstrumenten eine wunderbare Entsprechung. Wohl auch dadurch animiert, sang die Gemeinde vom Eingangslied „Pilger sind wir Menschen“ bis zum Schlusslied „Do bes der Här“ zur Melodie von „Do bes die Stadt“ nahezu geschlossen und inbrünstig mit. Wie das Kölner CSD-Wochenende insgesamt, stand der von Herzberg mit launigen Formulierungen bereicherte Gottesdienst unter dem Motto „Für Menschenrechte – Viele. Gemeinsam. Stark!“ Mitgestaltet wurde er unter anderem von Prädikantin Karin-Bettina Encke, Olaf Sion (alt-katholischer Geistlicher im Ehrenamt) und dem römisch-katholischen Pfarrer Bernd Mönkebüscher aus Hamm. Herzberg hatte eigens sein viermonatiges Kontaktstudium in Berlin unterbrochen.
„Woher weiß ich, wo ich lang gehen muss?“
Eingangs seiner auch autobiographisch gespeisten Predigt stellte Herzberg fest, dass es eine entscheidende Frage gebe, die man sich im Leben stelle: „Wer sagt mir, was ist richtig für meinem Leben, was ist falsch? Woher weiß ich, wo ich lang gehen muss? Woher weiß ich, ob ich richtig bin, so wie ich mich fühle, so wie ich empfinde?“ Herzberg glaubt, dass jede und jeder von uns mit einer inneren Stimme auf die Erde komme. Mit einer Stimme, die angelegt habe, was richtig und gut sei. „Der man vertrauen kann.“
Es sei in uns angelegt, dass kleine Kinder bedingungslos den Menschen vertrauten, die sie großziehen würden. Mit dem Älterwerden prallten ganze viele Stimmen der Welt auf uns ein und „sagten“ uns, was richtig und falsch sei. Was man nicht tun dürfe, wie man sich zu benehmen habe. Er erinnerte seine nicht so schöne Grundschulzeit, vergrault von einer nicht so netten Lehrerin. „Es gibt Stimmen, die machen etwas bei uns kaputt“, gab er zu bedenken. So viel kaputt von dem, was an freier Entfaltung und Grundvertrauen vorhanden sei. Noch während seines Studiums habe er sich seiner Homosexualität geschämt und sie „versteckt“. Er habe Angst empfunden, gedacht, dass er „falsch“ sei. „Ihr alle“, wandte er sich an die Gemeinde, „könntet solche Geschichten erzählen.“ Geschichten, in denen man nicht zu seinen Empfindungen gestanden habe. Heute stehe er selbstbewusst zu sich selbst. Und wir alle müssten uns sagen: „Ich möchte zu mir stehen, koste es was es wolle.“ Als Christ sage er sich, „es ist die Stimme Gottes, die ich höre, der ich vertraue und die mir sagt, es ist gut so“.
Herzberg kam auf den mitfeiernden römisch-katholischen Pfarrer Bernd Mönkebüscher zu sprechen. Der Buchautor und Mitbegründer der Initiative #OutinChurch versuche etwas zu bewegen in seiner Kirche. Sie zu einer anderen, von einer engen zu einer weiten zu machen. Und Herzberg las einen Text, den ihm Mönkebüscher vorab einer geplanten Publikation übermittelt hatte. In diesem schreibt Mönkebüscher über seine Gedanken und Eindrücke bei seinem ersten Besuch des CDS-Gottesdienstes in Köln 2017. Er sei damals noch ungeoutet gewesen. Habe Angst vor Konsequenzen gehabt, falls ihn jemand erkennen sollte. Nachdem er sich überwunden hatte, den sehr vollen Kirchraum zu betreten, habe ihn die gelöste Atmosphäre überrascht.
„Ich kann hier ankommen, ich kann hier sein“
Mönkebüscher schildert ein buntes Bild von Menschen, dass ihr Queer-Sein verbinde. Nicht für möglich gehalten habe er, dass vom ersten bis zum letzten Lied alle mitsingen und der Raum sich mit Gesang so kräftig füllt, wie er es kaum aus normalen Gemeindegottesdiensten kenne. „Ein bewusstes Singen, möchte ich sagen.“ Und Mönkebüscher habe gemerkt, „ich kann hier ankommen, ich kann hier sein. Zum ersten Mal fühle ich mich als schwuler Mann in einem Gottesdienst angesprochen und angenommen.“ Es habe sich angefühlt wie der Zusammenfall von Ostern und Weihnachten. „Ich kann ganz da sein, muss nichts verstecken“, zitierte Herzberg den Autor. Dieser CSD-Gottesdienst habe einen Sitz im Leben aller, die da seien, schreibt Mönkebüscher von einer besonderen Stimmigkeit: „Es geht also doch, Farbigkeit in der Kirche und ein Glaube, der freimacht.“ Herzberg dankte dem Kollegen ausdrücklich für seine Schilderung. Die Besucher*innen schlossen sich mit anhaltendem Applaus an.
„Geht raus und seid stark“
„Es ist gut, dass es Menschen wie Bernd und ganz viele andere gibt, die nicht schweigen, sondern sich hinstellen und ein Beispiel geben und sagen können, ich bin so gut wie ich bin“, betonte Herzberg. Es sei wichtig, dass wir unsere innere Stimme hören könnten. Dass sie Raum nehmen dürfe, bis wir auf die Straße gehen könnten und alles okay sei. Bis wir nicht mehr für rechtliche Gleichstellung und gesellschaftliche Akzeptanz demonstrieren müssten, sondern nur noch unbeschwert feiern dürften. „Vertraut dieser Stimme, die in euch ist!“, warb Herzberg. Der Stimme, die euch zu leuchtenden Zeuginnen auf dieser Welt mache. „Geht raus und seid stark. Lasst uns nicht aufhören zu glauben, dass Vielfalt als bereichernd empfunden wird.“
Auch in der Bibel gebe es viele Menschen, die ihrer eigenen Stimme vertrauten. Darunter Prophetinnen und Propheten, die sich von Jesus haben ansprechen lassen. Die sich von ihrem alten Leben losgesagt und gewusst hätten, dass es immer die Chance gebe neu anzufangen. „Die Stimme ist da, ich verspreche es euch. Sie meint es gut mit uns, ihr seid geliebte Kinder Gottes, so wir ihr seid. In all eurer Vielfalt seid ihr okay.“ Niemand habe das Recht zu sagen, „du darfst so nicht sein“. Entsprechend richteten sich auch die Fürbitten an Gott als der „Ursprung der Vielfalt, der die Menschen so oder so gemacht hat“.
„Es macht wahnsinnig viel aus, dass ihr da seid“
Es seien eine Freude und ein Fest, hier zu sein, sagte Herzberg zur Verabschiedung. Er wünschte einen sicheren CSD und machte aufmerksam, dass er nicht nur einmal im Jahr hier Gottesdienst feiere. Die Kollekte floss wie in den Vorjahren dem Verein rubicon in Köln für seine Projektarbeit zu. Rubicon bietet „Beratung, Gesundheitsförderung und Unterstützung für lesbische, schwule, bisexuelle, trans*, inter* und queer lebende Menschen und Gruppen“ an. Es freue ihn sehr, „dass ihr diese Arbeit macht“, dankte der Pfarrer anwesenden rubicon-Vertreter*innen. Seinen Dank richtete er ebenso an die Bordkappelle: „Es macht wahnsinnig viel aus, dass ihr da seid.“ Tatsächlich verlängerten die Musiker*innen ihren Aufenthalt und begleiteten auch das anschließende Beisammensein auf dem Kirchplatz an der Schildergasse mit Interpretationen bekannter Songs in ihrem ganz eigenen lebendigen Sound.
„PRISM – All colours of queerness“: Gottesdienst in der Christuskirche
Auch in der Christuskirche (Fotos: APK) haben zumeist junge Menschen schon am Freitagabend um 18 Uhr in der Christuskirche ihren Gottesdienst zum CSD gefeiert – rund hundert Menschen machten mit. „PRISM – All colours of queerness“: Dieses Motto zeigten die gespannten Bänder, die zusammen einen bunten Regenbogen ergaben. „Wir feiern, wie wir geschaffen wurden: queer, homo, trans, nicht-binär, questioning. Das tun wir nicht nur auf den Straßen Kölns, sondern auch im schönsten Gotteshaus der Stadt. In der evangelischen Christuskirche wird es glitzern, weil die Liebe mit uns tanzt.“ Mit diesen Worten hatten Pfarrerin Janneke Botta und Pfarrer Tim Lahr zu dem Gottesdienst eingeladen.
Musikalisch gestaltet wurde er unter anderem von Ludi. Sie* hatte in 2021 bei DSDS das Finale erreicht. Viele Besucher*inne waren in diesen Gottesdienst gekommen, um sich den Segen für das CSD-Wochenende abzuholen. Das konnte sie auch und gingen so gestärkt in das bunte Wochenende.
Foto(s): Engelbert Broich / APK