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„Wenn die Welt morgen unterginge, würde ich heut ein Olivenbäumchen pflanzen“ – Interview mit dem Pfarrer der evangelisch-lutherischen Weihnachtskirche von Bethlehem

Friedensarbeit in Bergisch Gladbach
Aus Palästina stammte der hohe Gast, den Bergisch Gladbachs Bürgermeister Klaus Orth Mitte November empfing: Raji Zeidan ist ebenfalls Bürgermeister, und zwar aus Beit Jala, zwei Kilometer entfernt von der Bethlehemer Geburtskirche. Eingeladen hatten ihn der Arbeitskreis Beit Jala im Stadtverband für Entwicklungszusammenarbeit e.V. und die christlichen Kirchengemeinden Bergisch Gladbachs, vertreten durch Dechant Heinz-Peter Janssen und Pfarrer Christoph Noetzel. Nicht fehlen durften die Vertreter des Arbeitskreises, allen voran der Leiter des Sozialwerks im Evangelischen Kirchenverband Köln und Region i.R., Axel Becker und Barbara Brauner. Beistand für „Menschen in Bedrängnis“ – das ist das Ziel des Arbeitskreises Beit Jala, etwa mit Blick auf den fortschreitenden Bau der Trennungsmauer im Bezirk Bethlehem. Die Bergisch Gladbacher Bürger demonstrieren Solidarität, knüpfen private Kontakte und besuchen ihre Bekannten im Krisengebiet. Rund zwei Monate vor dem Besuch von Raji Zeidan in Bergisch Gladbach war unsere Autorin Karin Vorländer in der evangelisch-lutherischen Weihnachtskirche von Bethlehem und hat den dortigen Pfarrer Mitri Raheb nach Hoffnungen und Zukunft für Gemeinde und palästinensische Gesellschaft gefragt. Bethlehem gehört mit den Nachbarorten Beit Jala und Beit Sahur zum Siedlungsschwerpunkt der Minderheit der arabischen Christen.


Es gibt Hoffnung
Hoffnung auf eine bessere Zukunft ist ein rares Gut in Palästina. Aber es gibt sie. Die kleine christliche Gemeinde lebt von ihr – und verbreitet sie. Mitri Raheb ist seit 1988 Pfarrer an der evangelisch-lutherischen Weihnachtskirche in Bethlehem. Bethlehem gehört mit den Nachbarorten Beit Jala und Beit Sahur zum Siedlungsschwerpunkt der Minderheit der arabischen Christen, die landesweit zwei Prozent der Bevölkerung ausmachen. Im Gebiet von Bethlehem liegt der Anteil der Christen bei über 30 Prozent. Zur Gemeinde gehört auch das 1995 gegründete „International Center of Bethlehem – Dar Annadwa Addavilyya“, das sich besonders dem Wohl und der Ausbildung von Kindern, Jugendlichen und Frauen und der Begegnung unterschiedlicher Bevölkerungsschichten widmet. Die Dar al-Kalima-Schule, eine Fachhochschule sowie ein medizinischer Dienst gehören ebenfalls zum Zukunfstprogramm der Gemeinde. Raheb ist zudem Mitglied der im September 2006 gegründeten Initiative DINO ( Deutsche Initiative für den Nahen Osten), die es sich zum Ziel gesetzt hat, Verständnis für die komplizierten Zusammenhänge in der Region zu schaffen und zur Friedenslösung beizutragen.

Interview mit Mitri Raheb
Hat die christliche Gemeinde in Palästina Zukunft? Viele christliche Palästinenser wandern aus.
Insgesamt stimmt das. Es wandern mehr und mehr Christen aus Palästina aus. Vor allem die gut ausgebildeten. Es wandern auch Muslime aus. Aber dadurch, dass die Christen so klein an Zahl sind, merkt man das natürlich eher. Für unsere Gemeinde stimmt dieser Trend aber nicht In den letzten fünf Jahren sind nur zwei Gemeindemitglieder ausgewandert. Bei uns gibt es die gegenteilige Tendenz, dass junge Palästinenser, die im Ausland leben, zurückkehren, weil sie von unserer Vision und unserer Arbeit angesteckt worden sind. Sie möchten hier beim Aufbau einer Zukunft und einer zivilen Gesellschaft beitragen.

Auf welche Weise bekommt die Evangelische Gemeinde in Bethlehem neue Mitglieder?
Vor allem durch die Taufe von Kindern. Wir haben hier in Bethlehem im Jahr viel mehr Taufen als Beerdigungen. Die Zahlen sind stabil, sogar mit einer kleinen Tendenz zum Wachsen. Ab und zu kriegen wir neue Mitglieder die aus einem anderen Hintergrund kommen und sich entschließen, evangelisch zu werden. Aber wir sind da sehr vorsichtig. Wir müssen wirklich immer sehen, dass die Leute wirklich aus voller Überzeugung als Christen in unsere Gemeinde kommen.

Die politische und wirtschaftliche Situation im Land wird seit Jahren immer schwierigen. Im September erst hat Israel 14 Prozent des Stadtgebietes von Bethlehem konfisziert, um die Mauer zu bauen, die Bethlehem bald von drei Seiten umgeben wird. Es gibt innerpalästinensische Kämpfe. Seit Monaten fällt die Schule aus. 70 Prozent der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Wo nehmen Sie die Kraft her, überhaupt von Zukunft zu sprechen?
Das Grundgefühl der meisten Menschen hier ist Untergangstimmung. Hoffnung hat für mich mit meinem christlichen Glauben zu tun. Als Christen leben wir aus Hoffnung und in Hoffnung und auf Hoffnung hin. Das ist nichts Theoretisches. Die Zukunft wird nicht einfach von allein kommen. Wir müssen sehr hart dafür arbeiten, damit sie entsteht. Wir versuchen viel an Infrastruktur aufbauen. Wenn ich erlebe, dass junge christliche Palästinenser ihr Dasein in USA aufgeben und hier hin zurückkommen, dann macht mir das Mut. Wenn ich die Kinder und die Jugendlichen sehe, die hier bei im Kulturzentrum ihre Talente entdecken und entfalten, dann gibt mir das immer wieder Hoffnung Für uns gilt das Wort Martin Luthers: WWenn ich wüsste, dass die Welt morgen untergeht…“ Die einzige Alternative, die wir haben ist, heute. in den Garten gehen und Oliven bäume pflanzen. Heute, nicht morgen. Denn morgen ist zu spät. Alles was wir machen, ist Olivenbäume pflanzen. Ob das das Kulturzentrum ist , die neue Dar al-Kalima-Schule oder die neue Fachhochschule.

An Ihrer Kirche, der evangelischen Weihnachtskirche, haben unbekannte Sprayer unübersehbar das arabische Wort für „Heiliger Krieg“ gesprüht. Macht Ihnen das Angst?
Nein, so eine Sprayerei ist ärgerliche Umweltverschmutzung und Geldverschwendung. Aber sie macht uns keine Angst. Gott hat uns nicht den Geist der Furcht gegeben, sondern der Kraft. Wir sind aufgerufen, uns nicht zu fürchten – und nicht panisch zu reagieren. Und wir sind im Kontext der Instrumentalisierung von Religionen aufgerufen, für eine neue Form von tiefer Spiritualität zu sorgen Es scheint, dass wir als Christen in Zeiten wie diesen am meisten gebraucht werden. Es ist unsere Berufung, eine Vision neuer Hoffnung anzubieten. Ich empfinde es nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine Ehre und als ein Privileg, daran mitzuwirken.

Das International Center of Bethlehem im Internet: www.annadwa.org

Text: Karin Vorländer
Foto(s): Karin Vorländer