You are currently viewing Vorträge und Diskussionen über den Nahen Osten

Vorträge und Diskussionen über den Nahen Osten

„Innerhalb einer kompakten Woche“, so Studienleiter Joachim Ziefle, bot die Melanchthon-Akademie Im November drei Veranstaltungen zu dem Themenschwerpunkt „Naher Osten“. Schließt man die beiden Seminare zu „Erinnern lernen: Über die Shoa sprechen“ des israelischen Historikers, Pädagogen und Holocaust-Forschers Dr. Gideon Greif mit ein, waren es in elf Tagen insgesamt fünf Veranstaltungen. Dabei beförderte die Stadtakademie des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Religion entsprechend ihrem Selbstverständnis unter anderem das Nachdenken über religiöse Fragen, vermittelte sie politisches Wissen, ermöglichte sie Einsichten in Religion und Geschichte. „Verbunden hat alle diese Veranstaltungen das Thema ´Heiliges Land´“, stellt Akademieleiter Pfarrer Dr. Martin Bock fest. Über Israel und Judentum, so seine „Kernerfahrung“, könne man nicht lernen, ohne das Gespräch mit Menschen, die dort lebten. „Der Stolperstein ist jedoch: Wir reden über das Land, aber wir merken, es ist noch viel schwieriger und komplizierter. Lösungsversuche haben immer zu tun mit Wenn und Aber“ – mit dem Ineinandergreifen und Aufeinanderprallen von politischen und religiösen Standpunkte wie Überzeugungen. Der von Bock und Ziefle erarbeitete Themenschwerpunkt umfasste neben zwei Seminaren mit Greif Vorträge des Nahost-Experten und promovierten Mediziners Gil Yaron, des lutherischen Pfarrers Dr. Mitri Raheb sowie des evangelischen Theologen Professor Dr. Frank Crüsemann und jüdischen Publizisten Günther B. Ginzel.

Journalist Gil Yaron machte den Auftakt
Zum Auftakt sprach der deutsch-israelische Journalist Yaron zur aktuellen politischen Situation im Nahen Osten. Er beschrieb die Kräfte, die dort heute agieren sowie ihre Ziele. Er schilderte, wo sich Israel, wo seine Anrainerstaaten sich bewegen. Und er analysierte, was diese Konstellation für den Friedensprozess und die Sicherheit Europas bedeutet. Laut Ziefle sei es Yaron gelungen, die komplexe politische Lage verständlich darzustellen. „Interessanterweise skizzierte er die politische Lage der Anrainerstaaten auch unabhängig ihrer jeweiligen Beziehung zu Israel als sehr schwierig.“ Der 37-jährige Korrespondent und Buchautor habe zudem seine These untermauert, dass nicht die israelische Siedlungspolitik mit ihren Ausweitungsbestrebungen die größte Brisanz beinhalte, sondern Jerusalem selbst. In der Jerusalem-Frage würden die Meinungen der involvierten Parteien zu weit auseinander liegen. Yarons Aussagen seien eindeutig gewesen. Da er aber „strittige Themen wie die Israelpolitik“ weitgehend ausgeklammert habe, sei die anschließende Diskussion zwar angeregt, aber nicht kontrovers verlaufen. Ziefle und Bock freuen sich darüber, dass die an der Akademie praktizierte Praxis der Kooperation mit anderen Einrichtungen und Organisationen sich auch diesmal bewährt hat. So fungierte bei Yarons Vortrag der Jüdische Nationalfonds e.V. (JNF-KKL) als Mitveranstalter. Mit eingeladen hatten unter anderem die Synagogen-Gemeinde Köln, die Deutsch-Israelische Gesellschaft AG Bonn und die Kölnische Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Über 50 Personen, darunter nicht nur „Stammgäste“, wohnten dem Auftakt bei.

Hoffnung auf ein Ende der Besetzung
Eine ähnlich große und gemischte Zuhörerschar verfolgte Mitri Rahebs Vortrag, zu dem auch die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Köln eingeladen hatte. Die Moderation des Abends lag in den Händen von Oberkirchenrätin Barbara Rudolph, Leiterin der Ökumene-Abteilung der Evangelischen Kirche im Rheinland.

Der lutherische Pfarrer Bethlehems,  Dr. Mitri Raheb, bei seinem Vortrag in der Melanchthon-Akademie Köln.
Raheb, lutherischer Pfarrer in seiner Geburtsstadt Bethlehem, stellte den Inhalt und das Anliegen des im Dezember 2009 veröffentlichten „Kairos“-Dokuments vor. Der 49-Jährige ist Mitverfasser des ökumenischen Textes. Formuliert hat den Aufruf eine Gruppe von palästinensischen Christen, von Führern und Mitgliedern verschiedener Kirchen und kirchlicher Organisationen. Der Appell wendet sich gegen die Besatzungspolitik Israels und drückt seine Hoffnung auf ein Ende der Besetzung aus. Betitelt ist das Dokument mit „Stunde der Wahrheit: Ein Wort des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe aus der Mitte des Leidens der Palästinenser und Palästinenserinnen“. Bei einem Teil des Auditoriums traf Raheb auf Verständnis, etwa mit seinem Hinweis, dass deutsche Christen und Theologen sich lösen müssten von der Identifizierung des biblischen mit dem gegenwärtigen Israel. Dagegen kritisierten andere, dass man doch gerade erst begonnen habe, zwischen dem biblischem und heutigem Israel Verbindungen zu ziehen. Dabei ging man auch ein auf den Rheinischen Synodalbeschluss „Zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden“ von 1980. In ihm wird „die Errichtung des Staates Israel“ als „Zeichen der Treue Gottes gegenüber seinem Volk“ festgestellt. Angesichts des „Kairos“-Dokuments wurde aber nicht nur die Notwendigkeit einer Diskussion über den Synodalbeschluss gesehen. Nachdenken müsse man auch darüber, was der palästinensische Aufruf insgesamt für das christlich-jüdische Gespräch, für die Ökumene, für die Solidarität mit den palästinensischen Christen bedeute.

Warnung davor, das Land-Thema zu instrumentalisieren
Als dritte „Nahost“-Veranstaltung folgte der ökumenische Studien-Tag in der Akademie-Reihe „Tacheles reden“. Unter anderem gemeinsam veranstaltet mit der Kölnischen Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit und der Karl-Rahner-Akademie handelte er über „Heiliges Land? Nachdenken über einen schwierigen Begriff aus jüdischer und christlicher Perspektive“. Den nachmittäglich in Form von Workshops angebotenen Vertiefungen gingen Vorträge des evangelischen Theologen Frank Crüsemann (Bielefeld) und des jüdischen Publizisten Günther B. Ginzel (Köln) voran. Crüsemann stellte Überlegungen zu einem angemessen Umgang mit den biblischen Landverheißungen an. Danach handelten 95 Prozent der „Landtexte“ davon, wie das Volk Israel mit diesem Land umzugehen habe. Es habe das Land nicht allein besessen, sondern sei sich stets bewusst gewesen, dass es gleichzeitig ein Ort für andere Gruppen gewesen sei. In diesem Zusammenhang im Alten Testament erwähnte kurzzeitige Gewaltexzesse seien als Erinnerung an eine latente Gefahr, an den eigenen religiösen Fundamentalismus zu verstehen. Ginzel nahm im Rahmen seines historisch umfassenden Beitrages „´Das Land´ und seine Kinder. Messianischer Traum und irdischer Kulturkampf“ schwerpunktmäßig die Neuzeit, die Gegenwart in den Blick. Laut Ginzel habe der Antisemitismus immer versucht, auf diesen Traum zurückzugreifen. Ohne ihn sei die israelische Geschichte nicht zu verstehen. Beispielsweise betonte er die Vehemenz, mit der im Juni 1967 der „Sechs-Tage-Krieg“ geführt wurde. Er warnte davor, das Land-Thema zu instrumentalisieren. Man müsse vorsichtig sein gegenüber einem Fundamentalismus, der etwa die Friedensarbeit missachte. Ginzel nannte das Anliegen der Fundamentalisten unheilvoll und plädierte dafür, den Koran und die Bibel beiseite zu lassen. Die Herausforderung liege darin, die religiösen Quellen so zu lesen, dass sie humanitär verstanden würden.

Meinungen ins Gespräch miteinander bringen
Die Vorträge zum Nahen Osten stellen laut Bock ein gutes Exempel für die Arbeit, den Standpunkt und die Idee der Melanchthon-Akademie insgesamt dar. „Wir können uns nicht auf eine Seite schlagen und müssen verschiedene Kontexte beleuchten. Und wir müssen fragen, was sie jeweils mit unserem eigenen Anliegen, dem Anliegen der Akademie zu tun haben.“ Es gelte, hier Meinungen ins Gespräch zu bringen und Brücken zu bauen. „Wir wollten mit diesem Veranstaltungs-Paket zeigen, dass wir politische und theologische Fragen separat diskutieren und behandeln müssen, sie aber nicht auseinander reißen dürfen. Politik und Religion sind bei diesem Thema nicht zu trennen.“ Dabei weiß Bock, dass eine solche Betrachtungsweise hierzulande die Diskussion immer weiter anheizt – mit Argumentationen, in denen die Religion zum Sündenbock gemacht werde.

Enge Freunde in der arabischen Kultur
Betrachte man das an Kriegen und Spannungen „reiche“ Weltgeschehen, könne der Konflikt im Nahen Osten als ein relativ kleiner bezeichnet werden, so Ziefle. Im Zusammenhang mit den „Nahost“-Veranstaltungen sei ihm aber noch einmal die Bedeutung dieser Region, in der Politik und Religion eng verknüpft würden, für die internationale Gemeinschaft und für uns in Deutschland bewusst geworden. Gleichzeitig hätten die Veranstaltungen noch einmal verdeutlicht, dass die Akademie unverändert kontroversen Themen und Fragen einen Ort bieten müsse „Es ist wichtig, die Fragen offen zu diskutieren, ohne eine bestimmte Position einzunehmen.“ Laut Bock zeichne die Akademie insbesondere das Zusammenkommen sehr unterschiedlicher Themen aus. Seien es christliche, jüdische, arabischen, ökumenische oder andere Themen. Ziefle begrüßt es sehr, dass die „unterschiedlichen Lager“ das akzeptieren. Er habe Freunde in der arabischen Kultur, „die es überhaupt nicht kritisch sehen, dass wir das Thema Israel behandeln. Genau so verhält es sich mit Vertretenden der christlich-jüdischen Seite.“


Text: Engelbert Broich
Foto(s): Broich; AL