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„Versöhnte Verschiedenheit“? Das Leuenberger Modell, die Einheit der Kirche und die Ökumene

Der gastgebende Pfarrer Markus Herzberg sprach in der Antonitercitykirche vor gut vierzig Besuchern von einem „wirklich spannenden kirchengeschichtlichen Stück“. Tatsächlich ist die 1973 von lutherischen, reformierten, unierten und vorreformatorischen Kirchen nahe Basel erarbeitete Leuenberger Konkordie ein wegweisendes Dokument. Mit ihr wurde und wird es evangelischen Kirchen in Europa ermöglicht, Gemeinschaft „zu erklären und zu verwirklichen“.

Innerhalb der Veranstaltungsreihe „Erinnerung und Erneuerung – 500 Jahre Reformation und die Ökumene“ zum Lutherjahr dachten Fachleute in der evangelischen Antoniterkirche darüber nach, ob dieses Dokument auch als Vorbild für die evangelisch–römisch-katholische Ökumene in „versöhnter Verschiedenheit“ taugt. Dafür hatten die Kölner Veranstalter AntoniterCityKirche, Domforum, Katholisches Bildungswerk und Melanchthon-Akademie die protestantische Theologin Prof. Dr. Athina Lexutt und den katholischen Theologen Dr. Tim Lindfeld gewinnen können.

Kirchengemeinschaft trotz Unterschiede
Lexutt, Professorin am Institut für Evangelische Theologie der Universität Gießen, blickte zunächst in die Historie, skizzierte die Schritte hin zur Konkordie, nannte deren Ziele und Auswirkungen. Diese habe einen gewissen Schlussstrich unter die trennenden Lehrverurteilungen gezogen und eine solide theologische Grundlage erreicht. „Alles geht auf das Christusverständnis zurück“, so die Kirchenhistorikerin. Die Verwerfungen des 16. Jahrhunderts träfen nicht mehr. „Trotz beträchtlicher Unterschiede kann Kirchengemeinschaft gepflegt werden.“ Trotz der Unterschiede bestehe Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft. „Die verschiedenen Bekenntnistraditionen werden stehen gelassen“, erläuterte die Luther-Expertin.

Arbeitspapier Konkordie
Mit der bis heute von über 100 Kirchen unterzeichneten Leuenberger Konkordie verbindet Lexutt drei neue Wege. Sie sei nicht Konsenspapier, sondern Arbeitspapier. Sie dokumentiere ein Nachdenken über Lehrverurteilungen und ihre Gültigkeit, formuliere Gemeinsamkeiten. So könne die Leuenberger Konkordie modellhaft sein, „wenn man sie für weiterbringend hält“. Einem offenen Dialog zwischen protestantischer und römisch-katholischer Kirche stünden viel Unverständnis und Missverständnisse, Ängste, im Weg. Lexutt warnte, dass die schlimmsten Fehlgriffe dort geschähen, wo Themen isoliert, ohne ihre Verflechtungen, betrachtet würden. Dies habe bereits Luther angemahnt. „Es geht um nichts Geringeres als darum, dass man Jesus Christus als den Erlöser versteht und ihm vertraut“, stellte die Theologin fest. Mit dem Verständnis von der Rechtfertigung der Gottlosen und dem Verständnis vom Wesen der Kirche und ihrer Gestalt griff sie zwei auf das engste miteinander verbundene Themenbereiche heraus. Eben diese verdeutlichten bleibende Differenzen zwischen Rom und dem Protestantismus.

Rechtfertigung allein aus der Gnade Gottes
Lexutt erinnerte an die 1999 von römisch-katholischen und lutherischen Kirchenvertretern unterzeichnete „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“. Beide Seiten hätten sich nicht richtig mit ihr anfreunden können. Die katholische habe daraus die Konsequenz eines gemeinsamen Abendmahls nicht gezogen. Und in der Debatte um die Erklärung habe man auch auf evangelischer Seite nachdrücklich gegen diese argumentiert. Denn nach evangelischem Verständnis geschehe Rechtfertigung allein aus der Gnade Gottes. Und nicht, wie es etwa in dem von Lexutt zitierten Passus im Katechismus der Katholischen Kirche heißt, im Zusammenwirken von göttlicher Gnade und menschlichem Tun. Dies sei etwas fundamental anderes als es der Protestantismus lehre. „Das ist nicht das ´Christus allein´ der reformatorischen Kirchen.“ Auch ging Lexutt auf Luthers Unterscheidung zwischen der verborgenen und sichtbaren Kirche ein.

Konkordie kein Modell für interkonfessionelle Ökumene
„Die Leuenberger Konkordie hat gezeigt“, zog Lexutt am Vortragsende ein „vorläufiges“ Fazit, „dass man trotz Unterschiede Gemeinschaft pflegen kann.“ Dass man in die Verheißungen Christi und das Reich Gottes hineinwachsen könne – wenn sich Kirche als Dienerin Jesus Christus verstehe. „Das Ganze kann und konnte nur funktionieren, weil sich die evangelischen Kirchen auf einer Bekenntnisebene befinden.“ Aber im Hinblick auf Protestantismus und römisch-katholische Kirche könne Leuenberg kein Modell sein. „Über ein klares Profil lässt sich mehr Gemeinschaft stiften.“

Regionale und konfessionelle Beschränkung
Lindfeld, Vorsitzender des Bildungsforums der Arbeitsgemeinschaft Sozialpädagogik und Gesellschaftsbildung e. V. (ASG) in Düsseldorf, wies zunächst auf den theologischen und historischen Kontext der Konkordie hin. In ihr sieht der gebürtige Herner ein herausragendes Zeugnis der evangelischen Ökumene. Jedoch spreche sie nicht von einer Einheit der Kirche, meinte Lindfeld in der ersten seiner drei Thesen. „Die Leuenberger Konkordie unterliegt einer regionalen und konfessionellen Beschränkung“, betonte der katholische Theologe weiter. Hinsichtlich der interkonfessionellen Ökumene müsse nach ihrer Diskursfähigkeit gefragt werden und wie sie auf einen größeren Kontext bezogen werden könne. „Die Sache selbst bleibt das Ziel“, unterstrich er die Notwendigkeit, am ökumenischen Weg festzuhalten. „Eine begrenzte Kirchengemeinschaft kann nie das letzte Wort haben.“

Stärkung ökumenischer Verbundenheit
Drittens nannte Lindfeld die Konkordie eine Wegmarke. Auch für Christen, die nicht Teil von ihr seien, „ist sie Grund zur Freude“. Denn ökumenische Verbundenheit werde schon gestärkt, wenn sie an einer Stelle gekräftigt werde. Erklärungen von Kirchengemeinschaften müssten sich ebenso vor einem neuen ökumenischen Horizont bewähren. So dürften wir auch von der Leuenberger Konkordie Impulse für den Dialog erwarten. Aber nur, wenn sie auf dem Weg bleibe, bleibe sie für den ökumenischen Rahmen relevant.

Konkordie lässt Früchte für die Ökumene erwarten
Lindfelds Fazit: Das Modell der regionalen Kirche sei für katholische Kirche nicht hinreichend, da sie von ihrem Selbstverständnis her und de facto eine weltweite Kirche sei. Zwar tauge die Konkordie nicht als Modell für die evangelisch-katholische Ökumene, aber sie lasse Früchte erwarten. Ohne Frage bilde sie ein Paradebeispiel für „versöhnte Verschiedenheit“, gerade wenn man die Neubetrachtung der protestantischen Lehrverurteilungen im16. Jahrhundert ins Auge fasse. Jedoch sieht Lindfeld die Konkordie eher als Status Quo. Er schlug vor, sie als evangelische „´In-via´-(auf dem Weg)-Erklärung“ zur Erlangung einer neuen Stufe der kirchlichen Gemeinschaft zu verwenden. Ohne dass sie dabei als modellhafte Messlatte für andere diene.

Wunsch nach Eucharistiegemeinschaft
Bevor sich die Besuchenden mit diversen Fragen an die beiden Referierenden wandten, tauschten sich diese kurz aus. Dabei wiederholte Lindfeld seinen Wunsch, die Kirchen mögen zu einer Eucharistiegemeinschaft gelangen. Der gravierende Punkt sei der der Einheit. „Braucht es sie oder nicht?“ Der Ökumenische Rat der Kirchen halte immer noch fest an der Präambel der sichtbaren Kirche, so Lindfeld: „Ja, es braucht das gemeinsame Ziel, ohne dass ich die Instrumente kenne.“

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich