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„Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive“: In der Antoniterkirche diskutierte Präses Schneider mit Wirtschafts-Professor Dr. Hüther

2008 veröffentlichte der Rat der Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) die Denkschrift „Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive„. Seitdem ist diese Schrift immer wieder Gegenstand von Vorträgen und Diskussionen. Auch im Bereich des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region. Beispielsweise lud vor zwei Wochen die Evangelische Matthäus-Kirchengemeinde Hürth zu einem Vortrag und Gespräch über die Denkschrift. Am Donnerstag, 26. März, 20 Uhr, hält Pfarrer Peter Mörbel, Evangelische Akademie im Rheinland, im Martin-Luther-Haus der Evangelischen Kirchengemeinde Köln Bayenthal einen Vortrag zum Thema.

Wenig Kritik an der Denkschrift
Anfang dieser Woche tauschten in der evangelischen Antoniterkirche in der Kölner Innenstadt Pfarrer Nikolaus Schneider, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR), und Professor Dr. Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft, ihre Meinungen über die Unternehmerdenkschrift aus. Eingeladen zu der Veranstaltung hatten die Evangelische Akademie im Rheinland, der Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer e.V. – Regionalgruppe Köln-Bonn-Leverkusen, die AntoniterCityKirche sowie evangelische Melanchthon-Akademie in Köln. Die AntoniterCityKirche ist Sitz der Regionalgruppe des Arbeitskreises Evangelischer Unternehmer.
Was sind die wichtigsten Punkte, wo setzt Ihre Kritik an, wo weist die Schrift Lösungsmöglichkeiten auf?, wandte sich der moderierende Unternehmensberater und Publizist Hasso Mansfeld zunächst an Hüther „Ich habe relativ wenig Kritik an der Denkschrift“, stellte der Wirtschaftsprofessor voran. Seine Aussage ließ die gut hundert Zuhörenden erahnen, dass sie weniger einem harten Wortgefecht als einem sachlich-freundlichen Austausch beiwohnen würden. Von einigen Ausnahmen abgesehen, versicherten sich die beiden Diskutierenden immer wieder ihr gegenseitiges Einvernehmen. „Da bin ich ganz bei Ihnen“, lautete eine der wiederholten Zustimmungsformeln. Dadurch verlief der Abend zwar in ruhigen Bahnen, gestaltete sich aber nicht weniger informativ.

Es fehle der „übergreifende Blicks auf Frage der Wirtschafts-Ordnung“
Hüthers grundsätzliche Kritik bezog sich auf das, „was nicht drin steht“. „Meine Kritik liegt in ihrem Thema begründet“, bemängelte er das Fehlen eines übergreifenden Blicks auf die Frage der Wirtschafts-Ordnung. Die Schrift widme sich den Unternehmern als wichtige Gruppe von Akteuren, sie würdige das Bild des Unternehmers. Gleichwohl stelle sie andere Akteure hinten an. Ungeachtet dessen sei es außerordentlich verdienstvoll, dass die Evangelische Kirche ein solches Bild entworfen habe. „Die Denkschrift ist außerordentlich nüchtern geschrieben“, charakterisierte der Protestant, der als Vertreter wirtschaftsliberaler Ansichten vorgestellt wurde. „Sie ist frei von Pathos, eine offene Schrift, realistisch in der Beschreibung. Sie sieht den Unternehmer in seiner Problemlage, das Unternehmertum eingebettet in die Soziale Marktwirtschaft“, hofft Hüther, dass sie beiträgt zu einem konstruktiven Dialog.

Hat die „Unternehmerdenkschrift“ ein „Doppelgesicht“?
Mutig und richtig findet es Hüther, dass die Denkschrift das Miteinander von unternehmerischem Handeln und Konsumenten würdigt. Dass sie die Ordnung der Freiheit berücksichtigt, in der der Konsument über die Chancen entscheidet. „Das wird relativ selten so gesehen“, lobte Hüther. „Konsumentenmärkte sind Meinungsmärkte“, betonte er. Beispielhaft nannte er die bewusste Entscheidung etwa für den Fairen Handel. Über solche Zusammenhänge werde sichtbar, dass der Konsument auch Verantwortung trage. Dieser Blick auf das Vertrauenskapital sei wichtig. „Ich habe diese Denkschrift gerne gelesen. Hoffe, dass sie aufgrund ihrer Differenziertheit zum Dialog geeignet ist. Sie ist ein gelungener Impuls“, so Hüther. Gleichzeitig attestierte er ihr ein „Doppelgesicht“. Nach außen rufe sie zum Dialog auf. Nach innen sei sie eine Provokation. Dies gelte es auszuhalten.
„Ich glaube nicht, dass die Denkschrift in der Evangelischen Kirche ein Problem darstellt, vielleicht für eine Gruppe“, widersprach Schneider. Die Veröffentlichung stehe in einer gewissen Kontinuität, bezog er sich auf das gemeinsame Wort der Kirchen von 1997. Ebenso auf die EKD-Denkschrift „Gerechte Teilhabe. Befähigung zu Eigenverantwortung und Solidarität“ aus dem Jahr 2006. Darin werde ausdrücklich eine gerechte Teilhabe und gerechte Verteilung betont. Die Unternehmerdenkschrift knüpfe da an und wolle den Unternehmern ein Signal geben. Zugleich eine Wertschätzung unternehmerischen Handelns zum Ausdruck bringen. Die Frage sei, wie weit es in die Gesellschaft eingebunden sei und ihr diene.

„Freiheit ist Verantwortung“
„Die demokratische Gesellschaft muss das wirtschaftliche Handeln bestimmen“, forderte Schneider. Es gebe aber Anzeichen für eine umgekehrte Entwicklung
Darauf hin wiesen ja auch manche Fragen hin, etwa solche, ob „das Soziale nach Marktgesichtspunkten organisiert werden“ solle. Die Denkschrift habe den Unternehmern etwas zu sagen, betonte Schneider den Leitbegriff Freiheit: „Freiheit ist Verantwortung.“ Die freie Entfaltung unternehmerischen Handelns müsse einher gehen mit Verantwortung. Die eigene Entfaltung und die des Unternehmens müsse die Einbettung in die Gesellschaft sehen. Es gehe auch um die Verantwortung der Schöpfung gegenüber. „Wirtschaftliches Handeln darf nicht unsere natürlichen Lebensgrundlagen vernichten, sondern muss nachhaltig sein.“
Wir hingen an dem Leitbild Soziale Marktwirtschaft, die durchaus etwas anderes sei als der freie Markt. Unsere von Werten geleitete Wirtschaftsordnung diene dem Ganzen. „Eigentum verpflichtet, das gilt noch immer“, mahnte Schneider ein unternehmerisches Handeln im Interesse der gesamten Gesellschaft an. Er bedauerte, dass einige Themen in der Denkschrift unbehandelt geblieben seien. „Ich hätte mir spitzere Aussagen gewünscht. Das war aber nicht durchsetzbar“, nannte er etwa das Thema Entgeltsystem. „Freiheit ist Verantwortung“ – das gehe auf die Menschen zurück, die die Soziale Marktwirtschaft in ihren Köpfen begründet hätten, so Hüther. Als Vorgeschichte bezeichnete er das Versagen unregulierter Märkte, die Weltwirtschaftskrise sowie das nationalsozialistische und kommunistische Experiment der Unfreiheit. Von zentraler Bedeutung sei das Haftungsprinzip. Insgesamt müssten Unternehmer als Akteure in einer Freiheitsgesellschaft begriffen werden. Die ökonomische Theorie sehe Gerechtigkeit in einer Leistungskategorie. Dazu gehöre das Knappheitssignal von Angeboten oder die Steuerungswirkung der Konsumentenwahl, der Ausgang sei Leistungsgerechtigkeit.

„Die Kehrseite der Freiheit ist die Macht“
Hüther erinnerte an den neoliberalen Volkswirtschaftler Walter Eucken. Dieser begründete um 1930 die „Freiburger Schule“, die einer marktwirtschaftlich orientierten Sozialordnung des Wettbewerbs das Wort geredet habe. Nach Eucken, so Hüther, sei Regulierung und Umverteilung Aufgabe des Staates. „Eucken sagte, wir haben dann ein Problem, wenn es Ausbeutung gibt. Und: Die Kehrseite der Freiheit ist die Macht.“ Die Frage sei, wie Unternehmen untereinander agierten.
Es gelte, Machtballungen nicht zuzulassen, sondern offene Märkte zu garantieren. Unternehmer dürften nie aus der Verantwortung, Haftung entlassen werden.
„Ich möchte Ihnen nicht widersprechen“, so Schneider. „Der Begriff der Freiheit hat einen Bezug zur Leistung. Die Boni bei Gehältern haben damit aber nichts zu tun.“ Wenn ein Bankdirektor mehr verdiene als die Bundeskanzlerin mit ihrer Verantwortung und ihrem Arbeitspensum, dann sei etwas aus den Fugen geraten.

Der Zusammenhang von Gerechtigkeit und Bürgerrechten
Gerechtigkeit habe auch einen Bezug zu den Lebensrechten der Menschen, betonte der Präses, und nannte die Problematik der Privatisierung von Wasser. „Das ist ein allgemeines Gut, das kann ich nicht privatisieren.“ Zu kritisieren sei Wirtschaft ebenso, wenn sie die Mitwirkung von Arbeitnehmenden in Frage stelle. Laut Schneider hat die Entwicklung von Reichtum, der Unterschied zwischen Reich und Arm ein nicht mehr gerechtes Ausmaß angenommen. Es gelte, auf Effekte achten. „Wirtschaft muss dem Zusammenhalt von Gesellschaft dienen.“ Die Umverteilung sei eine wichtige Aufgabe des Staates. Dafür seien die Steuern da. „´Privat vor Staat´ halte ich für schiere Ideologie“, formulierte Schneider scharf.
Der Staat müsse sich fragen lassen, ob er Bürgerrechte einschränke, gab Hüther zu bedenken. „Ich stimme zu, dass der Begriff der Gerechtigkeit sich als konkret erweisen muss.“ Dies verlange vom Staat, den Menschen verantwortungsfähig zu machen. Dafür sei der Zugang zu Bildung unabdingbar. „Staat ist Machtzusammenballung. Aber wenn ich von Staat rede, meine ich den demokratischen Staat“, betonte Schneider. Einen Staat, der kontrollierbar, dessen Entscheidungen nachprüfbar seien. Ein solch demokratischer Staat habe eine viel höhere Legitimation für ein Eingreifen. Erst er ermögliche Freiheit. „An dem müssen wir interessiert sein, wir müssen ihn ausstatten, mit Steuern, wir dürfen ihn nicht schlecht reden.“

Unternehmer sind „Teil des öffentlichen Raums“
Gleichwohl will Schneider „nicht, dass der Staat alles kontrolliert“, sondern eine Balance und „notwendige Kontrolle“. Hüther wies auf von (Lokal)Politikern geschaffene Freiräume hin, die nicht dem Wählerwunsch entsprächen. „Da muss man hier in Köln nicht näher drauf eingehen.“ Auch Schneider beklagte den Verlust von Bodenhaftung, prangerte die Selbstbedienungsmentalität an. „Wir brauchen starke Steuerungsmechanismen“, bekräftigte Hüther. Und Schneider forderte, gemeinsames Wirtschaften und gemeinsame Leistung sollten „zu gemeinsamen Erfolgen führen.“ Es dürfe nicht nur eine Seite profitieren. Die Unternehmer lebten in einer gesellschaftlichen Struktur und hätten sie mit zu gestalten – „an herausragender Position, eingebunden in ein Gemeinwesen, dem sie das zugute kommen lassen“. Hüther findet die Denkschrift schließlich auch deswegen bedeutsam: „Weil sie den Unternehmern diese Funktion aufzeigt: Sie sind Teil des öffentlichen Raums.“ Dabei solle der christliche Glaube zu sachgemäßem, verantwortlichem Handeln führen. Die Denkschrift erinnere uns alle an den moralischen Anspruch, „Moral im Sinne einer nüchternen Perspektive auf das Wünschbare und Realisierbare.“

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Broich