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Trauer- und Gedenkgottesdienst für die Opfer der Flutkatastrophe von Präses Nikolaus Schneider

Das Thema des Trauergottesdienst auf dem am 7. Januar 2005 im Rahmen des Trauer- und Gedenkgottesdienstes auf dem Flughafen in Düsseldorf für die Opfer der Flutkatastrophe war: „…dass dein Glaube nicht aufhöre.“ Diese Predigt des Präses über Lukas 22, 32 finden Sie unten im Original.

Noch ein Hinweis
Für die Opfer der Flutkatastrophe in Südasien und deren Angehörige findet am Samstag, 15. Januar 2005, 15 Uhr, ein zentraler ökumenischer Gottesdienst im Kölner Dom statt. Der Gottesdienst wird unter Leitung des Erzbischofs von Köln, Joachim Kardinal Meisner, und des Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Nikolaus Schneider, gefeiert. Im Anschluss an den Gottesdienst wird der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen Peer Steinbrück für die Landesregierung sprechen. Die Plätze sollten bis 14.40 Uhr eingenommen sein.

Hier also die Predigt, die der Präses auf dem Düsseldorfer Flughafen hielt:

„Liebe Gemeinde,

die Flut hat unseren Glauben erschüttert, unterspült, weggespült …

Für nicht wenige Menschen hat der Glaube aufgehört.  Weihnachten haben wir die in der Geburt Jesu Christi erschienene Liebe Gottes gepredigt und gefeiert. Und nur wenige Stunden später begegnen uns entfesselte und zerstörerische Naturkräfte. Wir erleben Leiden und Sterben in einem Ausmaß, das unser Vorstellungsvermögen übersteigt.

Die Bilder der Flutkatastrophe lassen uns an alte Sintfluterzählungen zurückdenken. Die Begegnung mit direkt Betroffenen, Freunden und Verwandten der Vermissten lassen uns fragen: Mein Gott, warum?

Gott – von dir bekennen wir, dass Du Himmel und Erde geschaffen hast, dass dir alle Naturgewalten untertan sind.

Gott – von dir bekennen wir, dass Du die Liebe bist und Leben in Fülle für alle Menschen willst.

Aber wie kann das Bekenntnis Bestand haben angesichts des sinnlosen Leidens und Sterbens von Kindern, von Frauen und Männern; angesichts der Zerstörung der Lebensgrundlagen der Armen, angesichts unseres vergeblichen Hoffens, Betens und Bittens.

Gott, unser Gott – bist du vielleicht nur eine fromme Illusion oder – noch schlimmer – ein zynischer Despot, der seine Spielchen mit uns treibt?

Gott, unser Gott – Gerechtigkeit und Liebe sind deine Namen, wo finden wir nun deine Gerechtigkeiten und deine Liebe?

Mit diesen Fragen, liebe Gemeinde, sind wir nicht allein. Schon Hiob fragte nach seinen persönlichen Katastrophen – Familie und alles Hab und Gut verloren – so.

Goethe soll angesichts des Erdbebens von Lissabon im Jahre 1755 seinen Glauben an einen gerechten und liebenden Gott aufgegeben haben.

So fragten die Überlebenden von Auschwitz und die Eltern der toten Kinder von Beslan. Und diese Fragen stellen wir heute angesichts dieser Flutkatastrophe.

Wir wenden uns fragend und klagend – ja, auch anklagend – an den Gott, der uns durch Jesus Christus offenbart hat:  Naturkatastrophen verbunden mit wahllosem Leiden und Sterben sind kein Zeichen von Gottes Zorn und Verdammnis.

Gott spielt nicht mit seiner Schöpfung. Seine Schöpfung ist aber nicht perfekt. Sie trägt in sich die Möglichkeit des Paradieses und der Hölle. Und erschrocken machen wir immer wieder die Erfahrung: Paradiesische Verhältnisse, auch in unserem persönlichen Leben, paradiesische Orte auf dieser Welt können sich über Nacht in Orte des Schreckens verwandeln. Aber auch das Umgekehrte gibt es: Hilfe, Nähe, Liebe und Erbarmen mitten im Tosen des Schreckens. Auch „Wundergeschichten“ von Rettung und Bewahrung mitten im Unglück haben wir gehört.

Deshalb gilt und soll gelten: Gottes Nähe und seine Gegenwart tragen Menschen in guten und schlechten Zeiten und auch durch ihr Leiden und Sterben hindurch.  Dieser Gott hört unseren Schrei, „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“.

Dieser Gott hat auch Jesus Christus nicht im Tode gelassen, sondern hat durch seine Auferstehung gezeigt, dass die Macht der Zerstörung und des Todes in all ihrer Realität begrenzt ist. Tod und Zerstörung wüten nur eine begrenzte Zeit. Ihre Macht, unser Leben zu bestimmen, ist von begrenzter Dauer. Tod und Zerstörung haben nicht das letzte Wort.

So, wie Jesus Christus lebt, werden auch wir leben, werden die Opfer der Flutwelle leben. Das gilt, auch wenn wir mit unserer kleinen Kraft und unseren beschränkten Möglichkeiten Tod und Zerstörung auf dieser Welt nicht besiegen können. So wie Christus für unser Leben bei Gott eintritt, so bittet er deshalb für unseren Glauben hier auf Erden. Damit wir unsere Kraft für das nicht verlieren, was wir angesichts von Leid und Verzweifelung, von Tod und Zerstörung tun können. Denn der Tod hätte wirklich gesiegt, wenn er uns diese Kräfte rauben würde.

Also: ich habe keine theologisch-dogmatische Antwort über Gottes Wollen mitten im Wüten des Todes. Aber wir haben die Zusage von Gottes Nähe und Gegenwart bei den Opfern, den Verletzten, den Leidenden und den Toten. Vor allem aber: Wir haben Gottes Kraft für die Menschen, die helfen durch das tröstende Wort, das sanfte Streicheln. Wir haben Gottes Kraft für die Menschen, die durch Organisation von Hilfe Ordnung und damit Leben mitten in das Chaos hineinbringen. Wir haben Gottes Kraft für die Menschen, die spenden, die Hilfsgüter transportieren und verteilen. Wir haben Gottes Kraft schließlich für diejenigen, die die schwere Aufgabe der Identifizierung von Leichen auf sich nehmen, damit die Angehörigen wenigstens das bekommen können, was noch bleibt: einen Ort der Trauer.

Jesus Christus selbst tritt dafür ein, dass wir nicht verzweifeln, uns dem Zynismus oder der Apathie ergeben. Unser Glaube an den Gott der Liebe und der Gerechtigkeit soll bleiben, damit uns die Kräfte zuwachsen, die die Opfer nun dringend brauchen. Kräfte des Lebens, des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe.

Amen“

Hinweis
Die Predigt mit Hinweisen und Kommentaren auf der Seite der EKiR hier.

Text: Schneider/EKiR
Foto(s): EKiR