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Pressekonferenz des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region zu sexuellem Missbrauch und erzieherischer Gewalt


Eine Veröffentlichung im Magazin „stern“ stand am Anfang. Darin wurde im März über die Leidensgeschichte von Detlef Korczak berichtet. Nach eigenen Angaben war dieser in den 60er Jahren durch einen Presbyter einer Kölner evangelischen Gemeinde sexuell missbraucht worden. Daraufhin traf sich Rolf Domning, Stadtsuperintendent des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region, zu einem persönlichen Gespräch mit Korczak. Dabei erfuhr Domning, dass es sich bei dem Missbraucher A. um einen ehemaligen Presbyter der Evangelischen Gemeinde Köln, Bezirk Lutherkirche, handelt. Domning bedauerte „zutiefst“ das begangene Unrecht und erklärte öffentlich: „Eine Strafverfolgung der glaubwürdig geschilderten Straftaten ist nicht mehr möglich, weil der mutmaßliche Täter bereits 1995 verstorben ist – diese Tatsache müssen wir aushalten“ Zugleich sicherte Domning einen offensiven Umgang mit dem Thema zu und versprach, sich durch Recherche „ein Gesamtbild“ verschaffen zu wollen. Der Stadtsuperintendent rief potenzielle Opfer sexuellen Missbrauchs und erzieherischer Gewalt öffentlich auf, Kontakt zur Evangelischen Kirche in Köln zu suchen und das an ihnen begangene Unrecht anzuprangern.



In einem Pressegespräch am Dienstag, 20. April, gab Domning nun im Kölner Haus der Kirche bekannt, dass bis heute zehn Personen Kontakt aufgenommen haben: „Ihre Fälle stammen aus den 40er bis 70er Jahren.“ Nicht alle dieser Taten seien in Köln geschehen. Die Nachforschungen darüber, ob sich die Einrichtungen, in denen sich die Taten ereigneten, ausnahmslos in evangelischer Trägerschaft befunden haben, sind noch nicht abgeschlossen.


Fälle aus den 40er bis 70er Jahren
Acht Opfer haben sich bei der Evangelischen Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Erwachsene in Köln gemeldet. „Vier von ihnen sind in den 40er Jahren in Kinderheimen, die offensichtlich in evangelischer Trägerschaft gewesen sind, massiv geschlagen und bestraft worden“, berichtete Dr. Juliane Arnold, Leiterin der Beratungsstelle. Sie seien unter anderem mit dem Rohrstock und Teppichklopfer malträtiert, nachts aus dem Schlaf gerissen und auf vielfältige Weise permanent gedemütigt und gequält worden. „Sie haben ihr erbrochenes Essen wieder zu sich nehmen müssen. Wenn sie ihr Bett eingenässt hatten, mussten sie sich am Morgen in die nassen Laken einwickeln“, gab Arnold die Schilderungen der Opfer wieder. Diese hätten auch von „Voyeurismus“ erzählt, etwa von Toilettengängen bei offener Tür, beobachtet von einer Aufsicht. Helga Blümel, Geschäftsführerin des Diakonischen Werks Köln und Region, berichtete von einem heute 68-jährigen Mann, der als Waise eine „Reise durch viele Kinderheime“ absolviert habe. Auch dieses Opfer habe systematisch Demütigungen erfahren.


Viele Opfer leiden bis heute unter den an ihnen begangenen Taten
Arnold und Blümel verdeutlichten, dass die Opfer von sexueller Gewalt und Misshandlungen bis heute unter den Geschehnissen leiden. Wichtig sei es, ihnen zunächst die Möglichkeit des Kontakts zu eröffnen und im weiteren jegliche Hilfestellung zu bieten. „Viele erzählen nun zum ersten Mal über die an ihnen begangenen Taten“, so Arnold. „Wenn sie sich entschlossen haben, besteht ein großes Mitteilungsbedürfnis. Das erfordert von uns viel Zeit zum Zuhören.“ Viele seien auch froh, ihr Schicksal einer „kirchlichen Person“ schildern zu können. Das Erzählen entlaste diese Menschen, von denen viele auch unter körperlichen Symptomen, beispielsweise Schlafstörungen, litten. Arnold verwies auf die Ambivalenz des sich Öffnens: „Die Menschen wollen sich mitteilen. Andererseits gilt es für sie, das, was dadurch ausgelöst wird, aushalten zu können.“ Bei einer Hilfestellung, betonte die Diplom-Psychologin, sei es wichtig, die Grenzen der Betroffenen zu wahren. „Wenn jemand Begleitung, fortlaufende Beratungsgespräche von unserer Seite wünscht, erhält er sie. Es gibt aber auch Menschen, die nicht innerhalb der Kirche weiter beraten werden möchten.“ Diese würden beispielsweise an städtische Beratungsstellen vermittelt. Blümel nannte dies „Hilfestellung durch Vernetzung“.


Hinweise auf ein „System von Missbrauch“ im Fall eines Täters
„Als das alles aufkam, hat mich das sehr betroffen gemacht“, sagte Domning. Durch zahlreiche Gespräche hat er sich inzwischen ein Bild vom mutmaßlichen Täter A. machen können. „Es gibt Hinweise darauf, dass dieser Mann ein System von Missbrauch aufgebaut hat.“ A. sei Psychologe gewesen. Er habe es verstanden, nach außen das Bild eines „Ehrenmannes“ zu vermitteln. So habe er Ehrenämter bis in die Kreissynode bekleidet, sei er Mitglied im Vorstand des Diakonischen Werkes Köln gewesen. Domning zeigte sich zu hundert Prozent überzeugt von den Schilderungen Korczaks sowie eines weiteren männlichen Opfers von A., das sich bei der Karl-Immanuel-Küpper-Stiftung gemeldet hat. In dieser Stiftung war A. seit 1972 ehrenamtlich tätig gewesen und „fließend in die pädagogische Leitung hinein gerutscht, bis er sich 1980 in den Vorruhestand verabschiedete.“ Seine Funktion dort, das sei bei der Recherche deutlich geworden, habe A. für seine Zwecke ausgenutzt. Und obwohl einigen Mitarbeitenden Verhaltensweisen „merkwürdig“ vorgekommen seien, so der Stadtsuperintendent, sei aufgrund des „ehrenhaften“ Auftritts nicht reagiert worden. „Es macht mich zornig, wie lange da ein Mensch sein Unwesen in unserer Kirche hat treiben können“, sagte Domning.


Blümel: „Heute lernt jedes Kind in einer evangelischen KiTa, ‚Nein‘ zu sagen“
„Wir haben noch erzieherischen Drill kennengelernt“, erinnerte Helga Blümel an die Sozialisation ihrer Generation der heute etwa 50jährigen. Längst aber gebe es in der evangelischen Kirche eine andere Kultur im Umgang mit Menschen. „Uns ist wichtig, Menschen stark zu machen, ihren eigenen Willen zu stärken,“ schilderte die Diplom- Pädagogin bewährte Beispiele aus der Praxis der heutigen evangelischen Kirche. Das Diakonische Werk Köln und Region stehe für elf Tageseinrichtungen für Kinder und Jugendliche, angesiedelt auch an sozialen Brennpunkten. In den Kita´s beispielsweise würden regelmäßig Kurse zur Gewaltprävention stattfinden. „Jedes Kind bei uns kann ´Nein´ sagen. Wir wollen eine Mentalität erreichen, die hoffentlich lange trägt. Eine Mentalität, die körperliche Gewalt, die sexuelle Gewalt nicht zulässt“, so Blümel. „Bei uns lernen Kinder früh, dass sie ein Recht auf eigene Wünsche und Bedürfnisse haben; dass sie ihre Grenzen deutlich machen können; dass jeder Mensch das Recht auf seine Intimsphäre hat.“ Grenzüberschreitendes Verhalten verhindern helfen soll auch die Vereinbarung, die Mitarbeitende in den Arbeitsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe des Diakonischen Werkes jüngst erarbeitet haben. Die Vereinbarung zum Thema „Verhinderung von sexuellem Missbrauch durch Mitarbeitende des Diakonischen Werkes an Kindern und Jugendlichen“ sei auch auf Wunsch der Mitarbeitenden sehr umfangreich formuliert worden, sagte Blümel. Sie umfasst unter anderem eine Ehrenerklärung, die einen obligatorischer Teil des Arbeitsvertrages darstelle.


Im Evangelischen Kirchenverband Köln und Region können sich Opfer sexueller oder erzieherischer Gewalt weiterhin wenden an:



Evangelische Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Erwachsene
Tunisstraße3, 50667 Köln, Telefon: 0221/2577461



Nebenstelle Bensberg: Milchborntalweg 4, 51429 Bergisch Gladbach-Bensberg, Telefon: 02204/54004


Nebenstelle Frechen: Blindgasse 6, 50226 Frechen, Telefon: 022345/17025



Evangelisches Jugendpfarramt (jupf)
Kartäuserwall 24 b, 50678 Köln, 0221/93180-10



Diakonisches Werk Köln und Region
Brandenburger Straße 23, 50668 Köln, Telefon: 0221/16038-0






Aktuell: Fortbildungsangebot „Verhinderung von sexuellem Missbrauch und Gewalt“
Anlässlich der aktuellen öffentlichen Diskussion führen die Melanchthon-Akademie und das Evangelische Jugendpfarramt Köln eine Informationsveranstaltung für haupt- und ehrenamtliche Mitarbeitende in evangelischen Kirchengemeinden durch. Das Fortbildungsangebot „Verhinderung von sexuellem Missbrauch und Gewalt“ findet statt in der Melanchthon-Akademie, Kartäuserwall 24 b, 50678 Köln, Raum 21, am Donnerstag, 22. April, 19 Uhr. Werner Völker, Leiter des Evangelischen Jugendpfarramtes Köln, wird eingangs die gesetzlichen Vorgaben erläutern, die für die Beschäftigung von Männern oder Frauen in der Gemeindearbeit mit Kindern und Jugendlichen gelten. Zentral wird Diplom Sozialarbeiter Lothar Simon, stellvertretender Leiter der Evangelischen Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, über die Strategien von Tätern, das Erkennen von Risikofaktoren und Präventionskonzepte sprechen. Sein Ziel ist es, Ihnen dabei zu helfen, präventive Strukturen zu schaffen, die es ermöglichen, Missbrauch in Ihrer Gemeinde und deren Einrichtungen zuverlässig und auf Dauer unmöglich zu machen“. Die Veranstaltenden bitten um Anmeldung per Telefon (0221/931803-0), Fax (0221/931803-20) oder E-Mail (anmeldung@melanchthon-akademie.de).

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich