You are currently viewing „Öffentliches Lamentieren über Finanzen und Statistiken ist kontraproduktiv!“

„Öffentliches Lamentieren über Finanzen und Statistiken ist kontraproduktiv!“

Ein Zitat von Kardinal Reinhard Marx, dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, findet sich dieser Tage in vielen Zeitungsmeldungen über den Exodus aus der Gemeinschaft der Gläubigen: Die aktuell hohe Zahl der Kirchenaustritte mache den Bischöfen bewusst, bekennt Marx, „dass wir Menschen mit unserer Botschaft nicht mehr erreichen.“ Mit der Betonung auf welcher Aussage aber ist dieser Nebensatz zu lesen: „…dass wir Menschen mit unserer Botschaft nicht mehr erreichen?“ Oder so: „…dass wir Menschen mit unserer Botschaft nicht mehr erreichen?“ Stimmt die Vermarktung des – immer noch attraktiven – "Produkts" nicht mehr? Oder hat das Produkt (…die Botschaft, der Gottesdienst, die Gemeinschaft, die rituelle Begleitung…) zum Ladenhüter geworden, hat keine Relevanz für die "Kundschaft" mehr?

Was ist zu tun, damit Menschen von der Botschaft erreicht werden?

Aus der Sprache der Warenwirtschaft rückübersetzt in die Sphäre der Kirchenwirklichkeit, kann eines als sicher gelten: Menschen haben ein feines Gespür dafür, wenn Botschafter ihre Botschaft nicht stimmig verkörpern, so dass eine Doppelbotschaft vermittelt wird, die verwirrt. Da reißen – wie zuletzt in Limburg – Gräben auf zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Wenn noch eine dilettantische Zentral-PR wie jüngst zur Abgeltungssteuer mit Resonanz in den bundesweiten Leitmedien hinzu kommt, bietet die Mischung Zündstoff für eine Implosion. Und die ereignet sich nicht nur in der katholischen Abteilung des „Unternehmens Kirche“, auch die evangelische Kirche ist von steigenden Austrittszahlen betroffen, bei zugleich steigenden Eintrittszahlen. Welche Effekte bestimmen das „lohnende“ Verhältnis von Angebot und Nachfrage? Was ist zu tun, damit Menschen von der Botschaft des Heils, des Glauben, der Hoffnung erreicht werden? Oder ist alles schon vergebene Liebesmüh’, wie das bei Kardinal Marx resigniert klingt („…nicht mehr erreichen“)?

Es gibt jede Menge Konkurrenz auf dem Markt spiritueller Begleitung…

Prüfen wir die Bedürfnislage. Die großen Fragen, auf welche die Frohe Botschaft seit 2000 Jahren eine Antwort zu geben sucht, sind so drängend wie zu allen Zeiten: Der Mensch wird ins Leben geworfen und bleibt fortan der Welt mit ihren Wechselfällen ausgesetzt – konfrontiert mit Kontingenz. Das bedeutet, die Erfahrungen, die wir machen, sind prinzipiell offen (im Guten wie im Schlechten). Dem Zufall ist zu begegnen, unser Leben und Sterben ist auszuhalten. Aus dieser Not der Bewältigung existenzieller Unverfügbarkeit sind alle archaische Magie und Medizin (lat. „medicamen“ = Zaubermittel), alle Philosophie und Religion geboren. Immer noch knapp 24 Millionen deutscher Katholiken und gut 23 Millionen evangelischer Christen im Lande halten ein „Abonnement“ für ihre Versorgung mit Verkündigung, Taufe, weiteren Sakramenten und Kasualien ihrer Kirche, bis zur christlichen Beerdigung. Allein, es werden weniger, die Bevölkerung schrumpft, sie wird älter. Und kulturell wie religiös vielfältiger, durch mehr Zuwanderung. Fakt ist, das Monopol von einst ist gebrochen: Es gibt jede Menge Konkurrenz auf dem Markt spiritueller, sozialdiakonischer, seelsorgerlicher Begleitung. Das wird auch so bleiben – und ist ein Merkmal der pluralistischen Gesellschaft. Wann gewöhnen wir uns daran?

"Glaube und Geld gehören zusammen"

"Glaube und Geld gehören zusammen", schreibt Matthias Kamann in der Tageszeitung DIE WELT, und meint: "Bei den meisten scheint die Ökonomie des Religiösen gestört zu sein." Anders gesagt, die Leute fragen sich, was sie für ihr Geld bekommen. Da werde auch "der Nutzen des Glaubens zweifelhaft", konstatiert Kamann. Und spricht den Kirchen doch weiterhin eine hohe "soziale Lebensrelevanz" zu. Wie wichtig diese heute noch sei, merke man daran, "dass Kirche für viele Menschen Bedeutung bekommt, wenn es ernst wird, bei der Geburt eines Kindes, bei der Hochzeit, bei der Beerdigung, bei Krankheiten" – siehe oben! Aber im ganz normalen Alltag werde Kirche von vielen nicht mehr für so wichtig gehalten…

Öffentliches Lamentieren über Finanzen und Statistiken ist kontraproduktiv!

Aufgabe der Kirchen ist es daher, fröhlich und selbstbewusst einzuladen, die Botschaft, die Gemeinschaft und deren Angebote wahrzunehmen, (neu) kennenzulernen, auf Familien, Kinder und Jugendliche zuzugehen und die alten Geschichten plausibel zu erzählen, humorvoll, poetisch. In herausfordernden säkularen Kontexten, nicht hinter Mauern der Angst und Sorge. Öffentliches Lamentieren über Finanzen und Statistiken ist kontraproduktiv! Entschlossene Arbeit an lustvoller Befähigung, treuer Vergewisserung und gelebtem Vertrauen in Dienst und Leitung wirken dagegen befreiend. Mehr Mut, mehr Stolz, mehr Gotteszuversicht, auch "Austausch über den Glauben", kompetente Information über religiöse Fragen und beherzte Antworten darauf sind angesagt, so wie das in vielen unserer Kirchengemeinden und Kirchenkreisen vor Ort bereits gelebt wird, man denke an die wachsende Zahl von "Kursen zum Glauben" in unserer Region.

Die „Sieben Werke der Barmherzigkeit“ – Kanon für das gute Leben

Für prominente Top-Repräsentanten der Kirchen sowie für uns alle – Gemeindeglieder und Mitarbeitende, ob leitend oder in anderen Funktionen – empfiehlt es sich daher, statt über Verluste und Veränderungen zu klagen, glaubwürdig, gelassen und echt den Menschen in unserer Zeit zu begegnen. Tag für Tag. Einfach unsere Arbeit zu tun, so gut wir können und: in all dem Lernende zu bleiben, offen und neugierig. Auch das heißt „ecclesia semper reformanda“. Vor allem aber, als Christinnen und Christen gute Nachbarn zu sein, den Not Leidenden die „Sieben Werke der Barmherzigkeit“ zu erweisen: Hungrige speisen. Durstige tränken. Fremde beherbergen. Nackte bekleiden. Kranke pflegen. Gefangene besuchen. Tote begraben. Diese Werke (und ihnen zugrunde liegenden Werte!) seien zwar „nicht marktfähig“, sagte der evangelische Theologe Fulbert Steffensky kürzlich in der Wochenzeitung DIE ZEIT, sie taugten aber als Kanon für das gute Leben. Von diesem Glück ist laut zu künden.

Text: Günter A. Menne
Foto(s): Jürgen Schulzki