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Mitglieder der Evangelischen Kirchengemeinde Bickendorf pilgerten durch die Kölner City

Sakrale und weltliche Adressen, betriebsame Plätze, abgeschiedene Winkel, städtebauliche Wunden, Stätten des Trostes, der Sehnsucht und Erinnerung: Eine Pilgergruppe der Evangelischen Kirchengemeinde Bickendorf besuchte binnen gut zwei Stunden genau solche Orte. Sehr verschiedene Orte mitten in der Stadt. Dabei ging es um die elf Stationen selbst, und, wie sich schnell herausstellte, mehr noch um die Etappen zwischen ihnen.

Spiritueller Weg durch die Innenstadt

„Wir haben das Heft in die Hand bekommen und gedacht, das ist genau unser Format“, begrüßte Pfarrerin Uta Walger. Sie präsentierte den Umstehenden die vom Evangelischen Kirchenkreis Köln-Mitte 2018 herausgegebene Broschüre „Stadtpilgern in Köln. Ein spiritueller Weg durch die Innenstadt“. Darin finden sich kurze Beschreibungen von elf Adressen, Impulse zum „aufmerksam werden“ und Einladungen, sich unter bestimmten Aspekten und mittels Übungen auf die jeweiligen Orte und Abschnitte einzulassen. Verantwortlich für die Konzeption des Stadtpilgerweges und -führers zeichnet ein Redaktionsteam unter der Geschäftsführung der Melanchthon-Akademie.

Mit Walger leitete Finanzkirchmeister Jörg Krautmacher, der in der Bickendorfer Kirchengemeinde seit Jahren Pilger-Veranstaltungen organisiert, entlang des Weges. Der Weg bot gezielte Information, viel Inspiration, manches Gebet und immer wieder die Möglichkeit des „Für-sich-unterwegs-seins“, der inneren Einkehr, um der Christusgegenwart nachzuspüren. Schon zu Beginn, im Schatten von Überresten des römischen Kastells Divitia am Deutzer Rheinufer und den Gang auf dem Rheinboulevard vor sich, regte Walger an, „Passagen für uns alleine zu gehen, um dann wieder miteinander ins Gespräch zu kommen“. Der Weg werde wie eine Schneckenlinie, eine Spirale hin zur Mitte erfolgen.

Brücken und Brunnen

Auf der Hohenzollernbrücke, „der meistbefahrenen Eisenbahnbrücke Deutschlands“, sprach Walger auch grundsätzlich über die Wichtigkeit von Brücken, über deren verbindende Eigenschaft. Verbindungen dokumentierten ebenso die seit Jahren hier angebrachten Liebes-Schlösser. Deren Schlüssel, so die Hoffnung der einander Zugewandten, würden nicht mehr benötigt und daher im Rhein versenkt. „Das erzählt Geschichten von vielen Menschen“, so die Pfarrerin. „Was ist Euch so wichtig, dass Ihr es behalten, festhalten wollt, was könnt ihr gehen und loslassen?“, fragte sie.

„Heute würde keiner mehr auf die Idee kommen, einen Brunnen für Tauben zu bauen“, meinte Krautmacher am von Ewald Mataré entworfenen Taubenbrunnen. Mit seinem Mosaikboden und seiner von einem Spiralweg dominierten Schale befindet er sich auf dem Kardinal-Höffner-Platz, unmittelbar westlich der Domplatte. „Hier könnte ein Ort der Besinnung sein, wenn der Trubel nicht wäre“, gab Krautmacher zu bedenken, um sogleich zu relativieren: „Man kann den Krach wegdenken, wenn man auf den Brunnen guckt; das lässt einen abschalten.“ Viele würden diesen bodennahen Brunnen nicht kennen beziehungsweise wahrnehmen. Doch es lohne sich, über seine Bedeutung und die des Ortes, über das hier zu Entdeckende nachzudenken.

Ort der Ruhe und der Stille

„´Neue´ Orte in einer bekannten Stadt“, formulierte Walger im Innenhof des Museums für Angewandte Kunst Köln (MAKK). „Wie schön, einen solchen Ort der Ruhe zu haben.“ Das Gebäude aus den fünfziger Jahren hätten Rudolf Schwarz und Josef Bernard schlicht geplant für das Wallraf-Richartz-Museum: „Bescheiden baumeisterlich ins Dauerhafte gebracht“, zitierte sie Schwarz. Seit 1989 nehme es das MAKK auf. Hier ließen sich gewohnte, alltägliche Gegenstände neu ansehen und vertraute Dinge neu entdecken – wie auf einem Pilgerweg. Der neben der Minoritenkirche, auf dem ehemaligen Grund des Minoritenordens gelegene Innenhof, er kann zu den Öffnungszeiten des Museums ohne Ticket betreten werden, lade ein, innezuhalten. „Was bewegt mich nach dem Trubel draußen, was kann ich hier für mich mitnehmen?“

In der Kapelle „Madonna in den Trümmern“ mit Sakramentskapelle umfing Weihrauch die Pilgernden. Krautmacher betonte, dass viele Orte der Stille in Köln nahe beieinander existierten. Den Andachtsort, der seit zwölf Jahren in den Bau des Kunstmuseums des Erzbistums Köln integriert sei, habe man errichtet in den Ruinen von St. Kolumba – einst eine der größten Kölner Pfarrkirchen. Ihre Zerstörung im Zweiten Weltkrieg habe eine mittelalterliche Madonna fast unversehrt überstanden, sprach Krautmacher von einem Wunder. Abschließend zitierte er aus Hilde Domins berührendem Gedicht „Die schwersten Wege“: „…wenn du lange gegangen bist, bleibt das Wunder nicht aus, weil das Wunder immer geschieht, und weil wir ohne die Gnade nicht leben können: die Kerze wird hell vom freiem Atem des Tags, du bläst sie lächelnd aus wenn du in die Sonne trittst.“

Ort der Hoffnung, Antoniterkirche

Welchen Kontrast dazu bildete die nächste Station nur wenige Meter entfernt! An der Ecke Tunisstraße/Glockengasse blickte die Gruppe auf einen Abschnitt der Nord-Süd-Fahrt. Dieser sei ein ziemlicher Schandfleck, drückte Walger wohl die allgemeine Auffassung aus. In den 1950er Jahren sei für diese Trasse abgerissen worden, was der Zweite Weltkrieg habe stehen lassen. Ohne Rücksicht auf Verluste und der Idee einer „autogerechten Stadt“ folgend, sei eine Schneise für den Kraftfahrzeugverkehr geschlagen worden. Zugleich charakterisierte Walger diesen Ort als Ort der Hoffnung. Etwa darauf, dass die Nord-Süd-Fahrt weiter eingehaust werde. Darauf, dass die Sanierung der gegenüberliegenden Gebäude der Oper und des Schauspiels in einigen Jahren tatsächlich abgeschlossen sei. Dies sei ein Ort, schwierige Situationen und Dinge auf sich wirken zu lassen. „Ja, im eigenen Leben gibt es auch so etwas. Wie kann man so etwas integrieren, wie sich nicht entmutigen lassen?“

„Das ist unsere evangelische Stadtkirche, klein aber fein“, sagte Krautmacher vor dem Besuch der Antoniterkirche. Er erinnerte an die Historie des vom Antoniter-Orden errichteten gotischen Gebäudes. 1802 sei die Kirche von der französischen Besatzung Kölns den vormals heimlichen protestantischen Gemeinden übergeben worden. Mit dem Zweitguss des „Güstrower Ehrenmals“ von Ernst Barlach verfüge die Kirche über eine sehr besondere Bronzeplastik, so Krautmacher. In der Nische neben Barlachs „Schwebendem“, wie das Mahnmal auch genannt wird, steht ein Nagelkreuz. Es dokumentiere die Aufnahme der Antoniterkirche und -gemeinde in die internationale Nagelkreuzgemeinschaft.

Pilgern –  Resümee

Über die Stationen Alt St. Alban, Eisenmarkt und Altstadt-Gassen sowie Groß St. Martin führte der Weg auf den Vorplatz rund um die romanische Kirche – und zum Abschluss in ein Altstadt-Lokal. Die Teilnehmenden seien vom Pilgerweg sehr angetan, fasste Krautmacher die Resonanz zusammen. „Sie fanden das ganz toll“, weil er sie auch zu bislang nicht so bekannten Orten geführt und zur Beschäftigung mit zahlreichen, insbesondere spirituellen Aspekten inspiriert habe. „Um dem Weg der Handreichung zu folgen, benötigt man keine große Vorbereitung“, resümierten er und Pfarrerin Uta Walger. Die Broschüre ermutige Menschen, einfach mit dem Pilgern zu starten, lobte Krautmacher die Verantwortlichen. „Sie ist eine Bereicherung für die Gemeindearbeit.“ Sie sei nicht einfach ein Stadtführer, sondern berücksichtige den spirituellen Charakter.

„Heute waren auch Menschen dabei, die noch keine unserer gemeindlichen Pilgerangebote wahrgenommen haben“, erzählte Krautmacher im Nachgespräch weiter. Schon bevor er die von der rheinischen Landeskirche angebotene Ausbildung zur Begleitung von Pilgergruppen absolviert habe, habe er 2011 in der Gemeinde eintägige meditative Wanderungen unter bestimmten, auch biblischen Themen und Fragestellungen organisiert. Seit einiger Zeit kämen einmal jährlich mehrtägige Angebote hinzu. „Vier Jahre gibt es unser Stadtpilgern. Nach einem Gottesdienst und Imbiss starten wir zu Zielen innerhalb Kölns“, beschreibt Krautmacher das „niedrigschwellige Angebot“. 2018 seien sechs Gemeindeglieder eine Woche von Arles 150 Kilometer auf dem Jakobsweg gepilgert. 2020 stehe die Fortsetzung an. Einen weiteren Aspekt stelle das Pilgern mit älteren Jugendlichen dar. So habe er mit Jugendleiter Marc Schmidt bereits zwei- bis dreitägige Pilgergänge auf dem Jakobsweg im Bergischen und Oberbergischen durchgeführt.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich