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Klug leben, klug werden, klug sterben – großes Bühnenprogramm auf dem 35. Deutschen Evangelischen Kirchentag

Fünf Tage Kirchentag bei hochsommerlichen Temperaturen liegen inzwischen hinter vielen Kölnerinnen und Kölnern, die zusammen mit ca. 97.000 anderen Dauerteilnehmenden vom 3. bis 6. Juni 2015 den Weg nach Stuttgart gefunden hatten.

Die fünf Tage vom Eröffnungsgottesdienst am Mittwoch mit dem „Abend der Begegnung“ bis zum Schlussgottesdienst am Sonntag waren gefüllt mit 2.500 Veranstaltungen wie Konzerte, Theater, Kleinkunst, Workshops, Bibelarbeiten, Feierabendmahle, Hauptvorträge und Podiumsdiskussionen – so vielfältig wie das religiöse und gesellschaftliche Leben und alle mit der Losung „damit wir klug werden“ aus dem 90. Psalm, Vers 12, überschrieben.

Didi Jünnemann, Wolfram Behmenburg und „Hermanns & Putzler“
Auch Teilnehmende aus dem Evangelischen Kirchenverband Köln und Region setzten sich mit der Losung auseinander und trugen so zur Gestaltung des Programms mit bei. So war die Evangelische Jugend in Köln und Umgebung im „Zentrum Jugend“ mit ihrem traditionellen „Kölner Treff“ zu finden, wo es Mitmachaktionen unter der kölschen Überschrift „domet ehr klooch weedt!“ gab. Wolfram Behmenburg vom Kabarett „KLÜNGELBEUTEL“ konnte man gleich drei Mal mit seinem neuen Soloprogramm erleben. Und auch das Kölner Kabarettduo „Hermanns & Putzler“ (Susanne Hermanns und Sabine Putzler) hatte mehrere Bühnenauftritte. Kabarettistisch ging es ebenfalls zu bei einer Bibelarbeit des Kölner Kabarettisten Didi Jünnemann zusammen mit Gundula Schmidt.

Gastierte mit einem Soloprogramm auf dem Kirchentag: Pfarrer Wolfram Behmenburg vom Kölner Kirchenkabarett "KLÜNGELBEUTEL"

Zum vierten Mal gab es eine „Rheinische Bühne“
Traditionell gab es auch beim Stuttgarter Kirchentag zum vierten Mal eine Open Air-Bühne, die von Mitgliedern des Landesausschusses Rheinland – diesmal mit Unterstützung aus Westfalen und Lippe – organisiert wurde. Und auch hier auf der Bühne am Karlsplatz waren wieder einige aus dem Kirchenverband sowohl in der Vorbereitung als auch an der Mitwirkung beteiligt. Jeder der drei Programmtage stand unter einer eigenen Überschrift: klug leben / klug werden / klug sterben. Und über mangelnde Besucherzahlen mussten sich die Organisatoren auch nicht beschweren: Trotz großer Hitze war der Platz (vor allem im Schatten) vor der Bühne stets mit etwa 600 Menschen gefüllt.

„Klug leben“
Am Donnerstag ging man der Frage nach, was „kluges Leben“ ist. Dazu waren, ergänzend zum Bühnenprogramm, Pavillons zum Thema „Nachhaltigkeit“ und „faires Leben“ auf dem Karlsplatz aufgebaut. Auf der Bühne selbst erzählten Menschen, wie sie zu ihrem eigenen Lebensrhythmus gefunden haben. So berichtete Janice Jakait, Autorin und Umweltaktivistin aus Heidelberg, wie sie als erste Deutsche allein und ohne Begleitboot in 90 Tagen den Atlantik mit einem Ruderboot überquert hatte. Der Reise vorausgegangen war eine Lebenskrise, es folgte die Suche nach Stille, die sie auf dem offenen Meer fand. Über eine weitere Form der Stille – eine, die man im klösterlichen Leben findet – berichtete Schwester Christophora Janssen, Benediktinerin und Künstlerin aus Rüdesheim. Sie erzählte davon, wie sie in der Gemeinschaft mit anderen Schwestern den Rhythmus von Arbeit und Gebet gefunden hat. Wie man als Arbeitgeber Strukturen für Mitarbeitende schaffen kann, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern, darüber gab Rüdiger Bechstein, Personalleiter der Alfred Kärcher GmbH in Stuttgart, Auskunft. Und in einer Art literarisch-poetischen Tageszusammenfassung machte die Theologin und Autorin Christina Brudereck aus Essen den Zuhörenden Mut, sich von so manchen Zwängen zu befreien und Zeit für die eigene Stille zu finden.


Brachten Humor auf die Bühne: das Kabarettduo


„Klug werden“
Macht Schule klug? Margret Rasfeld, Leiterin der Evangelischen Schule in Berlin, verdeutlichte in einem Vortrag, dass es in der Schule nicht allein um die Wiedergabe von Wissensinhalten gehen dürfe. Immer noch werde es versäumt, ausreichend emotionale und soziale Fähigkeiten zu vermitteln. Auch Maike Axenkopf, Stipendiatin des Evangelischen Studienwerks Villigst, wünschte sich eine Förderung von Begabungen, die nicht im Lehrplan stehen. Professorin Jutta Allmendinger, Präsidentin des Berliner Wissenschaftszentrums für Sozialforschung, warb schließlich für das Projekt „Schule im Aufbruch“, damit Schule nicht zur „Beziehungsverhinderungsanstalt“ verkomme.

„Von Klugscheißern und anderen Zeitgenossen“
Am Nachmittag unterhielt der Kabarettist Martin Buchholz in Lied- und Wortbeiträgen mit dem Titel „Von Altklugen, Klugscheißern und anderen Zeitgenossen“ die Kirchentagsgäste vor der Bühne. An einer „Anleitung zum Klugsein“ versuchte sich Dietmar Arends, Landessuperintendent der Lippischen Landeskirche, der für sich erkannt hat, dass die Klugheit damit beginnen kann, „zu erkennen, dass auch andere klug sind“. Er plädierte für eine Bereitschaft zum Zuhören. Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen und Präsidentin des Deutschen Kirchentages, räumte ein, dass es zwar schön wäre, wenn man direkt der Bibel entnehmen könne, wie zum Beispiel zur Maut oder Gesundheitsreform abgestimmt werden müsse. Doch so einfach sei das nicht. Klugheit bedeute auch, zu erkennen: „Wir sind nicht die Größen, da ist noch einer, der größer ist als wir.“

„Klug sterben“
Am Samstag wagte sich das Bühnenvorbereitungsteam an die schwierige Frage, ob und wie kluges Sterben möglich ist. Antworten aus medizinischer und theologischer Sicht gaben Professor Dr. Dr. Dr. h.c. Eckhard Nagel, Arzt und Ethiker aus Essen, Professor Gian Domenico Borasio, Palliativmediziner aus Lausanne, sowie Nikolaus Schneider, ehemaliger rheinischer Präses und Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

„Nicht Herr unseres eigenen Sterbens“
„Den guten Tod gibt es nicht“, sagte Borasio, denn jeder sterbe so, wie er gelebt habe. Er sprach sich gegen eine ökonomisch motivierte „Übertherapie am Ende des Lebens“ aus. Es gebe den Irrglauben, dass die Medizin alles heilen könne und dieser werde bewusst von der Medizinindustrie gefördert, so Borasio. Nach seiner Auffassung entstehen in den letzten zwei Lebensjahren eines Menschen „Zweidrittel aller Gesundheitskosten“. In der Sterbehilfe-Debatte gehört Borasio zu den Unterstützern eines Gesetzentwurfes nach dem Vorbild des US-Bundesstaates Oregon. Dort ist seit 1998 der ärztlich assistierte Suizid bei Schwerstkranken erlaubt. Mindestens zwei Ärzte müssen zu dem Ergebnis kommen, dass eine Krankheit vorliegt, die innerhalb von sechs Monaten zum Tode führt. Laut Borasio bleibt bei diesem Verfahren die Zahl der Selbsttötungen im Promillebereich.

Professor Dr. Eckhard Nagel widersprach dem Palliativmediziner: „99 Prozent der Medizinstudenten wollen Ärzte werden, weil sie Menschen helfen wollen“, so Nagel. Er bezeichnete es als Fiktion, dass jeder Mensch selbst entscheiden könnte, wie er stirbt: „Wir müssen ein Verständnis dafür wecken, dass wir nicht Herr unseres eigenen Lebens und Sterbens sind.“ Die Ärzteschaft stehe für das Leben. „Wir sind gegen aktive Sterbehilfe, aber für eine intensive medizinische und palliativmedizinische Begleitung beim Sterben und für ein flächendeckendes Angebot von Hospizbewegungen“, so Nagel.

„Einen anderen Menschen zu töten als einen Akt der Barmherzigkeit, das kann ich mir nicht vorstellen“, betonte Nikolaus Schneider, ehemaliger Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland. Es gelte, das Leben in seiner Heiligkeit zu wahren und auch den Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf, meinte der Theologe.

Frage nach der eigenen Endlichkeit
Am Samstagnachmittag ging es dann weiter mit kabarettistischen Impulsen der beiden Kölner Kabarettistinnen „Hermanns & Putzler“ sowie mit einer Präsentation der „Engel in Ausbildung“, in der sich Jugendliche aus der Gemeinde Köln-Pesch über die Frage nach der eigenen Endlichkeit Gedanken machten. In einer sogenannten „Plauderrunde“ moderierte der Stommelner Pfarrer Volker Meiling ein Gespräch zwischen Dr. Albert Damblon, Pfarrer aus Mönchengladbach, Harald-Alexander Korp, Religionswissenschaftler, Philosoph und Autor aus Berlin, und Jens-Peter Enk, Leiter der Arbeitsstelle Kirchenmusik in der Evangelischen Kirche im Rheinland, unter der Überschrift „Als ich noch unsterblich war…“ Dabei wurde gefragt, wie sich jeder das eigene Sterben und den eigenen Tod vorstellt.


Bereitete die Bühne mit vor und moderierte dort auch: Pfarrer Volker Meiling


Ob Humor und Sterben zusammenpassen, damit beschäftigten sich in einer zweiten Runde die Kölner Schauspielerin und Clownin Mieke Stoffelen, die Kinder und alte Menschen beim Sterben begleitet, und Harald-Alexander Korp, Hospizhelfer und Autor der Buches „Am Ende ist nicht Schluss mit lustig“. An diesem Gespräch beteiligten sich wiederum Jugendliche aus Köln-Pesch und die Kabarettistin Susanne Hermanns.

Lob von Präses Rekowski
Manfred Rekowski, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, lobte während des Abendgebetes den Mut zur Platzierung einer Veranstaltung zum Thema „Klug sterben“ auf einem öffentlichen Platz während des Stuttgarter Kirchentages.

Text: She/EKiR/APK
Foto(s): Susanne Hermanns