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„Kirchenasyl ist die Gewissensentscheidung einer Gemeinde“

Die neue Keimzelle eines besseren Schutzes für Flüchtlinge, die von Abschiebung bedroht sind, ist aktiv: Unter dem Dach der evangelischen ThomasChristus-Kirchengemeinde bildete sich ein Runder Tisch „Kirchenasyl“. Die engagierten Christinnen und Christen wollen ein Netzwerk mit festen Strukturen aufbauen. Pfarrer Christoph Rollbühler und das Ökumenische Netzwerk Asyl in der Kirche in NRW sind die Initiatoren.

Es wurde eng im Pfarrhaus bei Christoph Rollbühler, nachdem eines Tages jemand angeklopft und einen jungen Mann aus Guinea gebracht hatte. Der Afrikaner sollte abgeschoben werden. Rollbühler, seine Frau und die drei Kinder rückten zusammen. Als die Polizei kam und den Mann herausholen wollte, pochte Rollbühler auf sein Recht als Hausherr. Später kam eine Frau aus Nigeria mit ihrem Kind dazu. „Da prallten Kulturen aufeinander, wir mussten einschreiten, als sie ihr Kind mit Schlägen bestrafte“, beschrieb er am Runden Tisch die dunkle Seite der Barmherzigkeit. Die andere, die menschliche Seite gewann bald die Oberhand. „Man bindet sich emotional, ein anonymer Fall bekam ein Gesicht, und die Gemeinde begann, sich hinter den Schicksalen zu versammeln und zu helfen, wo sie konnte“, erzählt Rollbühler.

Gemeinde beteiligte sich Ende der 1990er Jahre am Wander-Asyl
Auf der Tagesordnung zum ersten Runden Tisch „Kirchenasyl“ im Gemeindehaus an der Christuskirche hat der evangelische Pfarrer ein Foto von einem Protest im Jahr 1998 abgedruckt. Das Schlagwort „Kein Mensch ist illegal“ ist auf einem der Plakate von der Demonstration vor der Christuskirche zu lesen, aus der damals das Wander-Asyl hervorging: Gemeinden schlossen sich zusammen, um Menschen, die vor drohender Folter in ihrem Heimatland geflohen waren, zu beherbergen. Waren die Mittel einer Gemeinde erschöpft, „wanderten“ die Flüchtlinge in die nächste, die ihre Unterbringung und Verpflegung leisten konnte. „Ich prophezeie, der Flüchtlingsschutz wird jetzt eine Massenbewegung, und die Kirchen sind die Vorreiter“, sagt Thomas Flörchinger, der zusammen mit Jan Henkel vom Ökumenischen Netzwerk Asyl in der Kirche, den Kirchengemeinden Beratung anbietet.

Kirchenasyl als Gewissensentscheidung vor Ort
„Die Menschen, die wir im Pfarrhaus beherbergt haben, sind inzwischen woanders sicher untergebracht, aber ich komme jetzt nicht mehr von dem Thema Kirchenasyl los, und ich nehme das an“, fasst Rollbühler eine Erfahrung zusammen, die ihn verändert hat. Er versteht die neue Kirchenasyl-Bewegung als politisches Signal an Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Als Hüter der Verfassung sorgte der evangelische Christ Anfang des Jahres mit seiner Äußerung, keine Institution dürfe ihr Recht über das deutsche Gesetz stellen, für Empörung. „Missbrauch des Kirchenasyls“ nannte de Maizière das Engagement von Gemeinden, wenn sie die Überstellung von Flüchtlingen nach der Dublin-Verordnung in einen EU-Mitgliedsstaat, der rigoros abschiebt, verhindern. Doch „Kirchenasyl ist kein Recht, das sich gegen Staatsgesetze stellt, sondern eine Gewissensentscheidung vor Ort“, hält Flörchinger dem entgegen und fügt hinzu: „Kirchenasyl ist ein erfolgreiches Instrument, um Zeit zu gewinnen, damit Menschen zu ihrem Recht kommen.“

Katholiken suchen Rat bei der Initiative der evangelischen Kirche
Pfarrer Rollbühler kann sich ein Lächeln darüber nicht verkneifen, dass er in der Runde „überproportional viele Katholiken“ entdeckt. „Was können wir tun, wenn jemand an die Tür klopft?“, fragt Diakon Horst Esser aus Köln-Ehrenfeld. Die Antwort: Wenn kein Zimmer frei ist, das der Gemeinde gehört, im Netzwerk herumtelefonieren, ob jemand anderes geeigneten Platz hat. Ob man einen Flüchtling im Kirchenasyl „einsperren“ müsse, um ihn vor Verhaftung auf der Straße zu schützen, wollen Teilnehmer wissen. „Nein, es reicht, wenn das Pfarrbüro eine Bescheinigung bastelt, dass er sich im Kirchenasyl befindet, und sie ihm in die Hosentasche steckt“, weiß Rollbühler.

Gemeinden sollen vorsorglich über Kirchenasyl entscheiden
Zum Aufbau fester Strukturen des Kirchenasyls gibt es erste Vorschläge. Gemeinden wird empfohlen, vorsorglich zu beschließen, ob sie Kirchenasyl gewähren wollen und können. Klopft dann eines Tages ein Flüchtling an ihre Tür, sind sie sofort handlungsfähig. Außerdem sollen die Kapazitäten der Gemeinden ermittelt und gebündelt werden. So ließe sich bei Bedarf schnell das Wander-Kirchenasyl wiederbeleben, um gemeinsam die Belastung zu tragen. Wohnungen, die im Besitz der Kirchen oder von ihnen angemietet sind, dauerhaft bereit zu halten, wird als weitere Möglichkeit von wirksamem Flüchtlingsschutz in Betracht gezogen.
Das nächste Treffen des Runden Tisches „Kirchenasyl“ ist für Oktober geplant.

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Das Ökumenische Netzwerk Asyl in der Kirche in NRW hat seinen Sitz im Haus der Evangelischen Kirche in der Kartäusergasse Köln.

Text: Ulrike Weinert
Foto(s): Ulrike Weinert