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Jürgen Roters war zu Gast im Talk-Gottesdienst der Lutherkirche

Vor dem Altar stehen zwei Sessel, Mikrophone und ein kleines Tischchen mit zwei Wassergläsern. Der unvorbereitete Besucher der Lutherkirche dürfte sich am Muttertag gefragt haben: Wird das hier heute wirklich ein evangelischer Gottesdienst? Über diese Frage mag auch nach der Veranstaltung noch diskutiert worden sein.

Hund im Kirchenraum?
Außerhalb des liturgischen Rahmens fiel der Talk-Gottesdienst jedoch auf jeden Fall. Zwar wurde das Vaterunser gebetet, der Segen erteilt, das christliche Glaubensbekenntnis gesprochen und gemeinsam Lieder gesungen, eine Predigt gab es jedoch nicht. Eine Sopranistin singt ein Goethe-Gedicht in der Vertonung von Franz Schubert. Ein Hund im Kirchenraum? Ungewöhnlich, aber kann vielleicht als sympathisches Zeichen dafür gewertet werden, dass Gottes Liebe alle Geschöpfe umfasst. Ein Pfarrer ohne Talar? Warum nicht? Doch was ist – jedenfalls theologisch – davon zu halten, dass der amtierende Kölner Oberbürgermeister Jürgen Roters im Gottesdienst verschiedene Haushaltsposten gegeneinander aufrechnet? Wenn er seine Kulturpolitik erörtert und gegen Kritik verteidigt?

Da scheiden sich die Geister
Bei Pfarrer Hans Mörtter in der Lutherkirche der Kölner Südstadt gibt es Veranstaltungen, die anderswo schwerlich in der Evangelischen Kirche aktzeptiert würden. Eines dieser – hier überaus erfolgreich – praktizierten Formate ist der Talk-Gottesdienst, an dem sich manche Geister scheiden. Kann und darf die Predigt, also die Auslegung des Evangeliums, wirklich durch ein Interview ersetzt werden? Die treuen Kirchgänger aus Mörtters Bezirk beantworten diese Frage seit Jahren mit einem klaren „Ja“, wenn ihr Pfarrer einlädt, um im Rahmen des Gottesdienstes mit prominenten Zeitgenossen über gesellschaftliche Fragen zu diskutieren. Gekommen sind bisher einige Hochkaräter – beispielsweise Günter Wallraff, Dieter Wellershoff, Karin Beier und Friedrich Nowottny.

Termin stand schon lange fest
Um gesellschaftliche Fragen ging es dann auch am Sonntag, 13. Mai, an dem in Nordrhein-Westfalen der Landtag neu gewählt wurde, als Mörtter den Kölner Oberbürgermeister zum Talk-Gottesdienst begrüßte. „Der Termin war schon lange abgemacht, bevor auch nur daran zu denken war, dass sich der Landtag auflösen könnte“, erstickte Mörtter zu Beginn des Talk-Segments mögliche Kritik im Keim, dass in der Lutherkirche Wahlkampf gemacht werden könnte, und schwenkte schelmisch eine Piratenflagge – allerdings nicht die der gleichnamigen Partei, sondern eine mit echtem „Jolly Roger“. Um das Thema Politik kommt man natürlich nicht herum, wenn man mit einem Oberbürgermeister spricht.

Heißes Eisen: Schauspiel und Oper
Ein Steckenpferd von Mörtter wie auch der Arbeit an der Lutherkirche ist die Kulturarbeit, die dann auch den meisten Platz des Gesprächs mit Roters einnahm – zumal dieser sich auf diesem Gebiet ausgesprochen kämpferisch gibt. Auf das Thema Nachhaltigkeit angesprochen, entscheidet sich der Oberbürgermeister nämlich, das vielleicht heißeste Eisen der aktuellen Stadtpolitik anzufassen: Schauspiel und Oper. Er macht keinen Hehl daraus, dass er damals dafür war, den geplanten Abriss und Neubau von Schauspiel und Oper vorzunehmen, erkennt jedoch an, dass es gute Gründe gab und gibt, das Riphahn-Ensemble zu erhalten. Richtig ärgerlich wird der bekennende Klassik-Fan Roters aber, wenn es darum geht, wie das Projekt fortgeführt werden soll. „Diejenigen, die sich damals mit ihrer Position durchgesetzt haben, tauchen jetzt ab, wo es um die Folgeprobleme geht, die zum Teil sehr teuer sind“, schimpft Roters, der auf den Gesamthaushalt der Stadt verweist: „Die Sanierung des Gebäudekomplexes wird nun doch teurer. Die Oper hat Probleme. Karin Beier geht nicht zuletzt wegen der Haushaltslage nach Hamburg. Aber die damals lautstarken Befürworter des Sanierungskonzepts sind jetzt still. Die Summe, die als Miete für das blaue Zelt am Breslauer Platz gezahlt werden muss, in das die Oper vorübergehend zieht, hätte die Kinderklinik in der Amsterdamer Straße gut gebrauchen können.“

160 Euro pro Vorstellung
In dieser Situation bemängelt Roters dann auch die Meinungsmacher der Stadt. „In Zeiten knapper Kassen müssen wir sparen und hierbei den gesellschaftlichen Frieden erhalten.“ Deshalb betont Roters, dass eine gesamtgesellschaftliche Verhältnismäßigkeit nicht aus den Augen verloren werden dürfe. So lobt er die Bedeutung und die gute Arbeit der Oper ausdrücklich, betont aber auch, dass dem Intendanten hierfür ein Etat von 32 Millionen im Jahr zur Verfügung stünde. Dazu kämen 10 Millionen für die Unterbringung der Oper im Zelt. „160 Euro kostet die Stadt pro Vorstellung jeder Sitzplatz im Opernhaus“, rechnet Roters in der Lutherkirche vor. „In dieser Relation muss man den aktuellen Streit um 2 Millionen Euro im Opernhaus-Etat meines Erachtens sehen“.

Roters zählt Auswirkungen auf
Roters zählt noch weitere Auswirkungen der Riphahnbau-Sanierung auf, etwa die 220.000 Euro, die pro Monat für die Räumlichkeiten in der Expo gezahlt werden, die nun aber aufgrund der Sanierung des Hauses noch keinen einzigen Tag genutzt wurden. Wenn aber bei der Kultur ebenfalls eingespart werde, dann könne man sich darauf verlassen, dass man sofort engagierte Meinungsmacher gegen sich habe, die breite Unterstützung in den Feuilletons der Zeitungen finden. Er müsse aber an den Gesamtetat der Stadt denken.

Lied von Gustav Mahler
Der Pfarrer und der Oberbürgermeister unterhielten sich dann noch über etliche weitere Fragen des gesellschaftlichen Zusammenhaltes – ob über das Verhältnis von Privat- und Allgemeinwohl am Beispiel des Lärmschutzes oder über bezahlbaren Wohnraum in der Stadt. Dann sang Nicola Müller im 17. Talk-Gottesdienst in der Lutherkirche Gustav Mahlers Lied „Ich bin der Welt abhanden gekommen“. Eine gekonnte Vorstellung, doch inhaltlich wohl eine arg missglückte Wahl: Denn der Welt abhanden gekommen war eindeutig nicht das, was in der Lutherkirche geboten wurde – und wohl noch in Zukunft geboten werden wird.

Text: Anselm Weyer
Foto(s): Weyer