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Irene Corbach mit dem Obermayer German Jewish History Award ausgezeichnet

Wie es begann: Ein kurzes Gespräch nur. Doch es veränderte das Leben von Irene Corbach entscheidend. Statt fand es 1984 während einer Wochenendveranstaltung der Gemeinschaft Evangelischer Erzieher in der Evangelischen Akademie in Mülheim/ Ruhr, bei der sie ihren erkrankten Mann Dieter vertrat. In einer Pause lernte sie Henry Gruen kennen, erzählte, dass sie aus Köln-Mülheim stamme. Gruen erwiderte, dass auch er in den dreißiger Jahren in der Domstadt gelebt habe – als Heinz Grünebaum. Sein Vater Leopold sei letzter Kantor derin Ehrenfeld gewesen. Und er habe an der städtischen Israelitischen Volksschule Lützowstraße unterrichtet.

Schüler mit Gedenktafel über die Geschichte informieren
Irene Corbach erschrak. Das beschriebene Gebäude in der Lützowstraße musste das selbe sein, in dem sie nach Kriegsende die Handelsschule besuchte. Aber die Vergangenheit des Hauses war ihr bis dato unbekannt. Dabei beherbergte es einst die größte jüdische Volksschule Deutschlands. 1939 erfolgte deren Zusammenlegung mit den anderen Kölner jüdischen Schulen in der St.-Apern-Straße. Wenige Jahre später wurden zahlreiche ihrer Lehrer, Schüler und deren Familien in den Osten deportiert und ermordet. „Ich war so angerührt, fuhr umgehend nach Hause, um meinem Mann von dem Hinweis zu berichten“, erinnert sich die heute 65-jährige Irene Corbach. „Mein erster Gedanke war, die heutigen Schüler mit einer Gedenktafel über die Geschichte ihres Unterrichtsgebäudes zu informieren.“

Durch ihr Engagement wurden Verwandte und Freunde wieder zusammen geführt
Ihre Betroffenheit über die mangelhaften Kenntnisse ließ das Ehepaar auf Spurensuche nach der jüdischen Vergangenheit Kölns gehen. Schon früh hatte sich der 1994 verstorbene Religionslehrer Dieter Corbach, zuletzt auch als Synodalbeauftragter im Kirchenkreis Köln-Rechtsrheinisch, für das christlich-jüdische Gespräch, insbesondere die Aufarbeitung des Themas Holocaust eingesetzt. Jedoch erst die Begegnung seiner Frau mit Henry Gruen bedeutete die Initialzündung, sich vor Ort konkret mit der Zeitgeschichte zu befassen. Da das städtische NS-Dokumentationszentrum noch nicht existierte, war es zunächst ein schwieriges Unterfangen. „Für die benötigten Daten und Fakten für Inschriften auf Gedenktafeln und Straßenschildern recherchierten wir in Archiven und Bibliotheken. Zudem versuchten wir über Prof. Joseph Walk vom Leo-Baeck-Institut in Jerusalem und Emigrantenzeitungen Kontakt zu ehemaligen Kölner Juden aufzunehmen.“
Ihre Bemühungen brachten eine Lawine ins Rollen. „Es war regelrecht ein Schneeball-System“, zeigt sich Irene Corbach noch immer verwundert über die Ergebnisse der Spurensuche. Ihr Engagement klärte manches Schicksal, führte Verwandte und Freunde wieder zusammen. „Durch sie habe ich Menschen wieder getroffen, die ich bereits verloren geglaubt hatte“, formuliert Fritz Bauchwitz stellvertretend für viele Überlebende. Heute hält Corbach weltweit Kontakt zu rund 700 ehemaligen Kölnern und deren Nachfahren. Insbesondere die Informationen und Materialien dieser Zeitzeugen ermöglich(t)en erst das erfolgreiche Wirken der Corbachs „gegen das Vergessen“. So erreichten sie zunächst 1987 in Bad Kreuznach die Benennung eines Weges nach Sophie Sondhelm, der letzten Leiterin der dortigen Kölner Jüdischen Kinderheilstätte. 1988 wurde, finanziert von den Überlebenden, eine Gedenktafel am Gebäude Lützowstraße 8-18 eingeweiht. Sie weist nicht nur hin auf die ehemalige Israelitische Volksschule, sondern auch auf das einst gegenüber gelegene Israelitische Kinderheim sowie dessen die in den Tod geschickten jungen Bewohner und Erzieher. Weitere Gedenktafeln und -plaketten folgten.

Mahnmal für 1100 jüdische Kinder, die in den Tod getrieben wurden 
Auf Initiative der Corbachs wurde 1990 der ehemalige Schulhof des jüdischen Reformgymnasium Jawne an der St.Apern-Straße nach dessen Leiter Dr. Erich Klibansky benannt. Zudem wurde auf dem Klibansky-Platz das Mahnmal „Löwenbrunnen“ errichtet, das die Namen von 1100 jüdischen Kindern trägt, die „von Köln aus in den Tod getrieben wurden“. Zur Erinnerungsarbeit von Dieter und Irene gehört wesentlich die Dokumentation ihrer Forschungsergebnisse. So konzipierte man nicht nur eine Wander-Ausstellung über die Geschichte der Jawne und das Wirken ihres Direktors Klibansky, die erstmals 1990 im Kölner Rathaus präsentiert wurde, und die seit 2000 zudem in einer englischsprachigen Version zur Verfügung steht. Überdies verfasste Dieter Corbach eine Publikation über das erste jüdische Gymnasium im Rheinland. Neben anderen Dokumentationen Corbachs zum Thema, wie etwa „6.00 Uhr ab Messe Köln-Deutz – Deportationen 1938-1945“, ist sie erschienen im Scriba-Verlag, den Irene Corbach seit Jahrzehnten betreibt. In dessen Programm findet sich aber nicht allein die Reihe „Spuren jüdischen Wirkens“. So offeriert die Verlegerin auch Reprints längst vergriffener lokalhistorischer Darstellungen zur Mülheimer Geschichte, und kümmert sie sich um die Verbreitung von Kleinodien wie „Die Bibel für Kinder erzählt – nach der Heiligen Schrift und der Agada“ von Abrascha Stutschinsky.

Ausgezeichnet für die Bewahrung jüdischer Geschichte und Kultur
Ende Januar wurde Irene Corbach anlässlich des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus der „Obermayer German Jewish History Award“ verliehen. Im Plenarsaal des Abgeordnetenhauses von Berlin hielt unter anderem Parlamentspräsident Walter Momper die Laudatio. Mit der im dritten Jahr vergebenen Auszeichnung ehrt die von dem us-amerikanischen Unternehmer Dr. Arthur Obermayer ins Leben gerufene Obermayer Foundation deutsche Bürger, die sich eigeninitiativ für die Bewahrung jüdischer Geschichte und Kultur einsetzen. Die sich ehrenamtlich der Dokumentation und dem Erhalt der Zeugnisse jüdischen Lebens widmen. In der Regel werden die zu Ehrenden von Juden vorgeschlagen. Auch Corbachs Nominierung geht zurück auf zahlreiche Holocaust-Überlebende in Großbritannien, Israel, Kanada und USA. „Ich selbst habe davon nichts geahnt“, zeigte sich die Bundesverdienstkreuz-Trägerin überrascht, als ihr Arthur Obermayer Ende Oktober telefonisch mitteilte, dass „many, many people“ sie der Jury anempfohlen hätten und nun als eine von sieben Preisträgerinnen feststehe.
„Ich habe den Preis auch für meinen Mann entgegen genommen“, betont Corbach, „denn die Erinnerungsarbeit war von Beginn an unsere gemeinsame Sache.“ Ihre Motivation sei die Liebe zum Judentum. Das Ziel heiße, den einst in Köln lebenden Juden, den Opfern und auch den Überlebenden, ein Gesicht zu geben. Schließlich insbesondere die jungen Menschen nicht nur an die jüdische Kultur in Köln zu erinnern, sondern sie auch mit den schrecklichen Folgen des Nazi-Regimes vertraut zu machen. Deshalb veranstaltet Corbach, die nach dem Tod ihres Mannes dessen Funktion als Synodalbeauftragter für das christlich-jüdische Gespräch im Kirchenkreis Köln-Rechtsrheinisch übernahm, regelmäßig Gedenkfeiern.

Wachsende Entschlossenheit, dem Vergessen entgegen zu treten
Deshalb bringt sie seit Jahren Holocaust-Überlebende mit Lehrenden und Lernenden in Schulen und Kirchengemeinden zusammen. „Sie sind die tragenden Säulen im Kampf gegen das Vergessen; ihre Denkanstöße bewirken eine Tschuwah, ein Umdenken“, sagt Irene Corbach. „Auch der Kirche steht es gut an, sich darum zu kümmern.“ Die Resonanz auf das Engagement der Corbachs fiel nicht immer positiv aus. „Wir mussten immer kämpfen. Bei den Überlebenden und Nachfahren der Opfer des NS-Regimes stoßen wir natürlich auf große Zustimmung, bei Politikern und Behörden dagegen häufig auf Unverständnis, das größtenteils auf Unwissenheit beruht“, plädiert Corbach für eine frühe Thematisierung der Shoah im Unterricht.
Gleichwohl haben sie Anfeindungen und Schwierigkeiten nicht entmutigt. Weder das Fehlen öffentlicher Mittel. Noch die Ablehnung von Hauseigentümern, Gedenktafeln an ihre Fassade anbringen zu lassen. Noch, um ein aktuelles Beispiel zu nennen, die Weigerung der Bezirksvertretung Köln-Mülheim, ein vom ehemaligen Kölner und heute in den Staaten lebenden Bildhauer Hermann Gurfinkel entworfenes Mahnmal für die ermordeten jüdischen Bewohner des Stadtteils auf dem Wiener Platz zu genehmigen. Im Gegenteil. „Meine Entschlossenheit, dem Vergessen entgegen zu treten, ist eher gewachsen“, sagt Irene Corbach.

Text: Engelbert Broich für den WEG
Foto(s): Broich