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Die Beatmesse: Generalprobe für den Kirchentag. Oder: Wie bereiten sich unsere Gemeinden auf Hannover vor?

Nicole Himmerich hat wie immer nichts dem Zufall überlassen. Die Planungen sind abgeschlossen, der Zeitplan steht, die Chancen für das Chaos sind auf ein Minimum reduziert. Nicole Himmerich fährt zum Kirchentag. Und sie freut sich auch. Wenngleich: „Ich bin zwar an allen Tagen da, aber mitbekommen werde ich vom Kirchentag so gut wie gar nichts“, erklärt die 32-Jährige.

Beatmesse in Hannover: MIt 2500 Besuchern gerechnet
Sie hat mal wieder die Organisationsleitung für den großen Auftritt der Evangelischen Kirchengemeinde Köln-Klettenberg übernommen. Und groß ist deren Auftritt wirklich. Die Klettenberger feiern in Hannover im Deutschen Pavillon der Weltausstellung eine Beatmesse und rechnen mit 2500 Besuchern. Die Messe steht in leichter Abwandlung der Kirchentagslosung unter dem Motto „Wenn Deine Kinder Dich heute fragen“, wie Ivo Masanek, Pfarrer in Klettenberg, erläutert. Dabei werden die Probleme von Kindern und Jugendlichen in der heutigen Zeit im Mittelpunkt stehen. „Wohlstandsverwahrlosung“ lautet hier das Stichwort für Masanek. Die Predigt wird Dieter Saldecki halten, einer der Miterfinder der „Sendung mit der Maus“ und derzeit damit beschäftigt, ein Jesus-Buch im „Mausstil“ zu schreiben.

400 Fladenbrote, 250 Liter Traubensaft und 8 Kilo Bohnen
Für den Beat in der Messe sorgt die Band „Ruhama“, die bereits in Berlin beim Abschlussgottesdienst mit dem Schlusslied für Furore sorgte. „2500 Menschen sind eine natürlich eine Menge Leute“, weiß Masanek und ist froh, dass er Nicole Himmerich hat. Die zeichnet nämlich für die gesamte Logistik verantwortlich. Uwe Seidel, Klettenberger Pfarrer im Ruhestand, wird während der Beatmesse über eine Kakaobohne meditieren und hat sich gewünscht, dass auch jeder Besucher eine Kakaobohne bekommt. Für Nicole Himmerich kein Problem, sie hat bereits acht Kilo Bohnen besorgt. Dazu kommen 200 Abendmahlskelche aus Ton, 75 Kollektenbeutel, 400 Fladenbrote und 250 Liter Traubensaft für das Abendmahl, das an zehn Altären auf dem ehemaligen Expo-Gelände gefeiert wird. Alles wird in einem Lastwagen von Köln nach Hannover transportiert. Natürlich auch die Klapptische, die – geschmückt mit Kerzen – als Altäre dienen.
Aber mit dem Schlusssegen der Beatmesse ist für Nicole Himmerich die Arbeit auf dem Kirchentag noch längst nicht beendet. „Ruhama“ gibt nämlich noch zwei größere Konzerte in Hannover. Ehrensache, dass die Orga-Frau aus Klettenberg auch hier mit Bühnenarbeitern und Tontechnikern die Gesamtleitung im Hintergrund übernimmt. „Daran bin ich schon gewohnt“, erklärt sie lapidar.

Noch fehlt bei manchen die „rechte Begeisterung“
Seit 1989 engagiert sich Himmerich in der Gemeinde im Kölner Westen. Neben der Vorbereitung der Beatmessen, die in Klettenberg zwei Mal pro Jahr gefeiert werden, ist sie auch verantwortlich für die Teilnahme der Gemeinde am Karnevalszug im Stadtteil – Protestanten in Köln. Mit 40 Personen reisen die Klettenberger nach Hannover. Und trotz der Großveranstaltung, die sie dort auf die Beine stellen, fehlt Pfarrer Masanek die rechte Begeisterung in der Gemeinde. „Es ist nicht ökumenisch, und es ist nicht Berlin“, erklärt er kurz und knapp das im Vergleich zum Kirchentag in der Hauptstadt vor zwei Jahren deutlich gesunkene Interesse.

„Kirchentage sind absolute Highlights“
Zehn Jahre Kirchentagspause hat Peter Busch hinter sich. Jetzt ist er wieder dabei. „Ich möchte die Gemeinschaft neu entdecken, die der Kirchentag bietet“, beschreibt er sein Motiv, einen neuen Anfang zu machen. Wegen seines Medizinstudiums hat der 34-Jährige in den vergangenen Jahren die Gemeindearbeit „vernachlässigt“. Früher hat er sich engagiert für die Kirchentagsarbeit und bei der Organisation von Segelfreizeiten mitgeholfen. „Für mich sind Kirchentage absolute Highlights“, sagt er. Nirgends sonst könne man in der Kürze der Zeit eine so große Intensität im religiösen Miteinander spüren, wenn etwa Tausende gemeinsam meditierten. „Und wenn es gut geht, nimmt man davon Eindrücke mit nach Hause und setzt sie um. Dann trifft sich die Gemeinde im Idealfall als Kirchentag im Kleinen.“

Beim Theaterspielen ist die Konfession nebensächlich
Auch Angelika Berenboim steht die Begeisterung ins Gesicht geschrieben. „Ich freue mich sehr auf den Kirchentag in Hannover. Ich bin gespannt auf die Leute, die ich dort kennen lerne, und natürlich auch auf die Veranstaltungen.“ Für die 22-jährige Kölnerin ist es der erste evangelische Kirchentag ihres Lebens. Sie studiert Humanmedizin und Fachjournalismus, und es ist nicht unbedingt selbstverständlich, dass sie an dieser protestantischen Großveranstaltung teilnimmt: Angelika Berenboim ist Mitglied der jüdischen Gemeinde Köln. „Nicht übermäßig engagiert“, räumt sie ein. Ihre große Liebe gilt dem Theater.
Als Christian Schäfer, Mitarbeiter im Jugendreferat der Evangelischen Gemeinde Köln, vor vier Jahren in einer Zeitungsanzeige junge Interessenten für ein Theaterprojekt suchte, hat sie sich spontan gemeldet. Seitdem ist sie Ensemble-Mitglied des „Theaters in der Kreuzkirche“, probt mindestens ein Mal pro Woche und steht auf dem Kirchentag mit dem Stück „Sprechstunde für Erfinder“, einem umgeschriebenen Hörspiel von Stanislaw Lem, auf der Bühne. Die Konfession spielt in der bunten Truppe keine Rolle. Neben evangelischen Studenten sind auch katholische in der Inszenierung zu sehen. „Wir sind echt gespannt auf die Erfahrung, vor so vielen Leuten zu spielen. Ein so großes Publikum hatten wir noch nie“, beschreibt Angelika Berenboim ihr Lampenfieber, das steigt, je näher der Auftrittstermin rückt.

Mathe-Arbeit oder Kirchentag?
Volker Meiling ist noch auf der Suche nach der Begeisterung, die der Kirchentag bei den Schauspielern schon geweckt hat. Der Kirchentags-Synodalbeauftragte für den Evangelischen Kirchenkreis Köln-Nord hat in seinem Sprengel mit Motivationsproblemen bei den Protestanten zu kämpfen. Vor allem Jugendliche seien schwer zu bewegen, nach Hannover zu fahren. „Ich schreibe in der Woche danach eine Mathe-Arbeit. Das ist mir wichtiger“, hat der Pfarrer aus Pulheim-Stommeln vor den Toren von Köln zu hören bekommen. Aber nicht nur die Sorge um gute Schulnoten sei verantwortlich für die Zurückhaltung der Jugendlichen. Auch die Spardiskussionen, die derzeit die Tagesordnungen auf allen Ebenen der evangelischen Kirche bestimmten, hätten viele verunsichert. Das Interesse an kirchlichen Veranstaltungen habe sich spürbar verringert. Meiling spricht für seine Gemeinde von einem „Generationsabbruch“. In seiner Kirchentagsgruppe haben in diesem Jahr die Erwachsenen eine deutliche Mehrheit. Meiling hat noch einen Grund für das aktuelle „Motivationsloch“ ausgemacht: „Nach der Begeisterung für Berlin halten die Leute inne und holen Luft für den Kirchentag in Köln, der uns in zwei Jahren bevorsteht.“

Kölner Kultur im Zirkuszelt des Kirchentags
Luft genug haben dagegen die 200 Jugendlichen, die das „Kölner Kultur Café“ in Hannover betreiben. Und da soll es im wahrsten Sinne des Wortes rund gehen. Ein Zirkuszelt mit 14 Metern Durchmesser haben die Jugendlichen um Jörn Ruchmann, Jugendreferent im Kirchenkreis Köln-Rechtsrheinisch, von einem Zeltverleih gemietet. Ruchmann hat keine Probleme, ehrenamtliche Mitstreiter zu gewinnen. „Meine Zielgruppe ist allerdings über alle evangelischen Gemeinden in Köln verstreut. Von uns fühlen sich in erster Linie Jugendliche angesprochen, die sich auch sonst in der Kirche engagieren.“ Zwölf Stunden am Tag werden die in Hannover Getränke und Bio-Teilchen verkaufen. Dazu gibt es ein umfangreiches Kulturprogramm. „Vom Musical über Theater bis zu Videopräsentationen haben wir alles dabei“, berichtet Ruchmann: „Sogar Bauchtanz.“ Schwingende Hüften zu orientalischen Klängen – der Kirchentag, immer auch ein Bauchgefühl.

Tipp
Autor Stefan Rahmann war auch bei der „Generalprobe“ für den Kirchentag, der Klettenberger Beatmesse dabei. Sein Bericht hier.

Text: Rahmann für den Rheinischen Merkur
Foto(s): ran