You are currently viewing Interview mit Claus-Ulrich Prölß anlässlich „30 Jahre Flüchtlingsrat“

Interview mit Claus-Ulrich Prölß anlässlich „30 Jahre Flüchtlingsrat“

Vor 30 Jahren wurde der Kölner Flüchtlingsrat gegründet, zum Jubiläum gratulierten Oberbürgermeister Jürgen Roters, Vertreter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Mitglieder des Landtags und des Stadtrats. Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft dankte für das Engagement und lobte ausdrücklich die zahlreichen Ratsbeschlüsse, die der Flüchtlingsrat in den letzten Jahrzehnten durch seine Gremienarbeit initiiert hat, insbesondere die Mitwirkung „an den städtischen Konzepten zur Unterbringung von Flüchtlingen“. Kraft schloss ihre Grußadresse mit den Worten: „Es ist gut, dass es Sie gibt, bitte bleiben Sie so aktiv!“

Sitz bis heute in der Kartäusergasse
Die konstituierende Sitzung des Flüchtlingsrates fand 1984 im Haus der Evangelischen Kirche statt, der Förderverein Kölner Flüchtlingsrat e. V., der 1998 die Trägerschaft der Geschäftsstelle übernahm, hat seinen Sitz bis heute in der Kartäusergasse. Dort sprach Hans-Willi Hermans mit Claus-Ulrich Prölß, der seit April 1999 Geschäftsführer des Fördervereins ist und schon in den Anfangsjahren Unterstützer des Flüchtlingsrates war.

Wie kam es zur Gründung des Flüchtlingsrates?
Prölß: Schon Ende der Siebziger Jahre war es zu Änderungen im Asylrecht gekommen, die Situation hatte sich für Asylbewerber verschärft. Dagegen gab es Proteste, die sich noch verstärkten, als der türkische Staatsangehörige Kemal Altun starb: Er sprang aus einem Fenster, weil er trotz Asylberechtigung in die Türkei ausgeliefert werden sollte. In Köln trafen sich daraufhin Menschen unterschiedlicher Weltanschauung und Religion, darunter Geistliche, Vertreter von Wohlfahrtsverbänden und zahlreiche Rechtsanwälte, um einen Flüchtlingsrat zu gründen, wie es ihn in Berlin schon gab.

Das hört sich nach einer sehr heterogenen Gruppe an. Wer bestimmte die Richtung im Flüchtlingsrat?
Prölß: Dazu wurde ein geschäftsführender Ausschuss gewählt, der zwei Sprecher hatte. Damals waren alle ehrenamtlich tätig, darunter der evangelische Pfarrer Helmut Ruhrberg. Heute hat das Netzwerk des Flüchtlingsrates rund 600 Mitglieder – Einzelpersonen, Einrichtungen und Vereine – und wird von acht hauptamtlichen Mitgliedern geleitet, die ihre Arbeit mit dem Vorstand abstimmen. Und natürlich mit dem offenen Plenum, das an jedem zweiten Mittwoch im Monat stattfindet. Ansonsten hat der Flüchtlingsrat keine hierarchischen Strukturen und er wird hauptsächlich über öffentliche Gelder finanziert. Niemand kann uns Weisungen erteilen.

Können Sie uns die konkrete Arbeit des Flüchtlingsrates schildern?
Prölß: Der Schwerpunkt der Arbeit war schon immer die Rechtsberatung von Flüchtlingen mit unterschiedlichem Status – je nachdem, ob sie etwa einen Asylantrag erst stellen wollen oder ob ihr Antrag bereits abgelehnt wurde und sie entsprechende Rechtsmittel einlegen möchten. Aber es geht auch um sozialrechtliche Fragen beispielsweise. Das wird in vier Beratungsstellen angeboten, drei befinden sich in Köln und eine in Bonn. Dann betreiben wir das Flüchtlingszentrum „Fliehkraft“ in der Nippeser Turmstraße zusammen mit dem Verein „Zurück in die Zukunft“. Dort bieten wir zum Beispiel Deutschkurse an, Yoga für Frauen, PC-Kurse für jugendliche Flüchtlinge oder Bewerbungstraining. Alles ist kostenlos, gerade die Sprachkurse sind immer ausgebucht, weil erwachsene Flüchtlinge darauf keinen Rechtsanspruch haben. Daneben geht es um spezielle Aktionen, wie das Mentoren-Projekt, bei dem Ehrenamtler Flüchtlingsfamilien betreuen und sie zum Beispiel bei Behördengängen unterstützen. Oder „Außerschulisches Lernen für Flüchtlingskinder“, bei dem ehrenamtliche Paten Nachhilfestunden geben.

Wie viele Flüchtlinge leben in Köln, wie viele Menschen erreichen Sie?
Prölß: Wie viele Menschen wir erreichen, ist schwer zu sagen: Knapp 1.800 Asylbewerber leben in Köln, dazu fast 2.800 geduldete Flüchtlinge, deren Anträge abgewiesen wurden. Sehr viele von ihnen kommen mehrmals zur Beratung oder nehmen verschiedene Angebote wahr. Aber man kann sagen: Der Bedarf ist enorm.

Sind Sie zufrieden, was die Zusammenarbeit mit dem Rat und der städtischen Verwaltung angeht?
Prölß: Die Zusammenarbeit ist völlig in Ordnung, vor allem seit 2003 der Runde Tisch für Flüchtlingsfragen gegründet wurde. Dort diskutieren Vertreter von Trägervereinen, der Stadt Köln und der Ratsfraktionen sehr offen, man begegnet sich vertrauensvoll. Auch wenn die Kämmerin manchmal nicht einsieht, dass man größere zukünftige Ausgaben vermeiden kann, wenn man jetzt Geld in die Hand nimmt, etwa für Sprachkurse: Wir haben schon eine Menge erreicht. Andererseits bleiben noch Probleme en masse. Zum Beispiel fehlt dringend eine Bleiberechtsregelung für geduldete Flüchtlinge und es gibt noch immer zahlreiche Regelungen, die es Flüchtlingen erschwert, eine geregelte Arbeit aufzunehmen. Manche, deren Duldung immer wieder verlängert wird, leben vier oder fünf, manchmal zehn oder 15 Jahre hier in diesem Schwebezustand. Ihre Kinder wachsen hier auf, erhalten eine schulische Bildung, wissen aber nicht, ob sie auf Dauer bleiben dürfen. Dass da manche ausrasten, kann man fast verstehen. Solche Fragen sind natürlich nicht auf kommunaler Ebene zu lösen, da betreiben wir auch Lobby-Arbeit im Land und im Bund. Andere Organisationen wie „Pro Asyl“ haben darin allerdings noch mehr Erfahrung als wir.

Beunruhigen Sie die derzeitigen Proteste von Bürgern in Stadtteilen, in denen neue Wohnheime eröffnet werden sollen, oder wenn gegen „Wirtschaftsflüchtlinge“ Stimmung gemacht wird?
Prölß: Nein, denn es gibt auch positive Signale. Zum Beispiel Initiativen, die Flüchtlinge ausdrücklich willkommen heißen, in Sürth und Bayenthal oder in der Südstadt zum Beispiel. Es ist wichtig, dass die Bürger die Flüchtlinge kennenlernen, auch die Verhältnisse in den Herkunftsländern, gerade weil die Zahlen aufgrund des Bürgerkriegs in Syrien derzeit wieder ansteigen. Dann wird man feststellen, dass die Flüchtlinge ganz normale Bedürfnisse haben: Arbeit, eine angemessene Wohnung, eine gute Ausbildung für die Kinder. Und dass man den Begriff „Wirtschaftsflüchtlinge“ für jene Personen reservieren sollte, die ihr Geld in die Schweiz bringen. Deshalb betreibt der Flüchtlingsrat auch Aufklärung, die Mitglieder halten Referate auf Veranstaltungen, gerade in den evangelischen Gemeinden tut sich da eine Menge. Aber man muss auch vorsichtig sein: Es gibt immer wieder Wellenbewegungen bei der Akzeptanz von Flüchtlingen, dazu gehört die Vorstellung von „guten“ Flüchtlingen, die etwa in den Neunzigern vom Balkan kamen oder eben aktuell aus Syrien. Flüchtlinge aus Afrika haben es dagegen fast immer schwer, auch Sinti und Roma aus Südosteuropa, die asylrechtlich nicht anerkannt werden, obwohl sie dort häufig systematisch verfolgt werden. Da muss sich noch vieles ändern

Wie gehen Sie persönlich mit den Geschichten um, die Sie bei Ihrer Arbeit hören?
Prölß: Es macht mich oft fassungslos, wie grausam Menschen sein können: Gewalt, Verfolgung, Folter. Man glaubt, dass man das intellektuell begriffen hat, meine Generation hat ja die Geschichten aus dem „Dritten Reich“ oder dem Zweiten Weltkrieg noch von Verwandten oder Bekannten gehört. Aber dann sitzen plötzlich Menschen da und schildern diese Dinge ganz plastisch, weil es ihnen gerade erst passiert ist. Das ist sehr berührend, das verschlägt mir oft die Sprache.

Text: Hans-Willi Hermans
Foto(s): Hans-Willi Hermans