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„Hören, was das jeweilige Verständnis von Gott ist“: Türkische Journalistinnen und Journalisten im Gespräch mit Menschen aus den beiden großen christlichen Kirchen Kölns


Seit drei Jahren gibt es in Köln ein deutsch-türkisches Journalistenprogramm, das der Kölner Verein „Kulturforum Türkei/Deutschland“ mit Unterstützung der Robert-Bosch-Stiftung Stuttgart anbietet. Das Programm soll der Vertiefung der deutsch-türkischen Beziehungen dienen. Jetzt empfing Stadtsuperintendent Ernst Fey im Haus der Evangelischen Kirche zwölf türkische Journalistinnen und Journalisten. An dem Gespräch nahmen außerdem teil: Pfarrer Marten Marquard (Leiter der Melanchthon Akademie), Pfarrerin Dorothee Schaper (Arbeitsstelle für christlich-muslimische Begegnung), Ökumenepfarrer Dr. Martin Bock sowie der Kölner Stadtdechant Johannes Bastgen.

„Integration ereignet sich tagtäglich“
Bei der Begegnung im Haus der Evangelischen Kirche interessierten sich die 22- bis 39-jährigen Gäste, die mehrheitlich in leitender Position für verschiedene Medien in der Türkei tätig sind, vorrangig für die Themen Integration und interreligiöser Dialog aus kirchlicher Sicht.
„Integration ereignet sich tagtäglich“, so Fey, „im Supermarkt, in der Schule.“ Er wies darauf hin, dass der interreligiöse Dialog von beiden christlichen Kirchen sehr unterstützt werde. Beispielhaft nannte er den Rat der Religionen und das Gebet der Religionen. Ebenso die Kölner Friedenserklärung, die Christen, Muslime und Juden 2007 gemeinsam im Kölner Rathaus unterschrieben haben. „Sie stellt aber keinen Endpunkt dar. Mit dieser Friedenserklärung sind wir auf dem Weg.“ Bastgen nannte Zahlen: „In Köln leben heute 120.000 Menschen muslimischen Glaubens.“ Der Rat der Religionen, so Bastgen, ziele auf ein friedliches Zusammenleben, setze sich ein für Integration, Frieden, und interreligiösen Dialog. Verständnis und Zusammenleben zwischen Christen und Muslimen zu fördern, obliege seit vielen Jahren auch der an der Melanchthon-Akademie angesiedelten Arbeitsstelle für christlich-muslimische Begegnung des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region, erläuterte Schaper.

„Hören, was das jeweilige Verständnis von Gott ist“
Bastgen hält „Kontakt zur Basis“, indem er Einrichtungen vor Ort besucht. Fey versuchte, die Dialog-Bereitschaft so weit wie möglich zu fassen – ohne allerdings notwendige Grenzen aus dem Auge zu verlieren: „Wir versuchen auch, beispielsweise vom Verfassungsschutz beobachtete Gruppen in den Dialog einzubinden, auch im Rat der Religionen.“ Dialog mache sich an Inhalten fest, nicht an Organisationen, verwies Schaper darauf, ebenso „unorganisierte“ Muslime im Blick zu haben. Aber es gebe auch Grenzen: Etwa da, wo die Gesprächspartner sich weder mit dem Gewaltpotential oder mit patriarchalischen Strukturen auseinandersetzen wollten. Mit dem interreligiösen Dialog würden die Kirchen einen notwendigen Dienst an der Gesellschaft und an der Stadt leisten, sagte Bock. Außerdem habe der Dialog Dienstcharakter Gott gegenüber. Es bestehe eine Verpflichtung, mit Muslimen zu sprechen, um zu hören, was das jeweilige Verständnis von Gott sei.

Moscheebau: „ein weites und komplexes Thema“
Gefragt wurde auch nach dem Moscheebau in Deutschland. „Das ist ein weites und komplexes Thema, insbesondere wenn es um die geplante Moschee in Köln geht“, sagte Fey. Dem Wunsch der DITIB, im Stadtteil Ehrenfeld eine repräsentative Moschee zu bauen, würden viele Menschen zustimmen. Es gebe aber auch Kritik. Und es gebe rechtsorientierte Stimmen mit ausländerfeindlichen Parolen und bösartigen Formulierungen, verwies Fey auf die rechtsextreme Organisation „pro Köln“. Als diese im Juni dieses Jahres zu einer Demonstration gegen den Bau aufgerufen habe, sei gleichzeitig eine andere Kundgebung für Religionsfreiheit, für den Neubau und gegen Rechtsextremismus eingetreten. Dazu habe die an diesem Tag versammelte Verbandsvertretung des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region eine Stellungnahme verfasst. Schaper habe sie auf der Demo vorgetragen. Fey brachte das Grußwort auch den türkischen Gästen zu Gehör und ergänzte: „Es gibt ein ähnliches Statement in der katholischen Kirche.“ Bastgen stimmte zu: „Wir haben in Deutschland Religionsfreiheit. Das ist uns Christen sehr wichtig.“ Glauben könne man nicht in Garagen und Hinterhöfen praktizieren. „Die Fabrik, in der die derzeitige Moschee der DITIB untergebracht ist, ist ein Skandal. Ein Haus, in dem gebetet wird, muss auch eine würdevolle Gestalt haben.“ Wie die Moschee letztlich aussehe, seien städtebauliche, verkehrstechnische und auch psychologische Fragen. „Dialog ist wichtig, um Vorurteile abzubauen und Ängste zu nehmen.“

„Konzentrierter und profilierter“
Wie wichtig ist beim interreligiösen Dialog der Standort Köln? Laut Bastgen begann der Dialog schon vor vielen Jahren, noch unter Joseph Kardinal Höffner. Und mit dem Rat der Religionen habe Köln den Mut gehabt, sich zusammenzusetzen. „Das ist mühsam und bestimmt von Herantasten.“ In Berlin und München schaue man kritisch, „ob das funktioniert“. Natürlich passiere auch in anderen Städten viel auf diesem Gebiet, wusste Schaper: „Wo Christen und Muslime miteinander leben, gibt es viele Projekte, die den Dialog vorantreiben.“ Marquardt erinnerte daran, dass Köln schon seit der Antike geprägt war vom Austausch zwischen Juden und Heiden, Juden und Christen. Auf die Frage nach der Situation der christlichen Kirchen in Deutschland, nach ihrem Mitgliederschwund, ging Marquardt kurz auf die „innere protestantische Stärke“ ein: „Die Kirchen werden kleiner“, beschrieb er die äußeren Verhältnisse. „Wir befinden uns in einem Prozess der Konzentration“, der keineswegs von Nachteil sei. „Konzentrierter und profilierter“, diese Beschreibung münzte Bock auch auf die interreligiösen Gespräche. „Der Deutsche Evangelische Kirchentag in Köln etwa hat dies sehr deutlich gemacht.“

Religionen und Religionsfreiheit in der Türkei
Das Treffen im Haus der Evangelischen Kirche machte deutlich, dass es auch viele Fragen zum Verhältnis der Religionen und zur Religionsfreiheit in der Türkei gibt. „Wir wollen einen Dialog“, betonte eine der türkischen Jornalistinnen. Aber mit radikalen, konservativen Gruppen sei er nicht leicht zu führen. Die Alawiten (gelten bei orthodoxen Muslimen als „extreme Sekte“, ihre Lehre vereint Elemente unter anderem islamischer und christlicher Glaubensvorstellungen) beispielsweise ließen ihre Kinder nicht am allgemeinen Religions-Unterricht teilnehmen. Eine weitere Journalistin nannte als größtes Problem, dass die Menschen an der Basis sich nicht trauen würden, über ihren (Nicht-)Glauben zu sprechen. „Es ist schwierig zu sagen, ich bin Alawit oder ich bin Atheist.“
Auf die schwierige Situation der christlichen Kirchen in der Türkei, auf die Frage nach der Trennung von Staat und Kirche gingen die Gäste eher am Rande ein. Ein männlicher Pressevertreter meinte, in der Türkei gebe es Gründe für den aufsteigenden Nationalismus. Gleichwohl akzeptiere die Mehrheit der Türken Morde an Christen nicht. „In Anatolien erlebt man viel Druck. In großen Städten ist das Leben für Minderheiten einfacher geworden“, meinte der Redner. „Oder vielleicht doch etwas schlechter“, schränkte er im gleichen Atemzug ein. Es sehe nicht danach aus, dass der Druck weggenommen werde. Ihm sei in den wenigen Tagen in Deutschland aufgefallen, dass in jedem der geführten Gespräche das Wort Integration gefallen sei. Nach seiner Erfahrung verstünden aber viele Deutsche darunter nur, dass Ausländer den Deutschen ähnlicher werden müssten. Schade – aus Zeitmangel musste diese mit verwunderlichen Argumenten begründete Unterstellung leider unerwidert bleiben.

Ziel: Religionsfreiheit
„Ein solches Treffen habe ich in dieser Form zum ersten Mal erlebt. Erstaunlich finde ich das Interesse, mit dem die jungen Menschen zugehört haben. Wie sie auf die Schwierigkeiten eingegangen sind. Und mit welcher Offenheit sie über Probleme, auch religiöser Art, im eigenen Land gesprochen haben“, bilanzierte Bastgen. Nicht nur aufgrund der zahlreichen Muslime in unserer Gesellschaft halten er und Fey den Dialog für lebensnotwendig. „In solchen Treffen geht es für beide Seiten um eine bestimmte Lernmöglichkeit“, so Fey. Für ihn sind solche Begegnungen auch deshalb wichtig, um den Umgang eines demokratischen Staates mit dem Wort Religion zu verdeutlichen. Für ihn ist es eine „ernste, unaufgebbare Erwartung“, dass die hierzulande praktizierte Religionsfreiheit ausstrahlen könne auf jene Länder, „in denen Christen in eine bestimmte Verfolgungssituation geworfen werden“.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Broich