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Grandseigneur verlässt die Bühne: Hermann Max dirigiert Abschiedskonzert in Trinitatiskirche

Mehr als zehn Minuten Schlussapplaus und Standing Ovations – so viel Euphorie des Publikums ist auch für ein Konzert in der Trinitatiskirche eher ungewöhnlich. Der große Beifall galt dieses Mal nicht nur den Solisten sowie Chor und Orchester, die sich diesen ebenfalls hochverdient hatten. Gefeiert wurde vor allem Hermann Max für sein Lebenswerk als Kirchenmusiker und Dirigent, der im 83. Lebensjahr mit einem großen Programm mit vier Bach-Kantaten seinen Abschied vom Konzertpodium nahm. So war die Atmosphäre in der Trinitatiskirche einerseits ein wenig nachdenklich, andererseits von Begeisterung geprägt.

Veranstaltet wurde das Konzert vom Forum Alte Musik gemeinsam mit WDR 3. Hermann Max ist ein beeindruckender Mensch und Musiker: Bescheiden im Auftreten, souverän und sparsam im Dirigat, freundlich und hochgebildet ist er einer der Dirigenten, die es verstehen, nicht sich selbst, sondern stets die Musik in den Mittelpunkt zu stellen. Auf die Frage, was er anlässlich seines letzten Auftritts empfinde, sagt er: „Ich habe mich lange mit dem Zeitpunkt beschäftigt und wundervolle musikalische Dinge erlebt und bin nun voller Dankbarkeit, den Zeitpunkt für meinen Abschied selbst bestimmen zu können. Das Schicksal hat es gut mit mir gemeint, dass ich körperlich durchgehalten habe und fit geblieben bin.“

Großartige Künstlerkarriere

Das Schicksal alleine dürfte allerdings nicht der einzige Grund für eine so großartige Künstlerkarriere gewesen sein. 1941 in Goslar geboren studierte er Kirchenmusik in Berlin und Essen, zusätzlich Musikwissenschaft, Kunstgeschichte und Archäologie in Köln, bevor er von 1967 bis 2006 als Kantor und Kirchenmusikdirektor an der Christuskirche in Dormagen tätig war. In diese Zeit fiel die Gründung der Jugendkantorei Dormagen, die 1985 als Rheinische Kantorei firmierte. Zusätzlich gründete er in Anlehnung das belgische Ensemble „La Petite Bande“ von Sigiswald Kuijken sein Orchester „Das kleine Konzert“. Beide Ensembles – die Rheinische Kantorei und das Kleine Konzert – musizierten nun auch bei seinem Abschiedskonzert.

Max gründete 1992 das „Festival Alte Musik in Knechtsteden“ das er bis 2023 künstlerisch und dramaturgisch mehr als drei Jahrzehnte leitete. Durch eine intensive Zusammenarbeit mit dem WDR und ein intensives Quellenstudium wurde er zu einem der gefragtesten Spezialisten für die historische Aufführungspraxis alter Musik. Sein Augenmerk galt dabei neben Bach und Händel stets auch dem Werk Telemanns und zahlreicher weniger bekannter Komponisten, deren Werke er zum Klingen gebracht und damit vor dem Vergessen bewahrt hat. Max erhielt viele Auszeichnungen, unter anderen die Bach-Medaille der Stadt Leipzig, den Telemann-Preis der Stadt Magdeburg und verschiedene internationale Schallplattenpreise.

„Fernsehen ist nicht so mein Ding; ich schaue nur gelegentlich die ‚Tagesschau‘ und auch mal eine Halbzeit beim Fußball, allerdings habe ich regelmäßig und mit eiserner Disziplin von 20 Uhr abends bis 3 Uhr nachts historische Quellen gelesen und Noten studiert“, berichtet Max. So ist der Grandseigneur am Dirigierpult stets bestens informiert, top vorbereitet und seine Interpretationen sind aktuell und reflektiert. Dies schätzen auch seine Musikerinnen und Musiker sehr: „Wenn Hermann Max zwanzigmal die h-Moll-Messe macht, dann gibt es keine Routine, dann hat er zwanzigmal gründlich über das Stück nachgedacht“, so Lothar Blum, einer der professionellen Tenöre der Rheinischen Kantorei.

„Es ist nun, wie wenn ich in ein neues Haus ziehe“

Hermann Max hat sich auch im neunten Lebensjahrzehnt seine Neugierde bewahrt: „Es ist nun, wie wenn ich in ein neues Haus ziehe“, beschreibt er seine Zukunftspläne an seinem Wohnort Bremen. „Mich interessieren neue Projekte mit Kindern ab einem Alter von zwei bis drei Jahren, die es nicht so gut und glücklich haben“. Dafür will er sich nun erst einmal fortbilden: Mit zwei spezialisierten Psychologen hat er bereits Kontakt aufgenommen, um das nötige Handwerkszeug für spielerisches Musizieren mit Kindern zu bekommen. Ein Motto könnte der bekannte Satz des Pädagogen und Kinderbuchautors Otfried Preußler sein: „Seien Sie gut zu Kindern – sie sind das Beste, was wir haben“.

Zum Abschied von seinem rheinischen Publikum dirigierte Hermann Max vier Kantaten des jungen Thomaskantors Johann Sebastian Bach aus dem Jahr 1724. Neben Chor und Orchester war ein hervorragendes Solistenquartett mit Veronika Winter (Sopran), David Erler (Altus), Georg Poplutz (Tenor) und Matthias Vieweg (Bass) zu hören, das bereits zwei Tage zuvor beim ostdeutschen Abschiedskonzert in der Leipziger Nicolaikirche mitgewirkt hatte.

Text: Wolf-Rüdiger Spieler
Foto(s): Wolf-Rüdiger Spieler