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Gespräche im Kölner Süden: Darf man bei einer Trauerfeier lachen?

"Was empfinden Sie bei diesen Liedern?“ fragte Klaus Eberhard, nachdem zum Auftakt aus 30 Kehlen „So nimm denn meine Hände“ und „Wir sind nur Gast auf Erden“ erklungen waren. „Hochzeit“, „Abschied“, „Trost“, „Vertrautheit“, schallte es ihm entgegen. Ja, sagte der Pfarrer der Evangelischen Philippusgemeinde in Köln-Raderthal, die Zeile „du führst mich doch zum Ziele“ in der dritten Strophe des ersten Liedes drücke starkes Vertrauen aus. „Große Einsamkeit“ verband ein weiterer Gast mit dem Stück „Wir sind nur Gast auf Erden“: „Ich habe das auf Beerdigungen gehört; frage mich, ob die Leute das verinnerlichen.“ Beide Lieder seien Klassiker bei Bestattungen, stimmte Eberhard zu. Bei Trauungen hingegen stehe das Vertrauenslied „So nimm denn meine Hände“ heute nicht mehr im Vordergrund.

Abend des Austauschs
Derart verlief der Einstieg in die sechste von insgesamt sieben Veranstaltungen der von August bis Mitte November terminierten ökumenischen Reihe zum Thema „Sterben – Tod – Trauer“. Unter dem Motto „Gemeinsam unterwegs im Gespräch im Kölner Süden“ hatten dazu eingeladen die Evangelischen Kirchengemeinden Köln-Bayenthal, die Evangelische Kirchengemeinde Köln-Zollstock und die Evangelische Philippus-Kirchengemeinde Köln-Raderthal sowie der Katholische Kirchengemeindeverband Köln am Südkreuz. Tatsächlich entwickelte sich auch die sechste Veranstaltung eher zu einem Abend des Austauschs als des Vortrags.

Persönliche Erwartungen
Im Gemeindesaal der Philippuskirche ging es um die „Rolle der Kirchen bei Bestattungen“, um „Erwartungen und Erfahrungen“. Eben ihre persönlichen Erlebnisse und Erwartungen knapp schriftlich zu formulieren, waren die Teilnehmenden eingangs aufgefordert worden. Eberhard las die Beiträge vor. Sein katholischer Kollege Hans Stieler, Pfarrer an St. Matthias (Köln-Bayenthal) und St. Maria Königin (Köln-Marienburg), ordnete die beschriebenen Kärtchen entsprechend ihrer Thematik auf einer Pinwand an. „Die Vielfalt hält sich in Grenzen“, stellte Eberhard fest. Die Ergebnisse ließen auf ein „Publikum schließen, das einen guten Bezug zur Kirche hat“. So wünschten sich die Besuchenden bei einer Bestattungsfeier Halt, Sterbesakramente, Seelsorge, Geborgenheit in der Gemeinschaft, Zuspruch und würdiges Verhalten. „Trost und Ermutigung für die Lebenden. Den Tod in das Leben einbeziehen. Den Umgang mit dem Tod erlernen“, formulierte einer seine Erwartungen. Eine andere wünschte sich, dass bei einer Bestattung das Leben des Verstorbenen ausgebreitet werde. Kritisiert wurde, dass sich Trauergäste auf dem Weg zur Grabstätte wenig würdig unterhielten. Ein anderer möchte eine(e) Geistliche(n), der/die die Sterbesakramente spendet, der/die ein offenes Ohr für den Sterbenden wie die Angehörigen hat und eingeht auf die Wünsche der Nahestehenden.

Würdige Verabschiedung
„Meine ersten Begegnungen mit Beerdigungen waren die als Messdiener“, startete Stieler in eine längere Schilderung. Damals seien die vorkonziliaren Gottesdienste in lateinischer Sprache abgehalten worden. Auf dem Friedhof sei es darum gegangen, einen Ritus zu feiern zur Verabschiedung eines Menschen. „Der war immer gleich. Wenn ich das mit der Vielfalt an Begegnungen anlässlich von Beerdigungen heute vergleiche, hat sich das schon erheblich gewandelt.“ In der Regel legten die Angehörigen großen Wert auf eine persönliche Feier. Der althergebrachte Ablauf Messe, Trauerhalle, Grab breche immer mehr auf. „Die Menschen haben sich gewandelt. Sie wollen eine würdige Verabschiedung. Aber nicht mehr in dieser Vollform.“ Daher fänden die meisten Beerdigungen ohne den Gottesdienst in der Kirche statt. Damit könnten sie wenig anfangen. Viele verzichteten sogar darauf, den Sarg oder die Urne in der Halle aufzustellen, sondern wollten allein die Zeremonie am Grab. Andererseits fänden Menschen „bewusst Freude daran, dass Sarg oder Urne mit in der Kirche stehen. Da gibt es verschiedene Variationen. Alles hat seine Richtigkeit, alles ist gleich in Ordnung.“ Zu beachten sei, was die Menschen möchten. „Wir dürften ihnen nichts aufdrängen oder aufschwatzen. Die Situation ist eine besondere. Wer einen Menschen verliert, hat Schmerz, Trauer, ein besonderes Problem.“

Kölsche Melodien statt frommer Choräle
Für Stieler ist wichtig, über die verstorbene Person etwas zu sagen. Dass man das in Worte fasse, was den Verstorbenen ausgemacht habe. „Angehörige geben das gerne an uns Theologen ab.“ Insbesondere gelte es, „unsere Verkündigungsbotschaft einfließen zu lassen, deutlich zu machen, dass wir eine christliche Beerdigung feiern“, so Stieler. Kirche gebe die christliche Hoffnung an die Hand. Und zeige, dass Christen auf Menschen als einzelne Kostbarkeiten blickten. „Heute gibt es viel, was man sich vor zehn, zwanzig Jahren nicht vorstellen konnte“, sagte Stieler und erntete Zustimmung. „Wurden früher fromme Choräle gesungen, sind es heute auch kölsche Melodien“, sieht er bestimmte Musikstücke als Bezugspunkte der Menschen. Es gehe darum, jeden Menschen in aller Würde zu bestatten. Es gebe auch Angehörige, die einen offiziell aus der Kirche Ausgetreten trotzdem kirchlich beerdigen wollten. „Das ist selbst mir ein Problem“, betont Stieler. Denn es stelle sich die Frage, ob man dem Verstorbenen, der den lieben Gott abgelehnt habe, damit nicht zu nahe trete. Aber oft geschehe ein Austritt ja aus ganz anderen Gründen, habe zu tun mit Ärger über die Institution oder Kirchensteuer.

Anonyme Bestattungen mehren sich
In seinem Vikariat auf dem Land sei zu Bestattungen das ganze Dorf zusammengekommen – „teilweise mehr als zu Weihnachten“ – schilderte Eberhard seine „intensive“ Erfahrungen. „Je städtischer es wurde, desto kleiner und anonymer wurde es.“ Als er schließlich von Bonn nach Köln gewechselt sei, habe ihn der Bestatter beiseite genommen und erklärt, wie das hier so ablaufe: Üblich sei eine halbe Stunde und nicht mehr. „Inzwischen hat sich das aber gebessert“, so Eberhard. Gleichwohl seien in großen Städten Pfarrerinnen und Pfarrer durch die engen Terminpläne auf Friedhöfen festgelegt. „Im besten Fall arbeiten Bestatter und Gemeinde zusammen.“ Auch bei Bestattungen zeige sich die Tendenz einer Individualisierung: „Urnenbeisetzungen haben zugenommen, anonyme Bestattungen mehren sich.“ Gewünscht werde immer häufiger nur eine kurze Trauerfeier in der Halle auf dem Friedhof mit anschließender Beisetzung. Aber Menschen mit starkem kirchlichem Bezug wollten nach wie vor eine klassische Trauerfeier mit einer Liturgie, mit Chorälen und Gebeten.

Christliche Botschaft erzählen
Auffällig sei, dass die Leute häufig nicht selbst singen, stattdessen „weltliche Stücke“, etwa Trude Herrs „Niemals geht man so ganz“, hören wollten. „Schwierig ist es, wenn sich Wünsche von Angehörigen widersprechen“, meinte Eberhard. Mit einer Witwe habe er mal eine ganz klassische Feier abgesprochen. „Dann meldete sich die Tochter, die unbedingt drei Stücke von 'Unheilig' eingebaut wissen wollte und die Ansprache, die hätte sie auch schon fertig.“ Wünsche zu äußern, sei ein gutes Recht der Angehörigen. „Aber es ist auch anstrengend. Früher gab es klare Strukturen. Die sind aufgebrochen. Wenn der Pfarrer sich hier verschließt, hat das Auswirkungen“, gab Eberhard zu bedenken. „Ich möchte auf die Persönlichkeit des verstorbenen Menschen eingehen, nicht über die Köpfe hinweg gehen“, nannte Eberhard seine Haltung. Auch sei er offen für moderne Lieder und Texte. Eine Grenze zieht er dort, wo der christliche Rahmen einer Beerdigung gesprengt werde. „Da ist Sensibilität gefragt.“ Wichtig ist ihm, dass bei allem, was Beerdigungen ausmache, bei allem Würdevollen, „die christliche Botschaft 'rüberkommt', Hoffnung ausgedrückt wird“. Der christliche Glauben habe über den Tod etwas zu sagen. Im Trauergespräch, in der Trauerfeier erfahre man die feste Zusage Gottes. Bestattungen seien für die Kirche eine wichtige Gelegenheit, um Menschen zu erreichen und den christliche Standpunkt zu verdeutlichen.

Lachen bei einer Trauerfeier?
In der anschließenden großen Runde trugen Besuchende (weitere) eigene Einschätzungen vor und stellten Fragen. Ein Gast sprach von seiner wiederkehrenden Überraschung, dass nach katastrophalen Ereignissen sich Menschen in Kirchen versammelten. „Sie kommen dort zusammen, wo sie etwas spüren.“ Darunter häufig Menschen ohne jeden kirchlichen Bezug. Eberhard bestätigte: „Ja, die Kirche ist ein Ort, an dem Menschen Zuflucht suchen.“ Ein anderer Besucher wünscht sich, dass der Pfarrer bei Beerdigungen statt Schwarz ein weißes Gewand trägt, um so die Auferstehungshoffnung auch farblich auszudrücken. „Man muss immer schauen, wen man vor sich hat“, so Eberhard. „Die Farbe klärt man, wie etwa die Liedauswahl, im Vorgespräch“, sagte Stieler. Humor, gar Lachen in einer intensiven Trauerfeier? Eberhard schließt das nicht aus, wie er an einem konkreten Beispiel ausführte. Trotzdem stehe immer die Hoffnung im Vordergrund, von der die Angehörigen erfüllt seien. Eine protestantische Witwe erinnerte an die sensible Beerdigung ihres katholischen Gatten. Sie zeigte sich angenehm überrascht, wie einvernehmlich dabei Pfarrer von beiden Kirchen den Gottesdienst gehalten hätten. „Da haben wir keine Berührungsängste, weil wir alle beim selben lieben Gott landen“, so Stieler.

Distanz der Seelsorger nötig
Eine weitere Besucherin stellte die besondere, leitende Rolle des Pfarrers heraus. „Er behält den Kopf, sagt, was gemacht wird. Die Angehörigen können das nicht.“ Es sei tröstend, wenn man sehe, dass der Pfarrer nicht weine. „Das finde ich wichtig. Man hält sich quasi an ihm fest.“ „Eine wohltuende Distanz ist vonnöten“, so Eberhard, „aber nicht immer möglich.“ Stieler gestand, dass er oft mit seinen Gefühlen kämpfen müsse. Deshalb halte er sich aber noch lange nicht für unprofessionell. „Wenn man gute Bekannte zu Grabe trägt, oder, wie zuletzt, eine 17-Jährige, und die 'halbe Schule' steht vor einem, dann lässt mich das nicht kalt. Trotzdem kann ich die Fäden in der Hand halten.“ Dass Trauergäste während der Feier, selbst auf dem Weg zum Grab, miteinander quatschten, könne laut Stieler damit zusammenhängen, „das man schwer mit dem Phänomen Tod umgehen kann“. Indem man darüber hinweg rede, baue man eine Fassade auf, und lasse das Thema nicht weiter an sich ran. „Viele wollen gar nicht nah ans Grab, weil sie merken: das hat was mit mir zu tun, aber das soll mich nicht berühren.“ Es sei für viele Menschen schwierig, still zu sein. Selbst Angehörige seien unterschiedlich berührt und weichten mit Gesprächen aus.

Sarg darf in die Kirche kommen
Stieler plädierte dafür, den Verstorbenen mit "hereinzulassen". Ihn wenigsten mit den biographischen Eckdaten zu würdigen, sei evangelische Sache. Inzwischen komme aber auch bei den Katholiken der Mensch vor, um den es geht, und nicht nur die Theologie. Obgleich bei einigen wiederum der Wunsch bestehe, dass nichts Persönliches über den Verstorbenen gesprochen werde. „Was kann die Kirche an Trost geben angesichts der Endlichkeit?“ wollte ein ältere Dame wissen. „Ich gehe von Gott aus, von seinem Zuspruch, den spreche ich den Angehörigen zu. Und ich bleibe beim Evangelium“, betonte Eberhard. Befragt wurden die Theologen auch danach, wie sie damit umgehen, wenn Angehörige den Wunsch des Verstorbenen nach einem Gottesdienst nicht respektieren? „Man muss es vorher wissen“, so Stieler. Er betonte nochmals, dass man ohne Probleme den Sarg oder die Urne in die Kirche holen könne. „Klar geht das. Das wird gescheut aufgrund des Aufwandes. Aber das ist Sache des Beerdigungsinstituts.“

"Rufen Sie uns an!"
„Seelsorge bei Sterbenden ist aus der Mode gekommen“, beklagte ein Gast. „Das war früher Tradition, wird jetzt wieder entdeckt, teilweise auch durch die Hospizarbeit“, so Eberhard. „Ich kann nur Mut machen, dass man zuhause ein Gebet spricht. Rufen Sie uns an. Dazu sind wir da.“ Dabei komme etwas zum Tragen, was er als sehr persönlich, intensiv empfinde. „Das Sterben ist heute anonymer“, stellte Stieler fest. Ja, bestätigte Eberhard die Einschätzung einer Besucherin, in der Gesellschaft herrsche eine gewisse Sprachlosigkeit in Bezug auf den Tod. „Das erlebe ich oft in Trauergesprächen.“ Eine weitere Besucherin meinte einen Trend auszumachen, „dass sich das ändert“. Als Beispiel nannte sie Werbemaßnahmen von Bestattungsunternehmen: Sie „dekorieren ihre Schaufenster, laden zu Veranstaltungen; was sie anbieten, ist genial. Da passiert was, da gehen Leute hin. Mein Eindruck ist, wir von Kirche blenden das aus.“ Eberhard mochte diesen Eindruck nicht teilen: „Ich glaube, dass wir mit dem Thema insgesamt gut umgehen.“

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich