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Führung durch die Günter Grass-Ausstellung

Günter Grass hat in seinen Romanen – beginnend bei der „Blechtrommel“ bis hin zu „Im Krebsgang“ – das 20. Jahrhundert in Deutschland begleitet, wie kaum ein literarischer Zeitgenosse. Ursprünglich ist der 1927 in Danzig geborene Autor jedoch Steinmetz, Graphiker und Bildhauer. Parallel zu seinen Romanen entstanden Zyklen von Radierungen und Lithographien, in denen Grass Motive seiner Bücher verarbeitet hat. Zwei Zeichnungen, 13 Radierungen und neun Lithographien aus seinem bildkünstlerischen Werk sind bis zum 17. Oktober 2012 im Rahmen des Kulturprogramms des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region in der Kölner Trinitatiskirche, Filzengraben 4, ausgestellt. Der Literaturwissenschaftler Dr. Anselm Weyer, der Grass persönlich kennt, erläuterte in einer Führung die Beziehungen zwischen dem bildkünstlerischen und dem literarischen Werk des Autors.

Die Entscheidung fiel in Köln
Aufgewachsen im fernen Danzig, Steinmetzlehre und Studium in Düsseldorf – eng sind die Bande, die Grass mit Köln verbinden, nicht. Ein Teil seines Romans „Hundejahre“, so Weyer, spielt in Köln. Grass‘ erste Wohnadresse nach seiner Kriegsgefangenschaft befand sich ebenfalls in Köln. Seine Eltern lebten nach Kriegsende bei Bergheim. Außerdem, so Weyer, las Grass beim WDR gelegentlich Gedichte ein. Indirekt gab eine dem Autor missfallende Inszenierung seines Theaterstücks „Onkel, Onkel“ wohl den Ausschlag, dass Grass beschloss, nur noch Epik zu schreiben. 1958, ein Jahr vor dem literarischen Durchbruch mit der „Blechtrommel“, wurde das Stück in Köln uraufgeführt – „man könnte also sagen, weil die Kölner so schlechte Inszenierungen machten, schrieb Grass Romane“, scherzte Weyer.

Apokalyptische Ratten und gekreuzigte Schnecken
Dominierend in der Ausstellung sei jedoch nicht Grass‘ erster großer Wurf, die „Blechtrommel“. Durch die Konzentration auf Motive der Apokalypse, des Weltuntergangs, sei „Die Rättin“, mit der sich Grass 1986 aus der literarischen Versenkung zurückmeldete, beherrschend. Dazu passend: Kreuzigungsszenen, nach den Vorbildern von Hans Baldung Grien und Albrecht Dürer. „Bei Grass gibt es von den Stufen „Paradies – gefallene Schöpfung – Erlösung“ immer nur die zweite Stufe“, erläuterte Weyer. Die gekreuzigte Schnecke, Hauptfigur des 1972 erschienenen „Tagebuch einer Schnecke“, stehe für den langsam vorankriechenden Fortschritt. Grass beschreibe in dem Werk den SPD-Wahlkampf 1972. „Er war nie“, so Weyer, „der Überzeugung, dass man die Verhältnisse nur umkehren müsste, und alle sind glücklich.“ Vielmehr habe Grass immer zu den Gemäßigten gehört.

Die Ratte überlebt den Menschen und wird menschlich
Die Ratte sei das Symboltier für Überlebenskünstler und Überlebenswillen. Dem Erzähler der „Rättin“ zufolge, von Grass als Selbstbildnis mit dem namensgebenden Tier porträtiert, „träumt die Ratte“ vom Untergang der Menschheit durch einen Atom- oder Neutronenbombenkrieg. Die Ratten, soziale Tiere, überlebten – auf Atombomben bestens vorbereitet durch Hiroshima und Nagasaki – unterirdisch.“Das Wissen haben sie sich in allen Bibliotheken der Menschen angefressen“, so Weyer. Die Graphik mit den Motiven schwarze Sonne, Ratte, Sonnenblume und Taube zeige, wie die Nager ein Stück Zivilisation in Form von Landwirtschaft bewahrten: Jungratten schützten die Sonnenblumen vor räuberischen Sperlingen und Tauben. Das Motiv der Ratten am Kreuz, das Grass den Vorwurf der Blasphemie einbrachte, beziehe sich allerdings weniger auf christliche als auf menschheitsgeschichtliche Motive, schließlich sei nicht nur Jesus gekreuzigt worden. Letztlich wiederholten die Nager nur die Menschheitsgeschichte, erläuterte Weyer.

Den Glauben verloren
Mit dem Motiv des Kreuzes war Grass durch seine frühere Steinmetztätigkeit, während der er auch Grabsteine anfertigte, sehr vertraut. Sein Verhältnis zum christlichen Glauben war dagegen distanziert und Thema einer der zahlreichen Exkurse Weyers: Als Spross einer katholischen Familie und Messdiener verlor Grass als 14-Jähriger nach eigenen Angaben seinen Glauben – um erst einmal „gläubiger“ Nazi zu werden. Nicht zuletzt durch die Schuldbekenntnisse Baldur von Schirachs, so Weyer, habe er auch dieser und allen anderen Ideologien abgeschworen. Selbst der Atheismus als Glaubensbekenntnis werde von Grass abgelehnt.

Der Verlust der Heimat
Eine Ratte vor der „Skyline“ von Grass‘ Heimatstadt Danzig symbolisiere ein anderes Thema: den Verlust der Heimat, die er verlassen musste. Bei dem Werkkomplex, der das Thema „Kahlschlag“ verarbeitet, steht die Weltuntergangsstimmung der 80er Jahre im Mittelpunkt. Damals wurden – neben der Angst vor einem Atomkrieg – die Auswirkungen des Waldsterbens sichtbar. Eine tote Eule auf einem Stapel Brennholz sei der tote Vogel der europäischen Weisheit, teilt Weyer seinen Zuhörenden mit. Die Vernichtung der eigenen Umwelt durch den Menschen werde zur Ikone des Scheiterns seiner Ansprüche als „Homo sapiens“. Trotz seiner apokalyptischen und pessimistischen Motive, so Weyer, dürfe man sich vom Autor kein falsches Bild machen: Er habe ihn als lebensfrohen und humorvollen Menschen erlebt.

Die Günter-Grass-Ausstellung in der Kölner Trinitatiskirche, Filzengraben 4, ist bis einschließlich Mittwoch, 17. Oktober, geöffnet: mittwochs von 10 bis 12 Uhr, donnerstags von 16 bis 18 Uhr, sonntags von 11 bis 13 Uhr sowie während der Veranstaltungen; zusätzlich am Dienstag, 16. Oktober, anlässlich des 85. Geburtstags von Günter Grass, in der Zeit von 16 bis 19 Uhr.

Text: Annette von Czarnowski
Foto(s): Annette von Czarnowski