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Die sogenannten Klau-Kids von Köln – und wie ihnen wirklich geholfen werden kann

Seit Wochen beherrschen Meldungen über die sogenannten „Klau-Kids“ von Köln die Schlagzeilen nicht nur hiesiger Zeitungen. Dagmar Paffenholz hat für den epd eine Reportage geschrieben, die zeigt, dass es mit Abschiebungen und Schuldzuweisungen nicht so einfach geht, wie sich das manche Menschen vorstellen. Und vor allem: Sie zeigt, dass es auch anders geht. Schließlich ist hier die die Rede von Kindern. Darum der Beitrag hier in voller Länge:

Susanna malt ein K auf ihr Blatt, ein K „wie kalt, wie Köln, wie Kino“. Alexandro hat seinen Mathebogen ausgefüllt. „13+4 = 17“. Frederico fehlt heute. Der Siebenjährige ist mit seinen Eltern zum Sozialamt gegangen, er muss dolmetschen. Aber vorher hat er sich noch ein Blatt mit den Rechenaufgaben geben lassen von Nicole Hansen, ein der Pädagoginnen in der „Roma-Schule“. Initiiert vom Kölner Verein Kindernöte werden hier im Flüchtlingsheim Merkenich junge Roma auf die „richtige“ Schule vorbereitet – und bekommen eine Perspektive jenseits der Kriminalität.


Von den 182 Roma, die im Heim auf engem Raum zusammenwohnen, sind 78 Kinder. Die meisten kommen aus dem Kosovo. Für die Erwachsenen gibt es keine Arbeitserlaubnis, für die Kinder keine Schulpflicht. Zwar haben die Kinder das Recht auf einen Schulbesuch, doch die bürokratischen Hürden, ihre Kinder auch anzumelden, sind für die meisten Eltern zu hoch. Die Aussichten, jemals eine Schule von innen zu sehen, sind gering. Die „Roma-Schule“ will das ändern.

„Sich zum Spielen in eine Reihe zu stellen, einen Kreis zu bilden, das mussten die Kinder erst mühsam lernen“, erinnert sich Nicole Hansen. Manche konnten kaum deutsch. Aber sie lernen schnell. Gerne kommen sie in ihre „Scola“, wie die Kinder gleich zum Start vor einem Jahr den Gruppenraum tauften.

Voller Eifer sitzt Mirco über seine Aufgaben. Pause? Lieber will er noch ein Arbeitsblatt ausfüllen. Seit knapp fünf Monaten kommt er hierher. „Mit einer Auflage vom Jugendamt“, erzählt Nicole Hansen. Mirco ist eines der so genannten „Klau-Kinder“, wie die minderjährigen Taschendiebe in Köln genannt werden. Rund 2.500 Kinder und Jugendliche aus Roma-Familien leben in der Stadt, etwa 70 von ihnen halten die Polizei auf Trab.

Köln ist Spitzenreiter in der deutschen Taschendiebstahl-Statistik. Sogar in japanischen Reiseführern wird vor den „Klau-Kids“ gewarnt. Warum sich Mirco an fremdem Eigentum vergriffen hat? Aus Langeweile, Geldmangel, weil es womöglich Teil der Roma-Kultur ist? Nicole Hansen hat keine Antwort darauf. Und Mirco? Er hat zumindest ein Unrechtsbewusstsein, meint die Lehrerin.

Mit einer Mischung aus Strafverfolgung und Prävention versucht die Stadt Köln das Problem zu lösen. Sieben Roma-Jugendliche sind bereits vom Jugendamt von ihren Familien getrennt und in Heimen außerhalb Kölns untergebracht worden. Neben den repressiven Mitteln treibt das schwarz-grüne Ratsbündnis derzeit das Alternativmodell „Schaworalle“ („Hallo Kinder“) voran, ein Projekt des Kölner Vereins „Rom e.V„. NRW-Schulministerin Ute Schäfer (SPD) hat der Stadt unter anderem dafür 500.000 Euro für zehn neue Lehrer in Aussicht gestellt.

 

Nach Frankfurter Vorbild soll bis August ein soziokulturelles Zentrum entstehen. Geplant sei ein Kindergarten sowie zwei Schulgruppen, erzählt Renate Graffmann (Foto), Vorstandsmitglied von „Rom e.V.“ und Pfarrerin im Ruhestand. Nachmittags sind Sport, Musik, Computergruppen und Sprachkurse vorgesehen. Auch für die Erwachsenen soll es Angebote geben, beispielsweise Nähkurse für die Mütter. Einige der Pädagogen sind selber Roma, um das Vertrauen zwischen dem Projekt und den Familien zu stärken.

„Viele der Kinder sind vernachlässigt“, sagt Nicole Hansen. Von den Eltern, die durch Krieg und Flucht traumatisiert sind. „Und vom Staat“, sagt Ulrich Nolden, Vorstandsmitglied vom Kindernöte-Verein. Er kritisiert vor allem die fehlende Schulpflicht: „Es wächst eine Generation von Analphabeten heran, deren gesellschaftlichen Chancen gegen Null tendieren.“

Mit der „Roma-Schule“ sollen zumindest die Zukunftschancen der Roma-Kinder im Merkenicher Flüchtlingsheim ein wenig erhöht werden. Drei Heilpädagoginnen, eine Sozialpädagogin, ein türkischstämmiger Fußballtrainer und ein Student, der fließend kroatisch spricht, erteilen Nachhilfe. Ein Schulvormittag ist Voraussetzung für das Freizeit-Angebot am Nachmittag. Mirco hat inzwischen einen „Schulbesuchsvertrag“ abgeschlossen. Auch seine Eltern haben unterschrieben. Geklaut hat er seitdem nicht mehr.

Text: Dagmar Paffenholz/epd
Foto(s): Rahmann