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Die Bibel in gerechter Sprache erscheint am Reformationstag: Wie kam es dazu, was bedeutet das und wie können wir damit umgehen?

„Stellen Sie sich vor: Sie schlagen Ihre Bibel auf und können im Wortlaut entdecken, es gab sie, die Jüngerin, die Apostelin, die Diakonin … Sie lesen in Ihrer Bibel und können sicher sein, hier wird ernst genommen, dass Jesus Jude war.“ Mit dieser verlockenden Aussicht wirbt das Projekt „Bibel in gerechter Sprache“ auf seiner Homepage (www.bibel-in-gerechter-sprache.de) für eine am Reformationstag 2006 erscheinende neue Bibelübersetzung. Über die Entstehungshintergründe, die Inhalte und Übersetzungsentscheidungen der Bibel in gerechter Sprache lesen wir auf der Homepage: „Ihre Wurzeln hat diese Bibelübersetzung im Deutschen Evangelischen Kirchentag. Zum ersten Mal wurden in Frankfurt am Main (1987). Übersetzungen in „gerechte Sprache“ der Lutherübersetzung an die Seite gestellt. Mittlerweile sind diese Übersetzungen selbstverständlicher Teil jedes Evangelischen Kirchentages.

Die Arbeit dauerte fünf Jahre lang
Für Martin Luther war die „Gerechtigkeit Gottes“ ein Leitbegriff, unter dem sich ihm das Verständnis der gesamten Bibel neu eröffnete. Die 52 Theologinnen und Theologen, zehn Männer und 42 Frauen, die seit fünf Jahren ehrenamtlich an der Übersetzung der Bibel in gerechte Sprache arbeiten, knüpfen auch daran an. Die Übersetzung hat sich das Ziel gesetzt, dieses zentrale Motiv auch sprachlich sichtbar werden zu lassen. Gemeinsam ist allen Beteiligten die Prägung durch Veränderungen des theologischen Denkens in den letzten Jahrzehnten. Da sind der jüdisch-christliche Dialog mit der Neuentdeckung der jüdischen Wurzeln gerade auch des Neuen Testamentes, die feministische Theologie mit der Neuentdeckung der großen Rolle von Frauen auch in eher versteckten Zusammenhängen, die Befreiungstheologie mit der Neuentdeckung von Armen, Sklaven und Sklavinnen sowie den „kleinen Leuten“. Wo es um Gott geht, geht es immer um Freiheit und Gerechtigkeit – und dieses Grundthema der Bibel, ihr roter Faden, soll auch die deutsche Sprachgestalt der Bibel deutlich bestimmen.
Dabei geht es zum einem um „Textgerechtigkeit“, das bedeutet, es wurde aus den biblischen Originalsprachen, dem Hebräischen und Griechischen nach den jeweiligen aktuellen wissenschaftlichen Textausgaben übersetzt.

„Geschwister“ statt mit „Brüder“
„Geschlechtergerechtigkeit“ ist ein weiterer Aspekt dieses Projektes. Es wird erkennbar, dass Frauen an den Geschehnissen beteiligt waren, von denen die biblischen Texte berichten und damals wie heute angesprochen und nicht nur mitgemeint sind. So wird beispielsweise die Anrede der versammelten Gemeinde, „adelphoi“, mit „Geschwister“ übersetzt statt mit „Brüder“.
„Gerechtigkeit in Hinblick auf den christlich-jüdischen Dialog“ bedeutet, dass die Ergebnisse von Lernprozessen im Kontext des christlich-jüdischen Dialogs ernst genommen werden. Ein Beispiel dafür sind die so genannten „Antithesen“ der Bergpredigt. Bisherige Übersetzungen bieten an: „ich aber sage euch“. Dieses „aber“ wurde im Sinne einer Wendung Jesu gegen die jüdische Tradition ausgelegt. Es handelt sich jedoch um eine von den Rabbinen oft verwendete Formel, die sachgemäßer mit „ich lege euch das heute so aus“ wiedergegeben werden kann.

Soziale Realitäten in der globalisierten Welt
Und nicht zuletzt hat das Projekt das Thema „soziale Gerechtigkeit“ im Blick und beachtet heutige soziale Realitäten in der globalisierten Welt. Luther übersetzte seinerzeit die in der Bibel beschriebenen „Sklaven“ und „Sklavinnen“ (so der Wortlaut der „Bibel in gerechter Sprache“) an vielen Stellen mit „Magd“ oder „Knecht“, diese Begriffe entsprachen dem mittelalterlicher Ständewesen und waren seinen Zeitgenossen klar verständlich.“ (Zitiert nach Hanne Köhler, www.bibel-in-gerechter-sprache.de)

Finanziert wurde diese Bibelübersetzung ausschließlich aus zweckgebundenen Spendenmitteln, die von über 1200 Personen, Gruppen und kirchlichen Institutionen aufgebracht wurden. Gefördert wurde das Projekt konfessionsübergreifend im deutschsprachigen Raum.

Zwei Übersetzungsbeispiele vermitteln einen Eindruck von dem, was uns mit dieser neuen Bibelübersetzung erwartet: Psalm 8 BIBEL in gerechter Sprache (Stand Feb. 2006)
„1 Für die musikalische Aufführung. Auf der Gittit. Ein Psalm. Von David.
2 Adonaj, du herrschst über uns alle. Wie machtvoll ist dein Name auf der ganzen Erde. So breite doch deine Majestät aus über den Himmel.
3 Aus dem Mund von Kindern und Säuglingen hast du eine Macht geschaffen gegen alle, die dich bedrängen, auf dass Feindschaft und Rache verstummen.
4 Ja, ich betrachte deinen Himmel, die Werke deiner Finger: Mond und Sterne, die du befestigt hast
5 Was sind die Menschen, dass du an sie denkst, ein Menschenkind, dass du nach ihm siehst?
6 Wenig geringer als Gott lässt du sie sein, mit Würde und Glanz krönst du sie.
7 Du lässt sie walten über die Werke deiner Hände. Alles hast du unter ihre Füße gelegt:
8 Schafe, Rinder, sie alle, und auch die wilden Tiere,
9 Vögel des Himmels und Fische des Meeres, alles, was die Pfade der Meere durchzieht.
10 Adonaj, du herrschst über uns alle. Wie machtvoll ist dein Name auf der ganzen Erde.“
Die Übersetzung dieses Psalms in der Bibel in gerechter Sprache ist ein Beispiel dafür, dass es möglich ist, das Thema Herrschaft Gottes auch ohne gehäuft betonte Männlichkeit (HERR, unser Herrscher, wie herrlich … [V.2.10.] zum Ausdruck zu bringen.

Bei dem mit Bibel in gerechter Sprache gekennzeichneten Wortlaut handelt es sich um eine noch nicht autorisierte Vorab-Version aus: Das Buch der Psalmen.
Übersetzt von Ulrike Bail, Michaela Geiger, Christl M. Maier und Simone Pottmann.
Aus: „Bibel in gerechter Sprache“. Hrsg. von Ulrike Bail, Frank Crüsemann, Marlene Crüsemann, Erhard Domay, Jürgen Ebach, Claudia Janssen, Hanne Köhler, Helga Kuhlmann, Martin Leutzsch und Luise Schottroff. © Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München 2006.

Mt 9,20 BIBEL in gerechter Sprache (Stand Feb. 2006)
20 Und seht, eine Frau, die schon zwölf Jahre an Blutungen litt, näherte sich von hinten und berührte den Schaufaden an seinem Mantel.

Das griechische Wort kraspedon bezeichnet in Mt 9,20; 14,36; 23,5; Mk 6,56; Lk 8,44 die (vier) Schaufäden, die jüdische Menschen nach Num 15,38-41 und Dtn 22,12 an ihrem Gewand anbringen, um sich an Gottes Tora zu erinnern. Die Übersetzung dieses Wortes mit „Schaufaden“ macht den selbstverständlichen und positiven Bezug der Evangelien auf die jüdische Lebensweise und Tora-Orientierung Jesu und seiner Nachfolgegemeinschaft sichtbar. Er ist in einer Übersetzung mit „Saum“ (z. B. Lutherrevision 1984 Mt 9,20 usw.) bzw. „Quasten“ (ebendort Mt 23,5) schwer erkennbar oder unsichtbar. Das Wort Schaufaden stammt aus dem Sprachgebrauch deutschsprachiger jüdischer Menschen.

Bei dem mit Bibel in gerechter Sprache gekennzeichneten Wortlaut handelt es sich um eine noch nicht autorisierte Vorab-Version aus dem Matthäusevangelium übersetzt von Luise Schottroff. Aus: „Bibel in gerechter Sprache“. Hrsg. von Ulrike Bail, Frank Crüsemann, Marlene Crüsemann, Erhard Domay, Jürgen Ebach, Claudia Janssen, Hanne Köhler, Helga Kuhlmann, Martin Leutzsch und Luise Schottroff. © Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München 2006.

Jede Generation braucht ihre lebendige Auseinandersetzung mit einer neuen Bibelübersetzung in gerechter Sprache
Die Bibel in gerechter Sprache wird und will keine neue Altarbibel werden. Es ist aber eine Bibel, mit der auch NichttheologInnen in ihren Gemeinden arbeiten können, da in verständlicher Weise Einsichten in Übersetzungs- und Verstehenszusammenhänge biblischer Schriften vermittelt werden. Von besonderem Reiz ist, dass die ÜbersetzerInnen der einzelnen Schriften den Gottesnamen je unterschiedlich wiedergeben. So wird die Vielfalt Gottes eindrücklich veranschaulicht und jede Bibelleserin/ jeder Bibelleser wird dazu eingeladen, den Gottesnamen für sich zu finden, mit dem sie/ er am meisten verbinden kann. Daher wird diese Bibel ein lebendiges Wort sein und bleiben, ganz im Sinn von Luise Schottroff, die das Projekt „Bibel in gerechter Sprache“ als Mitherausgeberin und Übersetzerin unterstützt, weil: „jede Generation ihre lebendige Auseinandersetzung mit einer neuen Bibelübersetzung in gerechter Sprache braucht, sonst landet die Bibel im Museum.“ Im Museum wird diese Bibel noch lange nicht landen, vorher wird sie durch viele Hände gehen und intensiv gelesen und gebraucht werden. Das jedenfalls ist ihr zu wünschen!

Aufgrund der sich bereits abzeichnenden zahlreichen Nachfragen empfiehlt es sich, die Bibel in gerechter Sprache vorab zu bestellen, da die erste Auflage vermutlich bald vergriffen sein wird. Die Bibel in gerechter Sprache erscheint im Gütersloher Verlagshaus zum Einführungspreis von 24, 95 Euro, rund 2.400 Seiten, gebunden. Vorbestellung der „Bibel in gerechter Sprache“ sind ab sofort über den Buchhandel oder den Verlag möglich.

Termin-Hinweis
9. November, 16 bis 19 Uhr: Ideen-Austauschbörse „Bibel in gerechter Sprache“
Die Bibel in gerechter Sprache will den biblischen Alltag und damit auch die mitgemeinten Frauen sichtbar machen. Sie will diskriminierende Formulierungen überwinden, antijüdische und gewaltverherrlichende Begriffe vermeiden und die Vielfalt der biblischen Gottesbilder aufdecken. Wir wollen an diesem Nachmittag diese grundlegend neu übersetzte Bibel vorstellen und an einigen Texten exemplarisch arbeiten. Natürlich werden wir immer wieder die Frage stellen: „Wie können wir damit in unseren Gruppen umgehen?“
Bitte melden Sie sich zu dieser Veranstaltung an, damit wir gut vorbereiten und für einen Imbiss planen können.
Ort: Haus der Evangelischen Kirche, Kartäusergasse 9-11, 50678 Köln. Kontakt: Frauenreferat des Evangelischen Kirchenverbands Köln und Region, Telefon: 0221/33 82-105, Frauenreferat@kirche-koeln.de und Silvia Hecker, Frauenbeauftragte des Kirchenkreises Köln-Rechtsrheinisch, Tel.: 0221 / 3382-234, Hecker@kirche-koeln.de

Text: Christina Schlarp
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