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„Ahle op Zack“: SeniorInnen mit geistiger Behinderung sind sehr aktiv

Zusammen mit fünf Senioren besuchen Teamleiterin Claudia Kühne und Heilpädagogin Cornelia Hake der Seniorentagesstätte Thomashaus ein Kölner Gartencenter. Gemeinsam wollen sie für den Garten der Einrichtung verschiedene Pflanzen kaufen und sie pünktlich zum Frühlingsbeginn einpflanzen. Im Gartencenter riechen die Senioren an Blumen und Kräutern, suchen farbenfrohe Primeln aus und genießen zum Abschluss im Gartencafé frische Waffeln mit Kakao und Kaffee. Es wird viel gelacht, laut diskutiert und geschmunzelt. ein tolles Ereignis, von dem sie noch tagelang erzählen werden. Vor 20 Jahren wäre solch ein Ausflug nicht möglich gewesen. Denn die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit geistiger Behinderung war damals sehr eingeschränkt.

Ein „weitgehend selbstständiges Leben“
Heinz Hennes ist 64 Jahre alt. Seit drei Jahren besucht er regelmäßig die Seniorentagesstätte auf dem Gelände der Diakonie Michaelshoven. Hier nimmt er an den verschiedenen Aktivitäten wie dem gemeinsamen Kochen, Basteln, Einkaufen oder an Ausflügen teil. Seit 2008 lebt er in seinem Apartment in Wesseling und erhält im betreuten Wohnen der Diakonie Michaelshoven die notwendige Unterstützung für ein weitgehend selbstständiges Leben. Der 64-Jährige hat ein bewegtes Leben hinter sich. Die Eltern wollten das „besondere“ Kind nicht haben. Es war die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, in der sich die Gesellschaft neu orientieren musste und in der Menschen mit einer geistigen Behinderung keinen Platz hatten. In ihrem sozialen Umfeld lösten sie Hilflosigkeit aus. „Ich hatte keine schöne Kindheit“, sagt Heinz Hennes. Seine Pflegeeltern waren schon älter, als sie sich seiner annahmen, und er lebte bis zum Tod seines Pflegevaters zu Hause. Da seine Pflegemutter sich dann zu alt fühlte, um sich alleine um ihn zu kümmern, kam er anschließend in verschiedenen Heimen unter. Mit dem Tod seiner Pflegemutter brach für ihn eine Welt zusammen. „Das war mir alles zu viel“, erinnert er sich.

Er „beschloss, sein Leben neu auszurichten“
1974 zog er schließlich in die Obdachlosenunterkunft in der Kölner Südstadt. „Ich habe 34 Jahre dort gewohnt“, sagt er. In dieser Phase fand er zunehmend Trost im Alkohol. Aber er lernte auch Freunde und Unterstützer in der Kölner Südstadt kennen. Wie zum Beispiel den Pastor der Severinskirche. „Wenn er nicht gewesen wäre, dann gäbe es mich nicht mehr“, sagt er. Heinz Hennes nahm an den Messen teil und fand im Glauben wieder Stärke. Er wurde Ministrant, und irgendwann fragte ihn der Pastor, ob er sich vorstellen könne, Besucherführungen durch die Severinskirche anzubieten. Er nahm diese Aufgabe gerne an. Heinz Hennes blieb aber weiter abhängig vom Alkohol und kam viele Male in verschiedene Krankenhäuser. Der Umbruch erfolgte erst mit dem Tod seiner Partnerin. „Meine Freundin verstarb 2007, das war ein richtiger Hammer für mich“, sagt Heinz Hennes. Er beschloss, mit dem Trinken aufzuhören und sein Leben neu auszurichten. Mitte 2008 zog er dann nach Wesseling. seine gesetzliche Betreuerin erzählte ihm von dem Angebot der Seniorentagesstätte. „Anfangs war ich sehr scheu, ich kannte ja niemanden“, erinnert er sich. Aber schnell fasste er dann Vertrauen zur Teamleitung und den anderen Teilnehmern.

Vielfältige Aktivitäten
Seit zehn Jahren besteht das Angebot der Seniorentagesstätte. Dort werden die Teilnehmer in ihren Fähigkeiten trainiert, man übt gemeinsam mit ihnen, den Alltag zu strukturieren, immer verbunden mit Freude, Spaß und Mitspracherecht. Die Betreuerinnen bieten den Besuchern jeden Tag von 9 bis 14 Uhr ein abwechslungsreiches Programm. An dem Angebot nehmen bis zu zwölf senioren im Alter von 50 bis über 70 Jahren teil. Sie kommen hauptsächlich aus den Wohngruppen der Diakonie Michaelshoven und leben dort schon seit vielen Jahrzehnten. Das Programm ist sehr vielfältig.

Ahle op Zack
Besonders beliebt ist das Angebot „Ahle op Zack“ (Alte Menschen unterwegs). Dabei besuchen die Senioren und Seniorinnen Museen, gehen ins Kino oder nehmen an den Führungen von Heinz Hennes teil. All diese Angebote werden nur zum Teil finanziell gefördert. Die beiden Betreuerinnen hoffen, dass sie dennoch weiter bestehen bleiben. Besonders wichtig ist stets die Einbindung der Senioren in die Aktivitäten. „Wenn wir zum Beispiel kochen, dann hat jeder eine Aufgabe, vom Schnibbeln der Zutaten über das Eindecken bis hin zum Abräumen des Tisches“, erzählt Cornelia Hake. Das fördere zum einen die Motorik und zum anderen seien die Teilnehmer stolz auf das gemeinsame Ergebnis. Die Senioren gehören zu der Generation von Menschen mit Behinderung, die einen Großteil des Lebens nicht selbstbestimmt leben konnten. Und sie wurden in ihrer Kindheit und Jugend, wie auch Heinz Hennes, lange Zeit nicht gefördert. Die Betreuerinnen erzählen von Markus H.*, der erst in der Seniorentagesstätte gelernt hat, eigenständig mit Gabel und Messer zu essen und sich ein Glas Wasser einzuschütten. Er ist Spastiker und hat eine geistige Einschränkung. „Markus H. hat bei seinen Eltern gewohnt, die ihn in seinen intellektuellen Fähigkeiten gefördert haben. Seine Grob- und Feinmotorik allerdings wurde nicht trainiert“, erzählt Cornelia Hake. Erst mit 50 Jahren konnte er seine neue Selbstständigkeit genießen.

Wunsch nach Anerkennung
Der Wunsch, dass Seniorinnen und Senioren mit und ohne Behinderung gemeinsame Freizeitaktivitäten unternehmen, ließ sich allerdings bisher noch nicht häufig realisieren. „Bei Besuchen von externen Seniorenveranstaltungen haben wir feststellen müssen, dass es oft noch Vorbehalte gegenüber unseren Seniorinnen und Senioren gab“, sagt Cornelia Hake, „und diese sind sehr sensibel und merken, ob ihr Gegenüber empathisch, ehrlich oder distanziert ist.“
Es gibt aber auch positive Erfahrungen, nämlich dort, wo man die Gruppe bereits kennt. „Gerade in Rodenkirchen, wo wir oft einkaufen, hatten wir früher mehr Schwierigkeiten. Die Menschen sind nun viel hilfsbereiter und lockerer im Umgang mit ihnen“, sagt Cornelia Hake. In Hinblick auf die Zukunft wünschen sich die beiden Betreuerinnen mehr ehrenamtliche Helfer. Bei Ausflügen oder auch beim Basteln in der Tagesstätte würde die ein oder andere helfende Hand gut tun. Zudem sollte der Kontakt zu Menschen außerhalb der Diakonie Michaelshoven verstärkt werden. Dies sei auch notwendig, um Berührungsängste in der Gesellschaft abzubauen. „Unsere Senioren dürfen nicht auf ihre geistige Behinderung reduziert werden“, sagen die beiden Betreuerinnen. Wer die Senioren kennenlernt, merkt schnell, wie humorvoll, liebenswürdig und voller Lebensfreude sie sind. „Sie haben es verdient, in ihrem hohen Alter die Anerkennung zu erhalten, die ihnen lange Zeit vorenthalten wurde,“ sagt Claudia Kühne. Im Frühsommer wird es eine große Jubiläumsfeier zum zehnjährigen Bestehen der Tagesstätte geben. Die soll bei schönem Wetter im Garten stattfinden. Die Seniorinnen und Senioren freuen sich jetzt schon auf das Fest und hoffen auf eine große Feier mit ganz vielen Gästen. Doch jetzt brechen sie erst mal Richtung Kölner Südstadt auf. „Kaffeetrinken und Flönz essen“, sagt Heinz Hennes mit einem zufriedenen Lächeln.

Text: Magazin
Foto(s): Magazin