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Zehn Jahre nach Unterzeichnung der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechfertigungslehre“: Manfred Kock und Karl Kardinal Lehmann im Gespräch

Zehn Jahre nach Unterzeichnung der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechfertigungslehre“ durch Vertreter des Lutherischen Weltbundes und der römisch-katholischen Kirche zogen Manfred Kock, Präses in Ruhe der Evangelischen Kirche im Rheinland und ehemals Ratsvorsitzender der EKD, sowie Karl Kardinal Lehmann, Erzbischof von Mainz und früher Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, in Köln eine Bilanz. Organisiert wurde diese ökumenische Begegnung von der Karl-Rahner-Akademie und der Melanchthon-Akademie des Evangelischen Kirchenverbands Köln und Region.

Übereinstimmung in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre
Lehmann erinnerte an die lange Vorgeschichte der Unterzeichnung. Gespräche habe es schon vorher gegeben, aber erst nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil hätte der Dialog Fahrt aufgenommen. „Es wurden Arbeitsgruppen zu den drei großen Themen Rechtfertigungslehre, Sakramente und Ämterverständnis eingerichtet. Die Gruppe zur Rechtfertigungslehre erzielte die größten Fortschritte, an deren Ende dann das unterschriftsreife Papier stand.“ Man habe Übereinstimmung in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre bekundet. „Nicht in den Grundwahrheiten, also nicht in allen, aber beide Seiten haben verbindlich zugesagt, dass Differenzen nicht den Konsens zerstören“, fuhr der Bischof fort.

Ein „differenzierter Konsens“ oder: „Ökumenetheologen“ am Werk
Lehmann räumte ein, dass die Rechtfertigungslehre kein geeignetes Thema für eine „Diskussion auf breiter Front“ sei. „Ökumenetheologen waren hier die Spezialisten. Die hat man arbeiten lassen. Vielleicht haben die es versäumt, die anderen mitzunehmen“. Manche hätten kritisiert, dass die Rechtfertigungslehre im Gemeindeleben doch keine Rolle spiele. „Das ist falsch“, so Lehmann: „Wo sonst, wenn nicht in der Taufe geschieht Rechtfertigung? Aber natürlich muss nicht jede Gemeinde den Text der Erklärung in ihrem ökumenischen Arbeitskreis durchkauen. Aber wir müssen bei dem Thema schon seriös bleiben, um zusammenzubringen, was zusammengehört.“
Schließlich habe man sich über das Thema Rechtfertigung jahrhundertelang gestritten. „Wir erleben hier einen differenzierten Konsens. Und ein Dialog ist immer zielgerichtet, da geht es nicht darum, nur miteinander zu schwätzen.“ Lehmann wertete es als großen Erfolg, dass unterschiedliche Auffassungen von Protestanten und Katholiken nicht länger Anlass von Lehrverurteilungen seien. „Die Themen, die uns trennen, sind keine kirchentrennenden Themen mehr. Es ist wie beim Bergsteigen. Am Anfang kommt man schnell voran, die letzte kleine Steilwand zum Gipfel ist sehr mühselig.“ Lehmann betrachtet den „differenzierten Konsens als Ermutigung und Nötigung, weiter zu arbeiten“. Der Kardinal warnte jedoch beide Seiten vor „Entfremdungen, die einen blind machen für die Befindlichkeit des anderen.“

„Hoher Abstraktionsgrad des Textes“
Manfred Kock erinnerte daran, dass mit der „Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ zum ersten Mal seit der Reformation eine gemeinsame Aussage zu dem Thema gelungen sei, das einst die Kirchentrennung verursacht habe. Kock teilte die positive Einschätzung Lehmanns, ging aber auch auf Kritik ein. „Da ist zum einen der hohe Abstraktionsgrad des Textes, der die Beschäftigung damit für viele schwierig macht. Und vielleicht hat mancher auch zu hohe Erwartungen daran geknüpft und sich gefragt, warum denn jetzt kein gemeinsames Abendmahl möglich ist.“

„Störungen“ von beiden Seiten
Darüber hinaus habe es von evangelischer wie von katholischer Seite „Störungen“ gegeben. Dass der Papst in einer Schrift der evangelischen Kirche das Kirche-Sein abgesprochen habe, „hat den Schwung des Miteinanders zumindest gehemmt“, so Kock. Und dass die Protestanten die Mitarbeit an der Einheitsübersetzung der Bibel verweigert hätten, sei auch nicht gerade hilfreich gewesen.

„Es geht nicht darum, dem anderen immer nur das eigene Profil zu erklären“
Für die Protestanten war auch die Ablasspraxis anlässlich des Heiligen Jahres und des Weltjugendtages schwer verständlich, fuhr der ehemalige Präses fort. Kock erteilte auch der „Ökumene der Profile“ eine Absage. „Da kommen wir nicht weiter. Es geht nicht darum, dem anderen immer nur das eigene Profil zu erklären.“
Der Konsens in etlichen Fragen schaffe nicht sofort die Einheit, sondern sei der Weg dahin. Und man dürfe nicht vergessen, dass die Kirche des Neuen Testaments ja auch keine uniforme Kirche gewesen sei.
In Sachen gemeinsames Abendmahl vertrat Kock eine eindeutige Meinung: „Warum verstehen wir unseren Gott nicht als einen, der uns auf dem Weg zur Einheit speist?“

„Was ist unser unverwechselbar Eigenes?“
Lehmann verwies noch auf einen anderen Punkt: „Man hat damals vieles erkannt, was uns nicht mehr trennt. Das wirft dann aber sofort eine Frage auf: Was sind wir dann noch? Was ist unser unverwechselbar Eigenes? Uns geht es wie Jugendlichen in der Pubertät. Die finden sich selbst, indem sie sich abgrenzen.“ „Was jetzt dran ist, sind Ungeduld und ein langer Atem“, entgegnete Kock. „Und wir sollten nicht vergessen, was wir erreicht haben und dafür von Herzen dankbar sein.“

Zum Nachlesen
Beide Original-Manuskripte Vorträge haben wir als pdf-Dateien ins Internet gestellt: Den Text von Karl Kardinal Lehmann können Sie hier nachlesen; den von Manfred Kock hier.

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Rahmann