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Wie geht es weiter mit der Obdachlosenstation Gulliver im Hauptbahnhof? Der Bedarf ist höher als gedacht, ein Hotel in Planung. Nur: Wer soll das bezahlen?!

Über 200 Gäste täglich zählt das Gulliver in der Kölner Trankgasse. Bei den Planungen für die 2001 eröffnete Überlebensstation für Obdachlose war man höchstens von der Hälfte ausgegangen. „Der enorme Zuspruch zeigt die Notwendigkeit unserer sozialdiakonischen Einrichtung“, betont Pfarrer Karl-Heinz Iffland. Der Ehrenfelder Pfarrer und Obdachlosenseelsorger des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region ist zugleich Vorsitzender des Kölner Arbeitslosenzentrum e.V. (KALZ). Und das aus einem Pilotprojekt des damaligen Sozialwerks im Evangelischen Stadtkirchenverband hervorgegangene KALZ ist wiederum Trägerin der Überlebensstation Gulliver im ersten Bahnbogen der Hohenzollernbrücke.


Rückgang von Spenden: „Alle Menschen erleben zur Zeit einen Einkommensverlust“
Zuletzt nahm Iffland stellvertretend einen Scheck über 3.000 Euro entgegen. Die Spende stammt von der Hilfsorganisation St. Martin e.V. Bereits im Vorjahr hatte der Verein mit Sitz in Bad Honnef dem KALZ einen vierstelligen Betrag für die Arbeit des Gulliver zur Verfügung gestellt. „Das Geld können wir sehr gut gebrauchen“, dankte Iffland. Denn: Insgesamt habe sich das Spendenaufkommen leider verringert. Der von Politikern und anderen gern festgestellte wirtschaftlicher Aufschwung sei unten noch nicht angekommen. Hinzu komme die Unsicherheit über die Entwicklung der gesetzlichen Renten. „Alle Menschen erleben zur Zeit ganz real einen Einkommensverlust. Sie spenden zwar auch weiterhin, aber nicht mehr in der Höhe wie vor Jahren. Großspenden bleiben immer mehr aus.“ Inhaltlich sei die Unterstützung ungebrochen, aber die Einführung des Euro habe ein Spenden-Wachstum schon im Keim erstickt. Zwar übernehme die Stadt Köln nach wie vor die Betriebskosten, das bedeutet: Miete und Energieverbrauch, für das Gulliver. Aber auch hier seien verstärkt Verhandlungen notwendig geworden: „Das KALZ muss allein zwanzig Prozent des Trägeranteils stemmen“, verdeutlicht Iffland die Größenordnung.

Zusätzlicher Geldbedarf: rund 60.000 Euro
Hinzu kommen dringend notwendige Instandsetzungen. So soll das Gulliver im nächsten Jahr eine neue Entlüftungsanlage erhalten. Die technische Modernisierung und damit verbundene ästhetische Eingriffe werden wohl rund 60.000 Euro verschlingen. „Die neue Anlage ist notwendig. Wir haben eine Sorgfaltspflicht nicht nur gegenüber unseren Gästen, sondern auch den Mitarbeitenden“, so Iffland. Momentan zählt das Gulliver 25 bis dreißig Arbeitskräfte aus der Obdachlosen-Szene, die von Sozialarbeiterin Stella Gerhardt und ihrem Kollegen Sebastian Ebert betreut werden. Zur „Mannschaft“ gehören stundenweise tätige „Tagelöhner“, „Ein-Euro-Jobber“ (für ein halbes Jahr), Mitarbeitende für ein Jahr mit gewisser Vertraglichkeit sowie, ebenfalls für ein Jahr, zwei Mitarbeitende in „Vorarbeiter“-Stellung.

Dem Gast freundlich und respektvoll begegnen
„Wir erleben, dass diese Menschen sich und ihr Leben durch ihre Tätigkeit bei uns stabilisieren können. Viele können wieder ein Konto eröffnen, und merken: ‚Ich kann nur verlässlich arbeiten, wenn ich eine Wohnung habe'“, sieht Iffland im Gulliver eine Art Sprungbrett und Motivationshilfe. „Jeder kann sich entscheiden: Will ich oder will ich nicht.“
„Das Beste ist für unsere Gäste gerade gut genug“, zeigt Iffland auf die leuchtend gelbe Wandfarbe, die im Sommer aufgetragen wurde. Dem Gast freundlich und respektvoll zu begegnen, dies gehöre zum selbstverständlichen Werte-Kanon des Gulliver. Wichtig sei, dass jeder mit Ruhe seinen Toilettegang erledigen könne. Dass man sich in einer angenehmen Atmosphäre duschen, waschen und rasieren könne. „Wir wollen unseren Gästen ermöglichen, ein Stück weit ihre Individualität zu pflegen. Wir versuchen, ein bisschen Menschenwürde herzustellen, eine Möglichkeit im Überleben zu bieten.“ Der nächste Schritt für die Betroffenen sei dann, zu überlegen: ‚wie kann ich die Situation verändern?, trotz Wohnungs- und Arbeitsverlust, trotz widriger Bedingungen.

Das geplante Hotel Gulliver
Weiteres (Spenden)Geld benötigt das KALZ für das im benachbarten Bahnbogen geplante Hotel Gulliver. Die Erfüllung dieses Traums rückt offenbar näher. „Ein erster konkreter Schritt ist getan“, verweist Iffland auf den im Gulliver-Erdgeschoss ausgehängten Entwurf des Architekten Jens Morsch. Der zeigt ein helles, freundliches Ambiente für die geplanten Innenräume. Darin sind für die Hotelgäste unter anderem Computer- und Internetplätze vorgesehen. Im Obergeschoss sollen zehn Einzel- und zwei Doppelzimmer eingerichtet werden. Mindestens auf der oberen Ebene sollen Überlebensstation und Hotel mit einem (derzeit vermauerten) Durchgang verbunden werden. Zur Finanzierung des Hotel-Projekts soll eine Stiftung begründet werden – eine Zu-Stiftung bei der Gemeinschaftsstiftung Diakonie im Evangelischen Kirchenverband Köln und Region. Die Höhe des Obolus´ für eine Übernachtung im Hotel Gulliver werde sich wohl nach der Höhe der jeweiligen Leistungsbezüge richten, deutet Iffland an. Genauere Überlegungen seien noch im Gange. „Aber klar ist, dass wir an eine faire Refinanzierung denken müssen.“
„Wir bewerben das Projekt jetzt stärker. Denn der Zeitdruck wächst“, so Iffland. Wenn die Baumaßnahmen rund um den Bahnhof, inklusive Nord-Süd-Trasse der U-Bahn, fertig seien, sei es nicht auszuschließen, dass die Bahn ihre Immobilie Bahnbogen anders, respektive „besser“ vermarkten wolle.

Wahrnehmen – überzeugen – begeistern
Um Fragen nach einer fairen Refinanzierung der Angebote geht es auch für die Überlebensstation Gulliver. „Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, für unsere Angebote einen kleinen Obolus zu erheben. Der Toilettengang ist selbstverständlich frei“, sagt Iffland. „Wir dürfen nicht an der Not der Menschen verdienen“, nennt er die niedrigen Preise für Getränke und Imbiss im Gulliver-Café. „Aber wir dürfen auch nicht drauf zahlen.“ Der Pfarrer schätzt, dass derzeit 2.500 bis 3.000 Obdachlose in Köln leben. Daher seien Einrichtungen wie das Gulliver oder das Lobby-Restaurant LoRe in der Domstraße – in dem es jeden Mittag ein Drei-Gänge-Menü gibt – unverzichtbar. Beide Einrichtungen sind in Trägerschaft des KALZ. Es brauche für an den Rand gedrängte Menschen Angebote wie diese. Solche Projekte seien aber darauf angewiesen, wahrgenommen zu werden, die Menschen zu überzeugen, vielleicht sogar zu begeistern, um Spendenmittel zu bekommen.

Wege, um Begeisterung zu wecken: Konzert mit den Höhnern oder Kunstausstellungen im Gulliver
Ein bisschen etwas von der notwendigen Begeisterung war bei den Veranstaltungen des Gulliver anlässlich des 31. Deutschen Evangelischen Kirchentages im Juni zu spüren. Etwa bei dem Gottesdienst mit der kölschen Musikgruppe „De Höhner“ und einer Ausstellung mit Skulpturen und Reliefs von Gynter Mödder. Beide haben laut Iffland große Resonanz erfahren.
Apropos Ausstellungen: Seit Eröffnung des Gulliver wird in dessen Café regelmäßig zumeist sozialkritische Kunst präsentiert. Wiederum kuratiert von Elvira Reith, trägt die aktuelle Schau den Titel „Dialoge und Zwiegespräche“. Sie vereint Arbeiten der vier Kunstschaffenden Juliane Groß, Johannes Jäger, Peter Pichler und Manfred Schneider. Zu sehen ist die Präsentation noch bis Montag 31. Januar 2008, zu den normalen Öffnungszeiten: werktags von 6 bis 13 Uhr und 15 bis 22 Uhr, am Wochenende und an Feiertagen von 10 bis 18 Uhr.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Broich