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‚Verneigung vor Gottes altem Clown‘ – Martin Buchholz hat 10 Jahre lang Hanns Dieter Hüsch begleitet und erinnerte in Kerpen mit einem ‚Rezi-Abend‘ an den Kabarettisten

In seinem Rezi-Konzert „Was macht, dass sich so fröhlich bin?“ lässt der Journalist und Künstler Martin Buchholz Zuhörerinnen und Zuhörer ganz tief in die Gedankenwelt von Hanns Dieter Hüsch blicken. Über zehn Jahre hat er Hüsch, den „Philosophen der kleinen Leute“ begleitet, Gespräche mit dem letzten Jahr verstorbenen Kabarettisten und Programmauszüge Hüschs in dem Buch „Was machen wir hinterher? Hanns Dieter Hüsch – Bekenntnisse eines Kabarettisten“ veröffentlicht. In fast zwei Stunden führt Buchholz die Besucherinnen und Besucher in der evangelischen Johanneskirche Kerpen so nah an Hüsch heran wie der Altmeister des literarischen Kabaretts selbst ganz nah bei seinen Zuhörern war.


Priester unter der Narrenkappe
Buchholz beginnt dort, womit das Leben Hüschs geendet hat: Mit dem Tod des Kabarettisten am 6. Dezember 2005: „Jetzt wird er seine himmlische Gardine zur Seite ziehen und schmunzelnd uns hier in Kerpen zusehen“, sagt der Fernsehjournalist und gibt dem Rezi-Konzert selbst die Überschrift „Verneigung vor Gottes altem Clown“. Doch dann springt er mitten ins Leben, in die produktivste Zeit Hüschs, vor fünfzehn Jahren, als der Kabarettist 65 Jahre alt war. „Er reiste immer noch herum, hat bis zu 200 Auftritte im Jahr.“ Was er all die Pläne mache, habe Buchholz ihn gefragt. Gott könne ihn doch jeden Tag von der Straße holen. „Und wenn das so ist“, habe Hüsch geantwortet. „Gottes Auge sieht meine Schwäche und Müdigkeit und lenkt mich mit Sanftmut nach Haus.“ Hüsch war ein Priester unter der Narrenkappe. Und mit dem Christentum spickt der religiöse Journalist Buchhholz – der einen Magister in Theologie hat –  sein Programm.

Kennzeichen: Philicorda-Orgel
Die Gleichheit der Menschen und den Respekt des Unvollendeten habe Hüsch vermittelt, der selbst von Geburt an gehbehindert war, stellt Buchholz fest. Die „Missbildung von Hüschs Füßen“, die mehrfachen Krankenhausaufenthalte mit „beiden Beinen in Gips“ seien aber auch der Grundstein für die Alleinunterhaltung gewesen und bewahrten ihn vor dem Wehrdienst. Die musische Seite des Kabarettisten, dessen musikalisches Kennzeichen eine Philicorda-Orgel war, komme vom Vater. „Meine Mutter wollte in die Natur, mein Vater wollte in die Oper“, zitierte Buchholz.
Die Karriereumwege des Poet-Kabarettisten („Seine Mutter wollte, dass er Arzt wird“) zeichnet Buchholz nach,  genauso wie das protestantische Elternhaus, die kleinbürgerlichen Verhältnisse in Hüschs Heimatstadt Moers, die ihn nie los ließen: „Alles, was ich bin, ist niederrheinisch – mein Fühlen, Denken, meine Musik“, sagte Hüsch.

„Wir haben Angst und müssen mutig sein“
Der Pianist Eberhard Rink untermalt in dem Rezi-Konzert die Zuversicht und die Hoffnung, mit der Hüsch seinen Weg als Kabarettist einschlug mit eigenen Gedanken und Kompositionen: „Mach‘, was du am besten kannst, verliere nicht den Mut.“ Manche Textstellen, die Buchholz liest, wirken wie ein Priester-Knigge: „Nie habe ich den Vers des Pastors verstanden“, habe Hüsch gesagt. „Und ich wusste, 80 Prozent haben ihn nie verstanden. Statt dessen hätte der Pastor doch mal über Menschen sprechen können, die es schwer haben. Das ist doch auch eine Aufgabe.“ Die Stücke Hüschs wechseln ab mit Gesangs- und Klavierstücken – mal heiter, mal nachdenklich, etwa: „Wir haben Angst und müssen mutig sein“.

Dabei strecken Buchholz und Rink immer wieder die Fühler zum Publikum aus. So wie Hüsch es über 53 Jahre auf deutschen Kabarettbühnen getan hat. Buchholz: „Er redete nie von oben herab und das mit einer Leichtigkeit, um die ihn manche Theologen und Pfarrer beneiden“, sagt Buchholz. Und damit landet Buchholz bei Hüschs Kirchenkritik: „Wie soll der Pastor den Menschen näher kommen, wenn er auf der Kanzel über ihren Köpfen schwebt? Warum sitzen wir nicht lieber im Kreis?“ Ganz nebenbei unterstreicht Buchholz auch Hüschs hervorragende Beobachtungsgabe und sein Gespür für das Menschliche. „Nicht menschlich“ habe es Hüsch gefunden, dass es in Kirchen keine Toiletten gäbe. „Es steht nirgendwo geschrieben ,Du sollst nicht müssen“, zitiert Buchholz und bringt dem Publikum mit passender Mimik und pointierter Gestik den mühsamen Gang durch Sakristei über Wendeltreppe, vorbei an Farbeimern zum Klo im Holzverschlag näher. Die Lacher hat er auf seiner Seite.

„Dem Menschen behutsam klarmachen, dass er sterben muss“
Beiläufig habe Hüsch einmal gesagt: „Was ich am Ende gemacht haben könnte, wäre, glaube ich, nichts anderes als der lebenslängliche Versuch, auf ganz unterhaltsame Weise dem Menschen behutsam klarzumachen, dass er sterben muss.“ Buchholz bleibt beim Tod, bei der genauen Beobachtungsgabe Hüschs von Beerdigungen im Niederrhein, hinreißend erkenntlich in dem Stück über Onkel Eberhards Beerdigung. Buchholz schafft es, den feinsinnigen Humor zu transportieren, Hüsch wieder lebendig zu machen, so dass die Zuschauer dabei sind in der Kirche bei der Beerdigung von „Onkel Eberhard“, seinen sechs Paar Schuhen, mehreren Anzügen und einem altem Eichentisch als Nachlass. Bei den Grabkränzen, „die ja nicht so doll waren“.

Das Geheimnis der Liebe
Buchholz bringt die Ehe zu Hüschs erster Frau Marianne zur Sprache und lässt auch die sechs Jahre in der Schweiz, in denen er Marianne verließ, nicht aus. 1979 kehrte Hüsch zurück. „Ob Marianne ihm die verlorenen Jahre verziehen hat, ob sie ihn mit offenen Armen empfangen hat – darüber hat er nie gesprochen“, erklärt Buchholz. Das solle seine Privatsache bleiben. Eine Hüsch-Weisheit ist daraus aber offenbar entstanden: „Die größte Kunst ist, wenn zwei Menschen miteinander den Versuch machen, gemeinsam alt zu werden.“ 1985 stirbt seine Frau. Von katholischen Ordensschwestern erhielt er damals den Vers „Das Geheimnis der Liebe ist größer als das Geheimnis des Todes.“ Das hat ihn wieder zur Kirche gebracht. Kurz darauf predigte er vor 20.000 Menschen auf dem Evangelischen Kirchentag in Düsseldorf.
Zum Schluss thematisiert Buchholz  Hüschs Abschiedsvorstellung, als der Kabarettist schon schwer an Krebs erkrankt war. Hier bringt Buchholz eigene Gedanken ins Spiel, lässt das Publikum spüren, welch enge Bindung er zu dem alten Mann aufgebaut hat: „Ich habe einen Kloß im Hals“, bekennt er.  „Zur menschlichen Würde gehört das Unvollendete. Ich bitte die Menschen, sich dies zu erhalten“, mit diesem Zitat verneigt er sich vor „Gottes altem Clown“ und überlässt ihm den letzten Satz als Antwort auf die Frage: „Was macht, dass ich so fröhlich bin?“: „Weil mich mein Gott das Lachen lehrt wohl über alle Welt.“

  

Text: Bianca Wilkens
Foto(s): Bianca Wilkens