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Renate Graffmann beendet Synodalbeauftragung für Roma und Sinti

Nach 25 Jahren als Pfarrerin in der Evangelischen Kirchengemeinde Bickendorf war Renate Graffmann im Jahr 2000 in den Ruhestand verabschiedet worden. Das von ihr bekleidete Amt der Synodalbeauftragten für Sinti und Roma führte sie damals weiter. Aus Altersgründen legte sie es im November auf der Kreissynode Köln-Nord nieder. Zu ihrer Nachfolgerin wählte die Kreissynode einstimmig Pfarrerin Gabriele Spieker.

„Ich habe mir das ganze Elend angeschaut“
„Ich bin sehr froh, dass Gabriele Spieker dieses Amt übernimmt“, so Graffmann, der die Synode für ihre langjähriges Engagement dankte. „Es ist ein Unikat, nicht nur innerhalb des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region, sondern bundesweit.“ Graffmanns Einsatz für Sinti und Roma nahm seinen Anfang im Winter 1986/1987. „Damals kamen viele 100 verelendete Roma vor allem aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Köln, auch auf ein Brachgelände am Butzweilerhof, das im Frühjahr 1987 völlig verschlammte. Der Butzweilerhof liegt im Bereich des Pfarrbezirks Bocklemünd, in dem ich amtierte. Ich bin also dorthin, habe mir das ganze Elend angeschaut.“ Die Stadt habe nichts unternommen, in der Hoffnung, dass die Menschen weiter ziehen. Weder seien Toiletten aufgestellt, noch Wasser- und Stromanschlüsse gelegt, noch eine medizinische Betreuung gewährleistet worden. „Auf privater Seite, von Ärzten, Juristen, Studierenden und vielen anderen Engagierten, gab es jedoch eine große Hilfsbereitschaft.“ Diese habe nicht zuletzt ein Artikel in einer Kölner Tageszeitung befördert, in dem für Hilfswillige zwecks Kontaktaufnahme auch Graffmanns Privatnummer veröffentlicht worden sei. Nicht alle Anrufe seien erfreulich gewesen, spricht die Theologin von einer Reihe anonymer Schmähungen.

Roma-Initiative gebildet
Aus dem Kreis der Engagierten bildete sich unter Federführung von Graffmann, Hartwig Beseler, Kurt Holl und Doris Schmitz schnell die Roma-Initiative Köln. „Uns war wichtig, dass wir mit den Betroffenen zusammen überlegen, was gut für sie ist, und nicht über sie hinweg.“ Bewusst habe man auch über die inzwischen eingestellte evangelische Wochenzeitung „Der Weg“ die Öffentlichkeit gesucht. In ihrer Gemeinde selbst habe sie großen Rückhalt für diese Arbeit erlebt. Hingegen seien von Anwohnenden und Medien Kampagnen inszeniert worden mit dem Ziel einer Kriminalisierung, „die rassistische Anfeindungen und Übergriffe provozierten“.

Durchsetzung des Bleiberechts
Aus der Roma-Initiative wiederum gründete sich 1988 der Rom e.V. Dem interkulturellen Verein für die Verständigung von Rom/Sinti und Nicht-Rom saß Graffmann von September 2001 bis 2007 vor. Seit 2008 fungiert sie, neben Holl und Günter Wallraff, als Beisitzerin. Von Beginn an habe sich der Rom e.V. nicht nur für menschenwürdige Lebensbedingungen für Sinti und Roma eingesetzt. „Uns geht es auch und insbesondere um die Durchsetzung des Bleiberechts“, so Graffmann, „eine unverändert aktuelle Aufgabe.“ Damals sei bald die Unterbringung in Wohnheime erfolgt. Nachdem die Betroffenen vom Gelände am Butzweilerhof zunächst auf eine Standfläche am Fühlinger See hätten umziehen müssen, seien sie mit Eröffnung des Badebetriebs ein weiteres Mal verlegt worden. Diesmal zum Schiffhof im Kölner Süden. Zur Begrüßung der neuen Nachbarn, erinnert Graffmann, habe etwa der katholische Pfarrer Johannes Krautkrämer die kirchliche und zivile Gemeinde in Zollstock zu einem Spaziergang zu den Bewohnenden des Schiffhofes eingeladen. „Jeder brachte etwas zu essen mit.“

Beschmipfungen ausgehalten
Überhaupt sei die Unterstützung in all den Jahren vielfältig gewesen. Beispielsweise hätten sich (Grund)Schulen engagiert, Geld gesammelt und Briefe oder Geschenkpäckchen zu Weihnachten an die Flüchtlinge adressiert. Oder Menschen hätten in einer Presseanzeige öffentlich bekannt: „Wir werden Roma verstecken und sagen auch warum“. „Das und vieles mehr zählt zu den positiven Erlebnissen. Deshalb konnte man die Beschimpfungen aushalten“, betont Graffmann. Diese hätten sich noch einmal verstärkt um 2000. Damals hätten „hunderte Kriegsflüchtlinge aus dem Kosovo Zuflucht in unserer Stadt“ gesucht. „Die meisten waren Roma. Oft traumatisiert von dem Erlebten, entwürdigt und geschunden an Leib und Seele. Gedemütigt und entrechtet.“ Dann sei in einer Tageszeitung von Kölner „Klaukids“ die Rede gewesen. Eine Kriminalisierung, die auch als Thema eines Persiflagewagens im Rosenmontagszug 2005 hätte übernommen werden sollen: „Flinke Finger immer jünger“. Nach dem Protest des Rom. e.V., von Hedwig Neven DuMont, des Kölner Netzwerkes „Kein Mensch ist illegal“ und des Katholikenausschuss‘ unter Vorsitz von Hannelore Bartscherer sei der Wagen kurzfristig umgestaltet worden.

Vorbereitung auf Regelschule
Als einen Meilenstein bezeichnet Graffmann das 2004 eröffnete Schul- und Integrationsprojekt „Amaro Kher“ des Rom e.V. am Venloer Wall. Derzeit würden dort 40 Roma-Kinder im Alter von 6 bis 13 Jahren auf ihren Besuch von Regelschulen vorbereitet. „Als die Kinder mit Bussen an ihren Flüchtlingsheimen abgeholt wurden, wollten die kleinen Geschwister mit“, erzählt Graffmann. „So haben wir im Dezember 2006 auch eine Vorschule eingerichtet. In der Kindertagestätte werden rund 20 Kinder im Alter von zwei bis sechs Jahren betreut.“ Die nachmittäglichen Förderkurse- und Freizeitangebote dienten auch dazu, „die psychische Widerstandsfähigkeit der Flüchtlingskinder zu stärken“. Als besonders hilfreich würden sich regelmäßige Unterrichtsprojekte mit Kooperationsschulen erweisen.

Mitarbeit durch Kochen
Graffmann unterstreicht die wertvolle Mitarbeit mehrerer Roma-Frauen und -Männer, darunter erwachsene Kinder von jugoslawischen Gastarbeitern. „Sie haben bei ‚Amaro Kher‘ Arbeit gefunden. Beispielsweise kochen die einen, die anderen fahren die Schulbusse.“ Alle legten großen Wert darauf, dass die Kultur der Sinti und Roma gelebt werde. Dies äußere sich auch im gemeinsam eingenommenen Frühstück und Mittagessen der Schülerinnen, Schüler und Kindergarten-Besuchenden. Zugleich sei „Amaro Kher“ (auf Romanes „Unser Haus“) konzipiert als Bildungs- und Kulturzentrum, als Ort interkultureller Begegnung. Dort würden unter anderem Alphabetisierungs- und Deutschkurse für Erwachsene angeboten, Romanes-Sprachkurse für Roma und Nichtroma. Außerdem: Literatur-, Musik- und Informationsveranstaltungen sowie Feste.

Große Hilfe durch „wir helfen“
Mit Dank blickt Graffmann auf Unterstützende in der Kölner Verwaltung und Politik, die dem Rom e.V. bei der Planung des Projekts gegen Bedenkenträger zur Seite gesprungen sind. Sie betont die große Hilfe des Fördervereins und von „wir helfen“, dem Unterstützungsverein des M. DuMont Schauberg e.V., der von Hedwig Neven DuMont gegründet worden ist und geleitet wird. Auch die Evangelische Kirche setze sich ideell und finanziell für „Amaro Kher“ ein. So sei ein Teil der Kollekten aus den Feierabendmahlsgottesdiensten auf dem Evangelischen Kirchentag 2007 in Köln für das Projekt bestimmt gewesen. „Dafür hatte sich der damalige Stadtsuperintendent Ernst Fey stark gemacht.“ Ebenso sei die Diakoniespende 2009/10 des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region an „Amaro Kher“ geflossen. Hinzu kämen etwa die Besuche von Präses Nikolaus Schneider im März 2007 oder von Kirchenrat Rafael Nikodemus im April 2011. Ebenso das Engagement des Runden Tisches für Flüchtlingsfragen.

Kampf um Errichtung eines Denkmals
In ihrer Eigenschaft als Synodalbeauftragte sowie als Vorstandsmitglied des Rom e.V. war Graffmann im letzten Oktober in Berlin eingeladen zur Einweihung des Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas. Sie spricht von einer bewegenden Feier. Sehr beeindruckt zeigte sich Graffmann von der Ansprache des Sinti und Auschwitz-Überlebenden Zoni Weisz. Auch der Rom e.V. habe jahrelang um die Errichtung dieses Denkmals gekämpft. Entworfen hat es Dani Karavan. Es befindet sich zwischen Reichstag und Brandenburger Tor, auf einer Lichtung im Tiergarten. Der israelische Künstler hat zentral ein rundes Wasserbecken angelegt. Dessen Schwärze soll, so Karavan, wirken wie eine „tiefe schwarze Grube“.

Merkel: „Spiegel unendlicher Trauer“
Laut Kanzlerin Angela Merkel hält es uns einen „Spiegel unendlicher Trauer“ vor. Für Karavan ist es „ein Ort innerer Anteilnahme, ein Ort, den Schmerz zu fühlen, sich zu erinnern und die Vernichtung der Sinti und Roma durch das nationalsozialistische Regime niemals in Vergessenheit geraten zu lassen“. Die Fertigstellung des Denkmals erfolgte gemeinsam mit dem in Köln und Berlin vertretenen Architekturbüro Busmann + Haberer. Mit Peter Busmann und Godfrid Haberer, den Architekten des Museums Ludwig und der Philharmonie in Köln, hatte Karavan bereits bei seinem Environment „Ma´alot“ innerhalb der „Freianlagen des Dom-Rhein-Projektes“ zusammengearbeitet. „Insgesamt hat es über 20 Jahre bis zur Realisierung des Denkmals in Berlin gedauert“, stellt Graffmann fest.

Weiter gegen Diskriminierung vorgehen
„Fast täglich wird bundesweit und eben auch im Kölner Bereich in den Medien von Flüchtlingen aus Serbien und Mazedonien, die größtenteils Roma sind, berichtet“, stellt Graffmann fest. „Und dies in erschreckend abwehrender und oft diskriminierender Weise.“ Gegen diese Ausgrenzung und Herabsetzung will sie weiter vorgehen. In Köln lebten rund 5.000 Roma- und Sinti-Flüchtlinge als Geduldete, am Rande des sozialen Gesellschaftsgefüges, mit der ständigen Angst vor Abschiebung, fordert sie eine am Wohl der Menschen orientierte, längst fällige politische Entscheidung, Maßnahmen und Integration „Es besteht so lange eine große Verunsicherung und prägt die Menschen, bis ein Bleiberecht mindestens der ‚Altfälle‘ geregelt ist“, benennt Graffmann die Dringlichkeit.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich