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Pfarrer Dietrich Grütjen, fast 30 Jahre Seelsorger an den Rheinischen Landeskliniken in Köln, wurde in den Ruhestand verabschiedet

Ein hermesgleicher Engel, der über die Flure huscht. Beschirmt und beschienen von himmlischem Glanz, schenkt er seine Aufmerksamkeit einem einzelnen am Boden liegenden Herz: So hat einst ein Patient Pfarrer Dietrich Grütjen dargestellt. Die Zeichnung war gedacht als ein Dankeschön für den langjährigen Psychiatrieseelsorger. Nun schmückte das Motiv die Gottesdienst-Ordnung seiner Verabschiedung in den Ruhestand. In der Kapelle der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Köln-Merheim, die zu den Rheinischen Landesklinken Köln des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) gehört, wurde Grütjen kurz vor seinem 63. Geburtstag durch Andrea Vogel, Superintendentin des Kirchenkreises Köln-Rechtsrheinisch, entpflichtet.

„Mein Dasein als Gemeindepfarrer war ein unglückliches“
In einen Duisburger Pfarrhaushalt hinein geboren, wuchs Grütjen seit seinem zweiten Lebensjahr im Westerwald auf. „Identifikation und Auseinandersetzung mit dem väterlichen Erbe waren mir in die Wiege gelegt.“ Folgerichtig schloss sich nach dem Abitur ein Theologiestudium an, in Bonn und Heidelberg. Danach bekleidete er die Hilfspredigerstelle in Oberhausen-Sterkrade. 1974 wechselte Grütjen nach Köln, wurde Pfarrer in der Evangelischen Kirchengemeinde Mülheim am Rhein. „Die Theologen der 68er-Generation dachten, sie bringen die neue Kirche auf den Weg.“ Aber auch Grütjen musste rasch feststellen, dass vieles ideologisch aufgesetzt war und sich nicht mit den Anforderungen der alltäglichen Gemeindearbeit deckte. „Mein Dasein als Gemeindepfarrer war ein unglückliches“, blickt Grütjen zurück. „Für mich erschien dieses Amt zu dieser Zeit einfach unpassend.“ Gefragt war also eine Alternative. Grütjen fand sie in der Psychiatrie. „Ich habe mir gesagt, das kannst du.“ Seine Überzeugung rührte unter anderem von Erfahrungen mit psychisch Kranken in der eigenen Familie und der Familie seiner Gattin her. „Ich habe früh gelernt, mit diesem Thema umzugehen. Angst, wie sie viele haben, hatte ich davor nicht.“ Seine Bewerbung verlief erfolgreich. Seit dem 1. Februar 1981 amtierte Grütjen als Pfarrer für Krankenhausseelsorge im Evangelischen Stadtkirchenverband Köln (heute Evangelischer Kirchenverband Köln und Region) mit Auftrag Psychiatrie in Köln-Merheim. Seine Entscheidung hat er nie bereut.

„Die Qualität eines Pfarrers erkennt man an seinen Schuhsohlen“
Fast 30 Jahre lang war Grütjen Ansprechpartner für die Patienten in den Häusern und auf den Stationen des Merheimer Klinikgeländes. „Die Menschen aufsuchen, sich ansprechbar machen, war ein elementarer Teil meiner Arbeit“, zitiert er den „Oberkirchenratspruch“: „Die Qualität eines Pfarrers erkennt man an seinen Schuhsohlen.“ Ebenso war Grütjen zuständig für die Psychiatriepatienten in den Tageskliniken und ambulanten Behandlungsangeboten, die die Rheinischen Kliniken des LVR seit einigen Jahren auch in Kölner Stadtteilen unterhalten. Drittens war er Seelsorger auch für entlassene Patienten. „Zunächst vollzog sich deren Begleitung in Gruppen in verschiedenen Kirchengemeinden.“ Als Synodalbeauftragter im Kirchenkreis Köln-Rechtsrheinisch für „Psychisch Kranke in unseren Gemeinden“ konnte Grütjen dort Ehrenamtliche als „Brückenbauer“ für eine Mitarbeit gewinnen. „In den ersten 15 Jahren klappte das gut, haben wir Gottesdienste und Veranstaltungen mit Fachleuten durchgeführt. Aber mit dem Ausscheiden vieler Ehrenamtlicher hat sich das in den letzten Jahren etwas verlaufen.“

Bundesweit einmaliges Konzept für ökumenische Krankenhausseelsorge
Auch im Stadtteil Merheim ist die Klinikseelsorge ein ökumenisches Angebot. So kooperierte Grütjen nicht nur sehr eng mit dem evangelischen Seelsorger am Porzer Alexianer-Krankenhaus, sondern ebenfalls mit den katholischen Seelsorgern und Seelsorgerinnen an der Psychiatrie-Klinik. „Die Zusammenarbeit war ganz hervorragend“, schwärmt Grütjen. Diese Einschätzung muss auf Gegenseitigkeit beruhen. Denn als die katholischen Klinikseelsorger der Rheinischen Landeskliniken Köln ein noch heute bundesweit einmaliges Konzept für einen seelsorgerischen, ökumenisch orientierten Ort für psychisch kranke Menschen außerhalb der Klinik entwickelten, war Grütjen von Beginn an mit in die Planung eingebunden. Im April 1999 wurde das Zentrum für „Seelsorge & Begegnung für psychiatrieerfahrene Menschen“ im Paulushaus in der Südstadt eröffnet. Es befindet sich in Trägerschaft des Erzbistums Köln. Für die Betroffenen bereichert es die bestehende Versorgungslandschaft um die „religiöse, spirituelle Dimension“. Bis zuletzt hat Grütjen dort mitgearbeitet, dabei eine hohe Wertschätzung erfahren. Nicht von ungefähr bezeichnet er sein vielfältiges Engagement im Rahmen des „Paulushauses“ als einen der absoluten Höhepunkte seiner Berufstätigkeit.

Anzünden von Kerzen hilft psychisch Kranken
Als Grütjen in Merheim anfing, gab es dort keinen eigenen Andachtsraum. „Wir haben zunächst ambulant Gottesdienst in Gruppenräumen gehalten, durften später einen Raum als Kapelle einrichten.“ Erst vor einigen Jahren, mit dem Bau des Sozialzentrums auf dem Gelände, wo auch die Krankenhausseelsorger ihre Dienstzimmer bezogen, wurde ein zunächst anderweitig verplanter Raum direkt zu einer Kapelle gestaltet. Dort findet einmal wöchentlich Gottesdienst statt. Abwechselnd katholisch und evangelisch. „Insbesondere dient die Kapelle aber zwei großen Bedürfnissen“, sagt Grütjen. „Zum Anzünden von Opferkerzen und zum Eintrag in das ausliegende Fürbittenbuch. Die Menschen schreiben zahlreich ihre Wünsche und Bitten da hinein. Sie wissen, diese werden gelesen und das eine und andere wird im Gottesdienst zum Gebet gemacht.“ Wie wichtig es für einen psychisch Kranken sein kann, in einem Gotteshaus eine Kerze anzuzünden, erfuhr Grütjen von einem Patienten, der ihn um Begleitung gebeten hatte. „Als ihm alles wegblieb, auch das Marien-Gebet, konnte er mit dem Anzünden einer Kerze etwas in sich aufrufen, das für ihn Hoffnung transportierte. Wenn das für Menschen so elementare, hilfreiche Zeichen sind, sollten wir aufhören sie ideologisch abzuwerten. Darin sehe ich ein großes Manko unserer evangelischen Tradition.“

Symbole im Gottesdienst sind elementarer als Gedanken
Überhaupt habe ihn die Arbeit mit den psychisch Kranken sowie die enge Kooperation mit den katholischen Krankenhausseelsorgern und -seelsorgerinnen zu einer intensiven Beschäftigung mit der eigenen Tradition und mit anderen Traditionen geführt. Eine der Folgen: „Im Gottesdienst mit den Patienten trage ich seit mindestens 20 Jahren nicht mehr den schwarzen Talar, sondern die weiße Albe.“ Dieser Wechsel zu einer „strahlenden, österlichen“ Farbgebung ging bei Grütjen einher mit anderen symbolischen Handlungen. „Diese sind für kognitiv und verbal eingeschränkte Menschen von enormer Bedeutung. So habe ich mit Farben, mit dem Geruch von Weihrauch und der Verwendung von Salböl versucht, den Gottesdienst sinnlich erfahrbar zu gestalten. Auch habe ich ganz wenige Gottesdienste ohne Abendmahl gehalten. Symbole sind für Menschen, die am Ende des Gottesdienstes schon vergessen haben, was ich gesagt habe, viel elementarer als die Gedanken, die ich in die Welt setze.“ Er habe von Psychiatrie-Patienten gelernt, „dass es nicht ausreicht, was ich früher gemacht habe“. So sei er das geworden, „was man einen ´hochkirchlichen Liturgiker´ nennt. Alle diese Elemente machen das, was ich weitergeben will, erlebbar.“

Ein Klinikseelsorger hat keinen Stundenplan
„Wieder neu die Balance finden“, spricht Grütjen über die Herausforderungen seines früheren Amtes. „Etwa klären, wie man mit Ekstasen, Jesus-Visionen und Erleuchtungen umgeht, Phänomene, die dem ´Otto-Normalpfarrer´ selten begegnen. Das hat mich in eine Suchbewegung gebracht, ein Stück weggeführt von der Normalität verfasster Kirche.“ Zudem habe der Klinikseelsorger keinen Stundenplan. „Wir sind die einzigen im Haus, die quasi außerhalb der Systemkontrolle der Klinik arbeiten. Das macht einen hier zwar zum ´Außenseiter´. Zugleich ist die Freiheit, keinen unserer Schritte, kein Gespräch dokumentieren zu müssen, einfach wunderbar. Die Wertschätzung innerhalb der Mitarbeiterschaft steht und fällt mit der persönlichen Beziehung. Dem einen ist egal, was wir tun, andere erkennen die Arbeit an, weil sie gute Erfahrungen damit gemacht haben.“

Wo ist das Blümchen auf Deinem Weg, wo die Sonne?
Die zentrale Aufgabe des Seelsorgers sei und bleibe das Zugehen auf die Menschen. Dabei sei es nicht selten schwierig zu entscheiden, ob der eine Psychiatriepatient zusätzliche Aufmerksamkeit benötige, die andere Patientin sich schon von einer Gesprächsanfrage „bedrängt“ fühle. Durchaus habe es in seinem langen Berufsleben Krisen-Phasen gegeben. „Da dachte ich, das Pferd ist tot, du musst es wechseln. Dann galt es, sich neu zu positionieren, um die Kraft zu finden, anders hier hin zu gehen.“ Anfangs empfand sich Grütjen als Psychotherapeut. „Mit den Jahren bin ich viel mehr zum Seelsorger und Priester geworden.“ Habe er das archaische Bedürfnis der Patienten nach einem beschützenden Vater erfahren. Ebenso die Notwendigkeit professioneller Distanz erkannt. „Seelsorge an diesem Ort bedeutet nicht, das jeweilige psychische Problem zu thematisieren, sondern den Patienten zu fragen: ´Wo ist das Blümchen auf Deinem Weg, wo die Sonne? Schau mal!´“ Man müsse auf das Milieu eingehen. „Ich habe im Laufe der Jahre akzeptieren können, dass meine Rolle hier eine priesterliche ist, meine Aufgabe zu hören und zu segnen.“

Und wie geht es weiter?
Und zukünftig? Grütjen hofft auf ein Weiterbestehen der vor fünf Jahren vom damals neuen und nun nach Berlin verabschiedeten CityKirchenpfarrer Dr. Bertold Höcker gegründeten Ökumenischen Choralschola an der Antoniterkirche. Dort möchte er weiterhin seiner Leidenschaft für den gregorianischen Gesang frönen. Fortsetzen will er auch seine Beschäftigung mit der evangelischen Geschichte Mülheims. Zunächst in seiner Tätigkeit als Stadtführer der AntoniterCityTours. In deren Rahmen bietet er unter anderem Führungen über den alten evangelischen Friedhof an sowie spirituelle Rundgänge vom evangelischen Gottesacker zum jüdischen Friedhof in Köln-Mülheim (nächster Termin: 18. Oktober, 14 Uhr, Treffpunkt: Bergisch Gladbacher Straße 86). Zudem ist Grütjen eingebunden in (Buch)-Projekte, die die Evangelische Kirchengemeinde Mülheim am Rhein anlässlich ihres 400-jährigen Bestehens in 2010 vorbereitet. Ebenfalls präsentiert werden soll im nächsten Monat ein zweites Buch mit Grütjen als Mitautor. Es erscheint im Eigenverlag der Evangelischen Kirchengemeinde Mülheim und behandelt den alten evangelischen Friedhof in Mülheim.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich