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Mörike-Festival in Bergisch Gladbach endete mit außergewöhnlicher Darbietung und sehr viel Applaus

Stehende Ovationen in der Gnadenkirche: Das hatte Pfarrer Thomas Werner in seiner über zehnjährigen Amtszeit noch nicht erlebt. Weder nach einer Predigt noch nach einer Veranstaltung. Der Abend, der dies der fast 230 Jahre alten Bergisch Gladbacher Kirche bescherte, hatte beides verknüpft: Verwoben mit der Investiturrede, die der Pfarrer und Dichter Eduard Mörike als 28-Jähriger in Cleversulzbach bei Stuttgart 1834 auf der Kanzel gehalten hatte, erlebten die Zuhörer und -schauer eine außergewöhnliche pantomimische und schauspielerische Darbietung. Sie setzte Werk und Wesen Mörikes poetisch, aber auch provozierend in Szene. „ffflaumenleicht – Eduard Mörike nicht nur für Kenner“ war fulminanter Schlusspunkt des dreitägigen Mörike-Festivals im Rahmen des Mörike-Zyklus, der anlässlich des 200. Geburtstags des Schwabens seit März in der Gemeinde immer wieder Glanzlichter gesetzt hatte. 

Schirmherr Nikolaus Schneider fuhr beseelt nach Düsseldorf  zurück
Schon der Freitagabend hatte hochkarätig in das Festival eingestimmt, als der Bergisch Gladbacher Professor Dr. Günter Höller auf einer hölzernen Original-Mörike-Querflöte spielte. Über ihre Entdeckung, spannend wie ein Krimi, erzählte ihr heutiger Eigentümer Dr. Walter Dürr. Es ist die einzige noch spielbare 4-Klappen-Tromlitz-Flöte, und was das Publikum zu hören bekam, war ein Weltklassekonzert – begleitet vom Fortepiano. Auch der Schirmherr des Festivals, Präses Nikolaus Schneider, genoss den Ohrenschmaus sichtlich und fuhr beseelt gen Düsseldorf zurück.

Der folgende Tag hatte Gemeindefest-Charakter, gab es doch rund um die Kirche Typisches aus der Biedermeierzeit: Biedermeier-Sträußchen, von der Kita Quirl vorgetragene Lieder aus der Mörike-Zeit und ebenfalls aus dieser Epoche stammende Musik, ausgeführt vom Ensemble Flötissimo. Liebevoll wurde der Gemeindesaal ins Café Mörike verwandelt, in dem mit Röschen dekorierte Törtchen und deftige Schmalzbrote lockten und Biedermeier-Möbel zeitgenössische Atmosphäre verströmten. Abends gestaltete Schauspielerin Kristina Walter mit Kollegen einen Mix, der Gedichte von Mörike und dazu passende Lieder bot.

Werner alias Mörike: teuflisch, poetisch und provokant
Das überraschende I-Tüpfelchen des Festivals war die Performance am Sonntagnachmittag, für die Pfarrer Thomas Werner wagemutig in die Rolle Mörikes schlüpfte und dabei doch ganz er selbst blieb. Am Kanzelpult trug er den Original-Text der Cleversulzbach-Rede vor – leicht sprachlich entwirrt und geglättet. Sie war der tragende Faden dieser Uraufführung, an ihre Inhalte knüpften die Aktionen der beiden Bergisch Gladbacher Mimen an. Vladimira Plagens, Pantomimin, Dramaturgin und Regisseurin, hatte mit Christine Hofmann, Fachfrau in Bewegung, Musik und Tanz, eine überraschende, ausdrucksstarke und ideenreiche Choreographie mit sparsamen Texten entwickelt. Minimale Requisiten unterstrichen die Szenen und signalisierten Rollenwechsel. Christine Hofmann war mal Mutter Mörikes, mal Schwester oder Peregrina, die geheimnisvolle Landstreicher-Geliebte. Vladimira Plagens verkörperte den Bruder, das zweite Ich und teuflische Impulse. Poetisch war es, als Mörike alias Werner „Frühling, lässt sein blaues Band“ deklamierte und sich tatsächlich ein blaues Gazeband von seiner Brust durch den Kirchenraum zu spannen begann. Bezaubernd war es, als Pfarrerstocher Charlotte strahlend ein Gedicht vortrug, und Gänsehaut-machend war es, als sich vorm Altar ein markerschütterndes „Oh Gott!“ der Frauenkehle entrang.

„Eine Sternstunde unserer Kirche“
Die innere Zerrissenheit Mörikes, der mit 39 Jahren aus Krankheitsgründen in Pension gegangen war, wurde aber vor allem durch provokante Elemente deutlich. So genossen die Frauen auf den Altarstufen ein Gelage-Picknick mit Trauben und Wein, ließ sich die eine mal beinewippend auf dem Kanzelpult nieder oder bäuchlings durch die Kirche schleifen, während die andere eine Wurst durch den Raum schleuderte oder erotisch mit langen roten Handschuhen kokettierte. Dass sie diese auf Rechnung der Evangelischen Kirche gekauft habe, hätte die Dame im Geschäft doch etwas verwundert, erzählte Vladimira Plagens etwas später schmunzelnd nebenan in der Kirchenkneipe in geselliger Runde, wo sich gerade der Leiter des kircheneigenen Q1 Jugend-Kulturzentrums mit seiner Peter Nonn Bluesband in die Herzen spielte. Zu diesem Zeitpunkt war die Performance vorbei. Die Besucher nahmen nach ihrem frenetischen Applaus nicht nur emotionsgeladene Eindrücke, sondern auch Mörike-Gedichte mit nach Hause, die Kirchenmusikerin Susanne Rohland-Stahlke nach ihren Orgel-Einlagen (schließlich musste das Publikum auch zwei Lieder anstimmen) auf Zettelchen verteilt hatte. „Das war eine Sternstunde unserer Kirche“, drückte ein Gemeindemitglied mit leuchtenden Augen das aus, was wohl die meisten dachten. Viele fragten nach einer Wiederholung.

Tipp
Noch viel, viel mehr Fotos von der Performance hier.

Text: Ute Glaser
Foto(s): Ute Glaser