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„Menschlichkeit und Zivilcourage“ – Peter-Alexander Gottschalk organisierte zum ersten Mal die jährliche Gedenkfeier an der Kinder-Gedenkstätte Löwenbrunnen

An der Kinder-Gedenkstätte Löwenbrunnen auf dem Erich-Klibansky-Platz in Köln, dem ehemaligen Standort unter anderem einer Synagoge und des jüdischen Reformrealgymnasiums Jawne, veranstalteten der Evangelische Kirchenverband Köln und Region, das Katholische Stadtdekanat Köln und die Synagogen-Gemeinde Köln in Verbindung mit dem Arbeitskreis „Jawne“ erneut eine Gedenkfeier. Dort gedachten in diesem Jahr „so viele Menschen wie noch nie“, darunter etliche Schüler, der über 1100 jüdischen Kinder und Jugendlichen aus Köln und Umgebung, die zwischen 1938 und 1945 von Köln aus deportiert und ermordet wurden. Ihre Namen sind auf den in den Brunnen eingelassenen Bronzetafeln zu lesen. „Wir gedenken auch derer mit Menschlichkeit und Zivilcourage, der Retter und Helfer der Verfolgten – wie Dr. Erich Klibansky, dem letzten Direktor der Jawne -, die letztlich selbst umgebracht wurden“, sagte Dr. Peter-Alexander Gottschalk.



Notwendigkeit des Erinnerns
In seiner Funktion als Synodalbeauftragter für das christlich-jüdische Gespräch im Kirchenkreis Köln-Rechtsrheinisch hatte Gottschalk die unter anderem mit einem Zeitzeugenbericht, Musikbeiträgen und Gebeten versehene Veranstaltung erstmals federführend organisiert. Gottschalk erinnerte zudem an das Versagen und die Mitschuld unserer christlichen Kirchen. Auch an das Ehepaar Irene und Dieter Corbach – seine Vorgänger im Amt der Synodalbeauftragung für das christlich-jüdische Gespräch – , „ohne die wir diese Gedenkstätte nicht hätten“, erinnerte er. Stadtsuperintendent Ernst Fey sagte, auch dieser Ort zeige, „wie die unglaubliche Vernichtungsmaschinerie gegen die jüdischen Menschen im NS-Regime vonstatten ging“. Auch angesichts aktueller Beispiele von Antisemitismus sprach er von der „Notwendigkeit des Erinnerns“. Davon, dass wir junge Menschen brauchen, „die heute sagen: Das wird nie wieder geschehen, dafür stehen wir ein“. Wie Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes forderte Fey, gegen Diskriminierung und für Toleranz einzutreten. „Wir haben gelernt, zusammen zu sterben. Ich hoffe, dass wir auch lernen, zusammen zu leben“, sagte Rabbiner Netanel Teitelbaum.

Peter-Alexander Gottschalk
ist seit November 2005 Synodalbeauftragter für das christlich-jüdische Gespräch im Kirchenkreis Köln-Rechtsrheinisch. Damals trat er die Nachfolge der verstorbenen Irene Corbach an. „Ich bin in diese Funktion reingerutscht“, erklärt der 63-Jährige. Doch die Wahl fiel nicht von ungefähr auf ihn. Nach seiner Promotion auf dem Gebiet der Kernphysik an der Universität Marburg verbrachte er von 1974 ein Jahr als Gastwissenschaftler am Weizmann Institut of Science im israelischen Rehovot. Dort wuchs auch sein Interesse am Judentum, am Land Israel. Er beschäftigte sich mit dessen Geschichte und Politik, dem Alten Testament und Archäologie. Später wirkte Gottschalk mit an den Beschlüssen und an der in dem geänderten Grundartikel der Kirchenordnung der Evangelischen Kirche im Rheinland dokumentierten und begonnenen Umkehr zur Erneuerung im Verhältnis zum jüdischen Volk. Er ist Mitglied des regionalen Internsynodalen Arbeitskreises Christen und Juden (ISAK), dem er von 2000 bis 2003 vorsaß. In ihm treffen sich einmal monatlich Vertreter der vier Kölner Kirchenkreise sowie der Kirchenkreise Aachen, Bad Godesberg, Bonn, Jülich, Lennep und Leverkusen.
Der gebürtige Dresdner betont, dass das Interesse der Christen für das Judentum nicht bloß eine historische oder archäologische Grundlage habe, sondern eine heilsgeschichtliche Bedeutung. Die Heils- und Bundeszusage Gottes an das Volk Israel sei unwiderruflich und gelte auch heute. „In einer Zeit zunehmender religiöser Beliebigkeit, einer Hinwendung und des Interesses auch von Christen zum Gedankengut fernöstlicher Religionen, zu esoterischen Strömungen und zu antisemitischen Bewegungen Afrikas und Amerikas ist es sicherlich heilsam und wegweisend, sich der eigenen Wurzeln verstärkt zu erinnern, davon zu lernen, wie das heutige lebendige Judentum diese Wurzeln versteht und daraus für den eigenen Glauben Kraft zu schöpfen.“

Das Erbe von Dieter und Irene Corbach
Seine Tätigkeit als Synodalbeauftrager mache ihm viel Spaß, sagt das Mitglied der Evangelischen Kirchengemeinde Köln-Rath/Heumar. Zu Beginn sei er ziemlich beschäftigt gewesen mit der Einarbeitung in das Erbe von Dieter und Irene Corbach. Dieses wird verwaltet von deren Tochter und dem im Arbeitskreis „Jawne“ zusammengeschlossenen Freundinnen und Freunden. In dem bemerkenswerten Umfang, wie die Corbachs und insbesondere Irene die wichtigen Kontakte zu ehemaligen Kölner Juden, ihren Verwandten und Nachfahren in vielen Ländern der Welt hergestellt und gepflegt hätten, könne er dies leider nicht leisten, meint Gottschalk. Aber ihnen allen versichert er, dass sie in „Köln jederzeit herzlich willkommen sind“.

Ziel: Verbesserung des Verhältnisses zwischen Christen und Juden
Gottschalks besonderes Anliegen ist es, Gespräche zwischen Juden und Christen, die christlich-jüdische Thematik verstärkt in die Gemeinden hineinzutragen. Es sei gut und wichtig, dass auf hoher Ebene die Erneuerung und Verbesserung des Verhältnisses zwischen Christen und Juden proklamiert werde. Aber was hätten die Gemeinden davon, wie könne das letztlich auf das Gemeindeleben übertragen, wie für die einzelnen Gemeindeglieder umgesetzt werden, wie an der Basis Früchte tragen, fragt er. „Wie können wir von- und miteinander lernen?“ Und: „Wie formulieren wir unseren christlichen Glauben ohne Antijudaismus?“, der teils, unterschwellig bis offen, noch festzustellen sei. Gottschalk fordert „eine stärkere Berücksichtigung lebendiger jüdischer Auslegung von Tora, Propheten und Psalmen in Liturgie, Verkündigung, Liedgut, Meditation, Gemeindearbeit und Unterricht“. Mit Hilfe unserer jüdischen Freunde „sollten wir Neues in den biblischen Texten entdecken und es an die Mitglieder der Gemeinden weitergeben“.
Was die Gedenkfeiern am Löwenbrunnen betrifft, spricht Gottschalk von einer guten Zusammenarbeit zwischen den beiden großen christlichen Kirchen in Köln und der Synagogen-Gemeinde. Ihn freut, dass auch die Stadt Köln diese Veranstaltungen als wichtig erachtet. Und ebenso, dass bei der Gedenkfeier vor wenigen Tagen ein Vertreter der liberalen jüdischen Gemeinde in Köln anwesend war.

Nes Ammim: freiwilliger Friedensdienst
Eng verbunden ist Gottschalk dem christlichen, europäischen Friedensdorf Nes Ammim in Nordisrael, nahe der libanesischen Grenze. Er setzt sich ein für dessen Projektarbeit und „Center für Meeting and Dialog“. Im letzten Winter leistete er dort mit seiner Frau im Rahmen eines Seniorenprogramms drei Monate freiwilligen Friedensdienst. Auch während der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Israel und der Hisbollah stand er im Kontakt mit dem Dorf, das keine unmittelbaren Schäden davongetragen hat. Gleichwohl habe der Krieg wirtschaftliche Auswirkungen auch auf das Projekt, sagt Gottschalk. Aufgrund der ausbleibenden Touristen seien etwa die „dringend für die Friedensarbeit benötigten Einnahmen aus dem Gästehaus von Nes Ammim“ stark rückläufig. Einen Besuch Israels und des Friedensdorfes könne er jedem empfehlen. Und so versucht er auch in seiner Funktion als Synodalbeauftragter, einzelne und Gruppen, Jugendliche wie Erwachsene für entsprechende Aktivitäten, etwa einen Friedensdienst, zu interessieren. Objektiv müsse man keine Angst vor Attentaten haben, merkt Gottschalk an. „Israel sieht Deutschland heute als verlässlichen Freund“, beschreibt er einen Wandel in der Einstellung. „Deutschland hat in Israel einen besseren Ruf als umgekehrt.“

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Broich