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Sülz-Klettenberger Kirchentag 2010: „Tod Sicher Leben“

Sterben und Tod – diese unausweichlichen Konstanten standen im Fokus des diesjährigen ökumenischen „Sülz-Klettenberger Kirchentages“. Allgemein beziehen sich dessen Themen auf das Leben vor Ort. Es sind Themen, die an Einrichtungen und Angeboten in den beiden Kölner Stadtteilen festgemacht werden können. Themen, die auch lokale Entwicklungen aufgreifen. Veranstaltende sind die Evangelische Kirchengemeinde Köln-Klettenberg, das Katholische Bildungswerk Köln und der (katholische) Seelsorgebereich Sülz/Klettenberg. Ihren gemeinsamen Kirchentag am letzten September-Wochenende widmeten sie dem Themenfeld „Tod Sicher Leben“. Dabei wurde zentral der Umgang mit Sterbenden und der Wandel in der Bestattungskultur behandelt. Beispielsweise informierte die Malteser Hospizgruppe „sinnan“ über ihre Arbeit in der Sterbe- und Trauerbegleitung. Interessierte konnten sich mit der Arbeit des Dr. Mildred-Scheel-Hauses und der Klinikseelsorge an der Universität zu Köln vertraut machen. Eine Führung über den Südfriedhof nahm die Botschaften der Grabmale in den Blick. Und im evangelischen Tersteegenhaus in Sülz sprach der Bestatter Brian Müschenborn über die sich wandelnde Bestattungskultur als „Ausdruck einer individuellen Gesellschaft“. Außerdem fanden ökumenische Gottesdienste und solche mit ökumenischen Gästen statt.

Gedanke an eine Urnenkirche

Bestattungskultur im Wandel: Dazu zählt auch die Beisetzung in (ehemaligen) Kirchen. In Köln gibt es eine solche Möglichkeit aktuell nicht. Zumindest aber existiert im katholischen Seelsorgebereich Sülz-Klettenberg die Idee, ein derartiges Angebot einzurichten, so Pfarrvikar Jürgen Martin. Das Thema kam auf, weil die katholische Kirchengemeinde sich finanziell nicht mehr in der Lage sieht, sämtliche ihrer drei Gotteshäuser umfassend zu unterhalten. In der Diskussion über eine mögliche Umnutzung der Kirche St. Karl Borromäus an der Zülpicher Straße wurde auch der Gedanke einer Urnenkirche geäußert. Auf dem Kirchentag trug dazu der katholische Liturgiewissenschaftler Dr. Friedrich Lurz ein Impulsreferat vor.

Geblieben sind Sportplätze und die Kirchen
Vor knapp 30 Besuchenden betonte der Schriftleiter der Zeitschrift „Magnificat“ eingangs die Bedeutung von Kirchengebäuden – und welchen schmerzhaften Prozess deren Profanierung für eine Gemeinde darstelle. Aber aufgrund fehlender Gelder seien Bistümer und Gemeinden immer wieder gezwungen, Kirchen aufzugeben. Dabei seien, gerade in ländlichen Gebieten, Kirchengebäude stets Identifikationsfaktoren gewesen – „und heute oft der einzige. Die Post hat dicht gemacht, Läden haben geschlossen. Geblieben sind der Sportplatz und die Kirche.“ In Städten sei die Identifikation mit Kirchengebäuden ähnlich. Im Fall einer Umnutzung müssten die Menschen aber eine Möglichkeit haben, eine Form finden können, sich von „ihrem“ Gebäude zu verabschieden, ging Lurz auf den emotionalen Faktor ein. „Kirchengebäude sind Symbole für Gemeinden. Diesen Symbolwert gilt es zu beachten.“ Er plädiert dafür, Kirchengebäude so umzunutzen, „wofür sie nach außen stehen“, etwa für soziale, karitative, diakonische Einrichtungen.

Ideen auch auf evangelischer Seite
Laut Lurz sind in Deutschland mehrfach Begräbniskirchen verwirklicht worden. Die von ihm genannten Beispiele in Aachen, Erfurt und Mülheim an der Ruhr sind/waren alle katholische Gemeindekirchen. Zu der Situation auf evangelischer Ebene konnte Lurz nichts sagen. Die Klettenberger Pfarrerin Susanne Beuth aber wusste zu berichten, dass auch auf evangelischer Seite über dieser Thema nachgedacht wird. Seitdem man das Thema Urnenkirche im Seelsorgebereich Sülz-Klettenberg behandle, sei selbstverständlich auch Kritik laut geworden. „Wozu brauchen wir jetzt auch noch Urnenkirchen. Das hat es nie gegeben. Müssen wir jede Mode mitmachen…“ Es sei zunächst ein fremder Gedanke. Aber die enge Verbindung von Lebenden und Toten durchziehe die ganze Geschichte des Christentums. Lurz erinnerte an die Bestattungskultur der antiken Römer, die ihre Verstorbenen entlang der Ausfallstraßen bestatteten, auch in Köln. Später seien in Rom über den Gräbern, auf den Friedhöfen außerhalb der Stadt Kirchen errichtet worden. In Städten selbst erführen seit früher Zeit Reliquien von (heiligen) Toten in den Altären und Schreinen der Kirchen der Stadt eine besondere Verehrung – bis heute. Im Mittelalter habe man Friedhöfe außerhalb der Siedlungen aufgegeben und um die Kirchen in den Städten angelegt. „Die Toten wurden mit der Kirchhofmauer von den Lebenden abgegrenzt, aber in die Welt der Lebenden hinein geholt.“ Aus der Einrichtung von Kirchhöfen sei mehrerlei erwachsen: „Jeder Gottesdienstbesuch war gleichzeitig Friedhofsbesuch. Die Toten wurden in liturgische Traditionen eingebettet (Stichwort Asperges-Prozession).“ Allerdings sei die Bestattungsfläche begrenzt gewesen. So habe man nach einer bestimmten Zeit die Knochenreste aus dem Boden herausgeholt und im Beinhaus gesammelt, Schädel in Holzgestellen platziert. Auch die Kirchen(innen)räume seien für Bestattungen, für gemauerte und Boden-Gräber genutzt worden. Dabei habe die Nähe des Grabes zum Altar eine große Rolle gespielt. „Mit der Säkularisierung kam der große Umbruch“, so Lurz. Die Bestattung in und um Kirchen sei aus hygienischer Sicht verboten worden. Wie auf Melaten in Köln, werde seitdem nur außerhalb der Siedlungsmauern bestattet. Nach katholischem Kirchenrecht sei unter anderem allein Päpsten und Kardinälen die Grablegung in Kirchen gestattet.

Die Nachfrage ist sehr hoch
Sollte St. Karl Borromäus in eine Urnenkirche verwandelt werden, empfiehlt Lurz die Einrichtung eines „gastfreundschaftlichen Ortes“. Bestattet werden sollten hier nicht nur Christen. „Denn grundsätzliche Offenheit ist ein Zeichen von Toleranz für eine Gesellschaft.“ Zudem sei auch der wirtschaftliche Aspekt zu beachten. „Es rechnet sich nur, wenn viele Urnen untergebracht werden können“, so Martin. „Die Nachfrage an den bestehenden Adressen jedenfalls ist sehr hoch“, weiß Lurz. „Die Menschen zahlen das Geld dafür.“ In der Regel, sagte Martin, nähmen Urnenbeisetzungsstätten Urnen für zwanzig Jahre auf. „Das kann schon zu Lebzeiten bestimmt werden.“ Solche Urnenkirchen seien würdig gestaltete Räume. Mit der namentlichen Kennzeichnung der Verstorbenen auf Tafeln werde der Schreckensvorstellung von einer bloßen Entsorgung entgegen gesteuert. Mit Urnenkirchen hole man die Toten bewusst wieder in die Städte hinein, erklärte Lurz. „Das ist ein wichtiger Schritt. In einer religionsfernen Gesellschaft können wir so zeigen, das Leben und Tod zusammen gehören.“ Zudem ermöglichten diese Orte mitten im Leben für die Angehörigen kurze Wege, das Andenken an den Verstorben zu pflegen.

Verstorbene in die Städte reinholen
„Ob die Idee realisiert werden kann?“, fragte Lurz „Man kann ja mal träumen: Im Bereich der Bestattungskultur ändert sich im Moment so viel. Man kann mit Blick auf die Vergangenheit sagen: Die Bestattungskultur ist eine äußerst wechselhafte. Warum sollten Kirchen nicht Vorreiter sein und Impulse für eine positive Entwicklung geben.“ In der sich anschließenden Publikumsrunde äußerte ein Gast Zustimmung: „Ich finde, dass die katholische Kirche insgesamt offensiv, konstruktiv mit Ideen zur Bestattung umgehen sollte. Es kann nicht sein, dass das Generalvikariat den Gemeinden sagt, das ist Eure Sache.“ Lurz erklärte, was die Angelegenheit auf katholischer Seite erschwere: „Weil es sich um Präzedenzfälle handelt. Wenn man einer Gemeinde das erlaubt, könnten die andere sich darauf berufen.“ Lurz bemängelte, das die Kirche heute beim Thema Bestattungswesen hinterher hänge. Sie sollte nicht resignieren, nach dem Motto: „Das war immer so, deswegen geht das nicht.“ Vielmehr sollte sie Perspektiven aufzeigen. „Verstorbene in die Städte hineinholen ist ein wichtiger Aspekt, der zeigt, wie wir Lebenden mit den Toten umgehen. Die Verstorbenen werden nicht an den Rändern der Stadt entsorgt.“

Emotionale Seite zulassen
„Ich war vorher gegen die Feuerbestattung“, äußerte eine Zuhörerin ein emotionales Problem. Jetzt aber habe sich ihre Einstellung geändert. „Ich glaube, dass viele in unserem Viertel anfangen, darüber nachzudenken und zu diskutieren.“ Ein weiterer Besucher stellte die Frage, ob denn eine Köperbestattung adäquater als eine Feuerbestattung sei. Es sei doch letztlich kein Unterschied, ob man nun verwese oder durch Feuer zu Staub werde. Und er wies hin auf einen theologischen Aspekt: Paulus spreche von der Auferstehung geistiger (pneumatischer) Leiber, nicht von auferstandenen Leibern aus Fleisch und Blut. „Beide Bestattungsformen zielen auf die Auflösung des Körpers mit der Hoffnung, dass das Denken an den Menschen bleibt“, ergänze Martin. Und Lurz betonte: „Wenn wir insgesamt die emotionale Seite zulassen, kommen wir der Sache näher.“

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich