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Lechenicher Aktion zur Gewinnung neuer Kirchenmitglieder

„Bobby-Car als Prämie brauchen wir nicht“, kommentiert ein User. Eine Userin dagegen ist offen: „Wäre mal was anderes.“ So breit sind bei Facebook die Reaktionen auf die Aktion „Mitglieder werben Mitglieder“ der Evangelischen Kirchengemeinde Lechenich.

Die Gemeinde Lechenich macht seit diesem Monat Mitgliederwerbung mit Prämien. Zehn verschiedene Prämien sind im Angebot: Bobby-Car, Kopfhörer, Espressomaschine, der Besuch einer Therme, ein Restaurant-Gutschein. Außerdem Apfelbäumchen und Perlenband des Glaubens.

Es begann in einer Zukunftswerkstatt
Im vergangenen Herbst stellte Gemeindepfarrer Helmut Schneider-Leßmann im Gemeindebrief eine offene Frage: Wenn Automobilclubs sich in ihrer Außendarstellung religiöser Motive bedienen, warum kann die Kirche dieses Know-How nicht für ihre Mitgliederwerbung einsetzen? Gemeint waren die gelben Engel, die den Menschen im Notfall zur Seite stehen. Das Presbyterium beriet in einer Zukunftswerkstatt. Und am Ende war die Meinung einhellig: An der Idee ist was dran. Fortan beschäftigte sich der Öffentlichkeitsausschuss der Gemeinde mit der Frage, auf welche Weise, vor allem mit welchen Argumenten man neue Gemeindeglieder in Lechenich gewinnen könne.

Flyer zur Werbeaktion mit sieben Argumenten
„Sieben gute Gründe“ für die Zugehörigkeit zur Kirche wurden formuliert, im Flyer zur Werbeaktion sind sie publiziert. Da heißt beispielsweise ein Argument: „Eine starke Gemeinschaft, die sich um Schwache und Benachteiligte, um Umwelt und Bewahrung der Schöpfung kümmert“. Diese griffige Formulierung treffe genau den Kern, meint Pfarrer Schneider-Leßmann: „Uns geht es darum, die Gemeinde unter guter Haushaltsführung auch für künftige Generationen als gesund und tragfähig zu hinterlassen.“

Mitgliederwerbung muss aktiv sein
Helmut Schneider-Leßmann beruft sich bei der aktiven Mitgliederwerbung auf den gesellschaftlichen Auftrag der Kirche. „Ich sehe keine andere Institution in der Gesellschaft, die Werte wie Mitmenschlichkeit und Barmherzigkeit unter dem Dreiklang von Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung vertritt. Wir stehen dafür, und da sind wir die einzigen.“ Der Standpunkt lasse sich jedoch nur für die Zukunft aufrechterhalten, wenn die Kirche entsprechendes zahlenmäßiges Gewicht habe. Deshalb müsse man aktiv daran arbeiten, den Mitgliederbestand zu erhöhen.

Zustimmung und Gegenwind
Im Zuge der Entwicklung des Flyers kam bald die Idee der Prämie hinzu und wurde Gegenstand intensiver Diskussionen. Am Ende stand einstimmig fest: Wir machen das. Nun ist der Flyer mit dem März-Gemeindebrief in Umlauf gekommen, er steht auf der Homepage der Gemeinde – und stößt innerhalb der eigenen Reihen auf breite Zustimmung. Gegenwind komme lediglich von Seiten einiger weniger und vereinzelt aus anderen Gemeinden, so Schneider-Leßmann. Auch wenn so kurz nach der Verbreitung noch keine Prämie abgerufen wurde, hat die Aktion doch eine Diskussion angestoßen. „Viele Menschen sind ins Gespräch über den eigenen Bezug zur Kirchenzugehörigkeit gekommen“, freut sich der Pfarrer.

Prämien sind gestiftet und gespendet
Die Aktion soll vorwiegend Anreize schaffen, Verantwortung zu übernehmen und anderen von den guten Erfahrungen im Gemeindeleben zu erzählen. Vorerst ein Jahr lang läuft die Werbeaktion. Die Prämien sind nicht aus Kirchensteuermitteln bezahlt, sondern allesamt gestiftet und gespendet. Über das Jahr wird die Gemeinde „dranbleiben“, betont Schneider-Leßmann. Dann wird Bilanz gezogen. Eins stellt er klar: Die Aktion soll kein Witz sein, kein Gag. „Da liegt viel Herzblut drin.“

"Zwischen Kreativität und Aktionismus unterscheiden"
Kritisch betrachtet der Superintendent des Kirchenkreises Köln-Süd, Dr. Bernhard Seiger, die Aktion, die die Gemeinde natürlich in ihrer von der Ordnung der Kirche her festgeschriebenen eigenen Souveränität verantwortet und ausführt. Insgesamt unterstützt er, wenn „nach den besten Maßnahmen für eine attraktive Kirche“ gegriffen wird. Konkret wägt er ab: Der Flyer mit den Piktogrammen sei gut gemacht und kreativ, sagt er. Aber man müsse zwischen Kreativität und Aktionismus unterscheiden, insbesondere mit Blick auf die Rückseite: Dort sind die Prämien aufgeführt, die es pro neuem Kirchenmitglied für die Werbenden gibt. Stichwort Bobby-Car. Aber eben auch das Apfelbäumchen oder die „Perlen des Glaubens“ – diese evangelischen Prämien, die nicht strittig sind. Das Apfelbäumchen, heißt es im Flyer, könne im eigenen oder auch im Pfarrgarten gepflanzt und abgeerntet werden. Zitiert wird dazu natürlich Reformator Martin Luther: „Und wenn morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch mein Apfelbäumchen pflanzen.“

Auf Überzeugung setzen
Ob man mit Prämien wie Bobby-Cars Menschen zum Eintritt in die Kirche bewegen soll, ist in Seigers Augen zweifelhaft. „Schließlich geht es uns als Kirche darum, sich treu um den Anderen zu kümmern, ins Gespräch zu kommen und nicht darum, wirtschaftliche Vorteile aus dem Werben für die Glaubensgemeinschaft zu ziehen“, kommentiert er. Vertrauen und Glaubwürdigkeit seien die Währung, mit der man arbeiten müsse. Die Prämienvergabe vergleicht der Superintendent mit einem Arzt, den man aufgrund der Qualität seiner Behandlung aufsucht. Wie befremdlich sei es, wenn dieser Empfehlungen mit einer Prämie belohne.
Auch die sieben guten Gründe für den Kircheneintritt würde der Superintendent nochmal inhaltlich diskutieren. Zu wenig geschärft sei das Alleinstellungsmerkmal der Kirche, deren große Stärke im Gottesdienst bestehe, einem Angebot, wo die Menschen auftanken und die Gemeinschaft mit anderen Gläubigen erleben können. Die sieben Gründe ließen sich schließlich in gleicher Weise für andere Gruppierungen oder Vereine anführen.

Eigene Stärken einsetzen
Es gehe darum, die Menschen durch Inhalte zu erreichen und zu binden. „Gerade in Lechenich gibt es doch viele kreative Angebote wie Konzerte, Lesungen oder gemeinsames Kochen“, meint Seiger. „Das sind die Werbeaktionen, die die Menschen innerhalb des Gemeindelebens und darüber hinaus von der Vielfalt der Kirche überzeugen." Insgesamt plädiert er dafür, seine Stärken nachhaltig dort einzusetzen, wo man gut ist. „Und das sind in der Kirche – neben anderen – der Gottesdienst, die vielfältigen Feste und Gespräche über Lebens- und Glaubensfragen aller Art und das treue Kümmern um Menschen.“ Nun also läuft die Aktion in der Gemeinde Lechenich erst einmal. Wenn denn die erste Werbung klappt, gibt es auch für das neue Mitglied etwas: freien Eintritt zur kostenpflichtigen Veranstaltungsreihe „Kunst und Kirche“ in Lechenich.

Text: ekir.de/Anne Siebertz
Foto(s): Ev. KG Lechenich