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Lässt sich Spiritualität besichtigen? Eine neue Stadtführung zwischen Antoniterkirche und St. Maria im Kapitol.

Eines vorweg, weil es den Beteiligten sehr wichtig ist. „Spiritualität ist Praxis“, sagte Dr. Bertold Höcker, Pfarrer der AntoniterCityKirche. Er machte sich mit Stadtführer Günter Leitner und einem überschaubaren Kreis Gleichgesinnter auf die Suche nach „Orten der Spiritualität“ in der Kölner Innenstadt. Der Spaziergang aus der Reihe „Köln mit anderen Augen“ begann in der Antoniterkirche. Hier richtete man das Augenmerk zunächst auf den so genannten „Barlach-Engel“, der in einer Nische neben dem Altar „schwebt“. Mit einem Vorurteil räumte Höcker sofort auf. Der Engel ist nämlich alles andere als ein himmlisches Wesen. Vielmehr handelt es sich dabei um die Darstellung einer Mutter, die im Ersten Weltkrieg ihre beiden Kinder verloren hat. Ernst Barlach schuf die Figur 1926 als Symbol für die ständige Todesdrohung, die von Kriegen ausgeht. „Trauer ist durch diese Figur sehr fassbar“ erklärte Leitner. „Die Trauer wird durch diese Figur verdichtet. Sie zwingt mich zur Auseinandersetzung mit der Trauer, die in mir ist.“ Dunkelheit, die ja auch mit Sterben zu tun habe, umfange das Barlach-Ensemble und verstärke dessen Wirkung.

Sich einen eigenen Raum für Spiritualität schaffen
Höcker wies auf die beiden neuen Lichtträger hin, die seit kurzem rechts und links der Gedenkplatte für die Toten der Weltkriege stehen, über der die Barlach-Figur schwebt. Dort kann man Kerzen anzünden. „Ich bin der Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in Finsternis wandeln. Ich bin das Licht des Lebens“, zitierte Höcker aus der Bibel und erläuterte, diese Worte seien der Grund dafür, dass Christen in Kirchen Kerzen zum Leuchten brächten.
Auf einem Ständer an der Wand liegen neuerdings zwei Bücher in der Antoniterkirche. „Eines für Erwachsene, eines für Kinder.“ berichtete Höcker. Mit ihren Eintragungen, ihren Wünschen, Hoffnungen und der direkten Zwiesprache mit Gott sollen sich die Besucher selbst einen Raum für Spiritualität schaffen. „Lieber Gott, vollende meine Seele“, schreibt ein Mann aus Wuppertal, „Beschütze bitte die Menschen, die mir nahe stehen“, hat Andrea in das Buch eingetragen.
„Spiritualität ist eigentlich nichts, was man besichtigen kann“, erkärte Höcker. „Und sie kann auch nicht von oben verordnet werden“, ergänzte Leitner, der es auch für schwierig hält, die Spiritualität eines Raumes allgemein gültig zu erfassen. „Es kommt immer darauf an, was der Einzelne ganz individuell in den Raum trägt“, fuhr der Stadtführer fort. „Spiritualität kommt aus mir selbst heraus. Der Weg dahin kann sein, den Raum zu betrachten oder einfach nur Geräuschen zu lauschen.“

Das Leiden bekommt nicht die Oberhand
Danach führte der Rundgang die Gruppe in die Kirche St. Maria im Kapitol. Dort steht die Darstellung des Gekreuzigten an einem Gabelkreuz im Mittelpunkt. „Hier erlebt man eine Form der Spiritualität, die vielen verloren gegangen ist“, erklärte Höcker. „Christus ist in dieser Darstellung in besonderer Deutlichkeit vom Schmerz gezeichnet. Das Leid steht im Vordergrund.“ Das Haupt Christi neige sich auf die Brust und berühre die rechte Schulter. Die Wunden seien sehr drastisch dargestellt. Doch der, der so viele Schmerzen habe erdulden müssen, sei erlöst worden.
Das wecke die Erinnerung der Betrachtenden an das eigene Leben, an die eigenen Wunden, die man erlitten habe, und an die Brutalität, mit der Menschen mit ihren Nächsten umgingen.  Jeder Mensch bewege sich schließlich immer auch auf sein eigenes Ende zu. Doch das Leid werde nicht die Oberhand bekommen. „Was uns droht, ist nicht Tod oder Schmerz. Was uns droht, ist die Auferstehung.“

Der Tod sei nicht das Ende, sondern ein Übergang. Alles, was den Menschen auf Erden widerfahre, sei immer nur das Vorletzte. Das Letzte sei, dass sie den Auferstandenen sähen. Höcker erinnerte an den bildhaften Vergleich von Martin Luther für diesen Vorgang: „Das Leben, das wir führen, ist dem ähnlich, das der Säugling im Mutterleib führt. Die Geburt erlebt der Säugling als einen kurzen, dunklen Gang durch den Geburtskanal. Dann ist er in der wirklichen Welt angekommen.“ Dieser kurze dunkle Gang sei vergleichbar mit dem Tod, der den Menschen eben auch in eine neue „Welt“ überführe, das Sterben könne als „neue Geburt“ interpretiert werden: „Wir werden nicht sterben, sondern verwandelt werden.“

Text: Rahmann
Foto(s): ran