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Jubiläum: 50 Jahre Ungarische evangelisch-reformierte und -lutherische Kirchengemeinde im Rheinland und in Westfalen

Rund 170 Menschen waren nach Köln-Deutz in die evangelische St.-Johannes-Kirche gekommen: Gäste, die zum Jubiläum gratulieren wollten, AmtsträgerInnen, Theologen und Nachbarn, andere waren eigens aus Ungarn angereist. Die Predigt hielt Dr. Gusztáv Bölcskei, einer der vier Landesbischöfe und der Vorsitzende der Synode der Reformierten Kirche Ungarns. Er fragte, was die Gemeinde heute zu tun habe mit der im Buch der Offenbarung beschriebenen himmlischen Harmonie. Bestünden angesichts alltäglicher Hektik nicht andere Herausforderungen und Nöte? Als der Text geschrieben worden sei, hätten Christen als kleine Minderheit im römischen Reich schließlich auch keine „himmlische Ruhe“ gefunden. Für die heutige Ungarische Evangelische Gemeinde in NRW sei es nun ebenso tröstlich und hilfreich, dass, „wo zwei oder drei von uns im Namen Christi versammelt sind“, Kontakt bestehe „zu himmlischer Harmonie.“. Darum betonte Bölcskei auch: „In den letzten fünfzig Jahren konnte die hiesige Ungarische Evangelische Gemeinde den Trost und die Wahrheit des himmlischen Gottesdienstes immer wieder erfahren.“ Als Repräsentant der Evangelisch-Lutherischen Kirche Ungarns beteiligte sich Militärbischof Dr. Pál Lackner an der Liturgie.

Das Jubiläum wurde in Köln gefeiert,
weil die seit Januar 1963 selbständige Ungarische Evangelische Gemeinde in NRW 1962 ihren Dienstsitz hierher verlegte. Laut Satzung ist sie ein Glied in der Gemeinde der deutschen Schwesterkirche, wobei ihr Dienst von der rheinischen wie westfälischen Landeskirche unterstützt werden. Als Geburtsstunde der Gemeinde gilt der 15. März 1957. Damals wurde, in Absprache mit den beiden Landeskirchen, der ungarische reformierte Pfarrer Zoltán Szabó, der in Münster studiert hatte, mit der seelsorgerischen Betreuung seiner protestantischen Landsleute in Westdeutschland beauftragt. Die meisten von ihnen waren nach der blutigen Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes 1956 aus ihrer Heimat geflüchtet. „Die Ersten“, so Pfarrer Sándor Gábry, „kamen am 28. November 1956 am Kölner Hauptbahnhof an.“ Sie trafen sich bald darauf im „blauen Saal“ der Antoniterkirche. Anfangs fanden muttersprachliche Gottesdienste nur in Dortmund statt. Später in Aachen, Düsseldorf, Köln und Marl. Heute sind es acht Städte: Aachen, Bielefeld, Bochum, Düsseldorf, Euskirchen, Koblenz, Köln und Münster.

„Nicht einigeln, dann geht man verloren“
Die Ungarische Evangelische Gemeinde in NRW wird von einem 15-köpfigen Presbyterium geleitet. Als einziger Pfarrer betreut Sándor Gábry deren derzeit rund 850 Gemeindeglieder. Sein Arbeitsgebiet reicht über die NRW-Grenze bis ins südliche Niedersachen und nördliche Rheinland-Pfalz hinein. „Ich bin mein eigener Bischof“, kommentiert Gábry scherzhaft. Diese enorme geographische Ausdehnung führt dazu, dass er an Wochenenden bis zu 1300 Kilometer fahren muss, „mindestens aber 700 bis 800“. Einmal jährlich, zu Pfingsten, kommen die verstreut wohnenden Gemeindeglieder an einem der Gottesdienstorte zusammen. „Dazu laden wir natürlich auch die Mitglieder der jeweiligen gastgebenden evangelischen Gemeinde ein“, betonte Gábry. Denn man fühle sich als willkommene Gäste, es sei eine tiefe Bindung und innere Verbundenheit zu diesen Gemeinden entstanden. „Nicht einigeln, dann geht man verloren“, konstatierte Gábry. Die Devise laute Öffnung und Integration, aber ohne Assimiliation.

Da gab es „keine lange Debatte“
In seiner Begrüßung der Gottesdienstgäste dankte Gábry für das von Rheinländern und Westfalen, von Kölnern und Deutzern gewährte Gastrecht. Er erinnerte an die Unterstützung beim Gemeindeaufbau durch die Landeskirchen und das Diakonische Werk. Und er wünschte sich eine Fortsetzung der von kirchlichen Institutionen bis heute gewährten Betreuung und Begleitung „auf unserem Weg“. Als Gründe für die „berechtigte Hoffnung“, dass es die Gemeinde auch zukünftig gebe, führte er unter anderem an: „Weil wir hier bleiben, da wir in diesem Land Wurzeln geschlagen haben, unsere Kinder und Enkel sich in die deutsche Gesellschaft und kirchliche Landschaft voll integriert haben.“ In Köln gastiert die Ungarische Gemeinde seit über einem Jahrzehnt in der St.-Johannes-Kirche der Evangelischen Kirchengemeinde Köln-Deutz/Poll. Deren Pfarrer Georg Heilinger erinnerte daran, dass „es in unserem Presbyterium keine lange Debatte“ gegeben habe, als Gábry nach einem Gottesdienstraum gefragt habe. „Das war auch im Nachhinein eine sehr gute Entscheidung“, verwies Heilinger nicht nur auf die Tatkraft der Gäste etwa bei Renovierungsarbeiten sowie der Installierung einer Küche. Die Gegenwart der Diaspora-Gemeinde bedeute eine Horizonterweiterung, eine atmosphärische Bereicherung.

„Wir sind auf einem gemeinsamen Weg“
Ernst Fey, Stadtsuperintendent des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region, blickte auf die bis ins Mittelalter zurückgehenden Verbindungen zwischen Ungarn und Deutschen zurück, mit heute noch sichtbaren Zeugnissen, etwa in Aachen. Und: Die ersten ungarischen Gemeindeglieder seien „in Köln mit offenen Armen aufgenommen worden“, zitierte Fey eine Schilderung der Flucht von Ungarn nach dem Aufstand 1957. „So selbstverständlich ist das nicht“, meinte er mit Blick auf die Geschichte der Protestanten in Köln und Umgebung. „Auch viele unserer Kirchengemeinden feiern in diesem Jahr 50-jähriges Bestehen. Auch wir mussten uns Sympathie erkämpfen.“ Durch die Wende 1989 habe die Ungarische Gemeinde neue Impuls bekommen. Heute beschäftige sich die Gemeinde vor allem mit der „Verortung ungarischer Menschen“ in Deutschland wie im „weiträumigen“ Europa von heute. Ebenso bestehe ein neues Interesse an der ungarischen Sprache in der dritten und vierten Generation. „Dass wir hier in der Kirche sind, zeigt den Stand einer guten Beziehung.“ Es sei wichtig, Verbindungen und Kontakte zu anderen christlichen Gemeinden weiterhin zu pflegen, meinte Fey. „Wir sind auf einem gemeinsamen Weg.“

Heimat, Vertrauen und das offene Meer
Kirchenrat Gerhard Duncker überbrachte herzliche Grüße von der Evangelischen Kirche in Westfalen. Er erinnerte an gegenseitige Besuche und widersprach der häufig gebrauchten Redewendung, nach der Brautleute in den Hafen der Ehe einlaufen:
„Das Gegenteil ist der Fall. Ehepaare fahren hinaus aufs offene Meer. In der Kirche ist es genauso. Ich wünsche Ihnen und uns, dass wir nicht irgendwo herumdümpeln, sondern Fahrt aufnehmen, zu neuen Küsten.“
Landespfarrerin Christine Busch von der Evangelischen Kirche im Rheinland hob das intensive ehrenamtliche Engagement in der Ungarischen Gemeinde hervor. Zudem verwies sie auf einen elementaren Grundton in deren Gottesdiensten: „Gottes Botschaft wird in der eigenen Muttersprache verkündet“. Die Kirchenrätin dankte für die Zusammenarbeit und Vertrauen, „wir wünschen uns sehr, in einer guten und konstruktiven Beziehung zu bleiben und vielleicht noch näher aneinander zu rücken. Die Ungarische Gemeinde ist an einer Assoziierung interessiert, und die theologischen Weichen sind gestellt. Es wäre schön, wenn Kirchenleitung und Landessynode bald entsprechend beschließen würden.“ Es gehe auch um die Frage der Beheimatung. Es brauche Zeit, bis Vertrauen wachse. Kirchen und Gemeinden anderer Sprache oder Herkunft könnten hier helfen. Einer wie Pfarrer Gábry, der beide Seiten kenne, sei daher bestens geeignet, die Landeskirche zu beraten.
Oberkirchenrat Dr. Ralf Geisler von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sagte: „Mit ihrem 50-jährigen Bestehen gehören Sie zu den ältesten bestehenden fremdsprachigen Gemeinden im Bereich der Evangelischen Kirche in Deutschland.“ Er wies darauf hin, dass die EKD die Zusammenarbeit mit Gliedkirchen fremder Sprachen fördere. Beabsichtigt sei auch die Kooperation mit der ungarischen Seite: „Nach unserer Vorstellung soll die Ungarische Gemeinde an vier Standorten innerhalb der EKD vertreten sein, einer davon ist Köln,“ so Geisler. Er dankte Gábry für dessen engagierte Mitarbeit in der EKD-Konferenz der Ausländer-Pfarrerinnen und -Pfarrer.

„Das, was machbar war, haben Sie gemacht“
Viele weitere Jubiläumsgäste schlossen sich den Grußworten an, so der griechisch-orthodoxe Erzpriester Dr. Radu Constantinos Miron aus Brühl, stellvertretender Vorsitzender der Bundes-Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) oder der Kölner Ökumenepfarrer Dr. Martin Bock, der im Namen der Kölner ACK gratulierte: In der Geschichte, dem Auf und Ab der Gemeinde spiegele sich viel von der Geschichte Abrahams. „Die Assoziation der Gemeinde fände ich gut“, unterstrich Bock seine Assoziation mit dem umher wandernden Abraham.
Pfarrerin Ursula Harfst, Koordinatorin des Programms „Koordination zwischen deutsch- und fremdsprachigen Gemeinden“ der Vereinten Evangelischen Mission freute sich, dass die Ungarische Evangelische Gemeinde in NRW ihre Erfahrungen mit anderen teile und weitergebe. „Das brauchen wir auf beiden Seiten – Erfahrung und Phantasie.“
Kurt Röhrig, Superintendent des Kirchenkreis Köln-Rechtsrheinisch, griff in Anlehnung an die (ebenfalls) 1957 eröffnete Landesgartenschau im Kölner Rheinpark zu einem floralen Bild. „Sie haben auf vielfältige Weise ´Blumen des Glücks´ gebunden, und Sie werden weiter Blumen binden.“ Stets sei die Ungarische Gemeinde ein Leuchtturm für andere fremdsprachige Gemeinden in Köln gewesen. „Das, was machbar war, haben Sie gemacht.“
Dr. Maria Nagy, Generalkonsulin der Republik Ungarn, hob die Ausdauer der Gemeinde hervor. Sie dankte den beiden großen christlichen Kirchen, insbesondere der evangelischen, die damals den Flüchtlingen geholfen haben. „Fünfzig Jahre war die Gemeinde ein Ort für die verlorene Heimat, ein Rückgrat.“ 17 Jahre nach der demokratischen Wende könne man behaupten, die Ungarische Gemeinde sei nicht mehr notwendig. „Aber sie ist wichtig, gerade auch für die junge Generation. Die Gemeinde ist ein Gewinn für Nordrhein-Westfalen“

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Broich