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„Insel elementarer Gastfreundschaft“: das Gulliver

Wo man hinschaute – nur fröhliche Gesichter im Gulliver. Die „Überlebensstation für Obdachlose“ in einem Bahnbogen an der Trankgasse am Kölner Hauptbahnhof gelegen, besteht seit zehn Jahren, und die Prominenz gab sich bei der Jubiläumsfeier die Klinke in die Hand. Landes-Sozialminister Guntram Schneider gab sich ebenso die Ehre wie Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes und Pfarrer Dr. Uwe Becker, Vorstand der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe. Darüber hinaus begrüßten Pfarrer Karl-Heinz-Iffland, Vorsitzender des Vereins Kölner Arbeitslosenzentum (KALZ), der Träger des „Gullivers“ ist, und Geschäftsführer Bernd Mombauer zahlreiche Politiker und Politikerinnen aus Land und Stadt sowie Vertreter und Vertreterinnen von Einrichtung der Diakonie und der Caritas. Auch Schirmherr Peter Millowitsch war gekommen. Der hatte das Schirmherrenamt über das „Gulliver“ von seinem Vater Willy übernommen.

„Du kannst auch kommen, wenn Du stinkst“
Iffland erinnerte in seiner Begrüßungsansprache an einen Satz, den ihm ein Obdachloser einst über das „Gulliver“ gesagt hat: „Das ,Gulliver‘ ist klasse. Da kannst Du auch kommen, wenn Du stinkst.“ Und im Zweifel duschen. Oder sein Postfach öffnen. Oder eine Tasse Kaffee trinken, frühstücken oder Mittag essen. Oder einfach nur reden. Oder, oder, oder… Alkohol gibt es nicht, und Rauschgift wird genauso wenig geduldet wie alles, was das friedliche Miteinander gefährdet. Das „Gulliver“ sei eine Erfolgsgeschichte, fasste Iffland zusammen. „Aber das Leben auf der Straße führt nicht immer ins Leben. Vor kurzem haben wir einen Menschen, den viele von uns gut kannten, tot vor der Tür der Überlebensstation gefunden.“

Ein „menschenwürdiger Raum“
Elfi Scho-Antwerpes lobte das „Gulliver“, weil dort ein „menschenwürdiger Raum geschaffen und erhalten“ werde, wo Obdachlose ein Zuhause fänden. „Verlässlichkeit“ sei ein weiteres Stichwort. „Man weiß, da kommen jedes Jahr 50 Schlafsäcke mit Kälteschutz-Unterlagen an.“ Die stiftet regelmäßig die Bundeswehr.

„Auf keinen Fall an der Obdachlosenarbeit kürzen“
Auch Guntram Schneider, Nordrhein-Westafalens Minister für Arbeit, Integration und Soziales, war zu Gast in der Obdachlosenstation. Er stellte von vorn herein eines klar: „Unsere Regierung wird auf keinen Fall an der Obdachlosenarbeit kürzen. Das wäre skandalös.“ Er plädierte dafür, das Wort „Hartz IV“ aus dem öffentlichen Sprachgebrauch zu verbannen: „Man sollte einem Einzelnen nicht auf diesem Weg ein Denkmal setzen.“ Natürlich sollten die, die arbeiten, mehr Geld haben als die, die nicht arbeiten. „Aber den Lohnabstand bekommt man nicht hin, indem man den Armen nimmt. Nicht die Transferleistungen sind zu hoch, die Löhne sind zu niedrig“, rief er unter dem Beifall des Plenums mit kundgebungsgestählter Stimme und wies darauf hin, dass die rot-grüne Landesregierung fünf Millionen Euro für die Förderung der Arbeitslosenzentren bereit gestellt habe. Schneider forderte einen neuen, „sozialen Arbeitsmarkt“, der langfristig ausgerichtet sein müsse. „Die Leute müssen ihr Leben langfristig planen können und nicht immer von einem befristeten Vertrag in den nächsten rutschen. Gesellschaftliche Teilhabe definiert sich eben immer noch über Arbeit.“

„Die Betroffenen werden in der öffentlichen Wahrnehmung zu Schuldigen“
Kritisch äußerte sich Pfarrer Dr. Uwe Becker, Vorstand der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe: „Dass diese Einrichtung notwendig ist, ist noch kein Grund zur Gratulation. Von vielen wird der Aufschwung bejubelt, bei anderen steigt der Grad der Frustration. Das sind die Zuschauer bei diesem Wohlstandsspektakel.“ Becker kritisierte das Klima der Ächtung, das vielen Arbeits- und Obdachlosen entgegenschlage. „Die Betroffenen werden in der öffentlichen Wahrnehmung zu Schuldigen. Das Schlagwort vom ,anstrengungslosen Wohlstand‘ macht wütend. Es ist skandalös, so in der Öffentlichkeit Meinung zu machen.“ Auf der einen Seite würde man europäischen Banken Milliarden zuschieben, auf der anderen Seite schaue man tatenlos zu, wenn soziale Beschäftigungsträger vor der Insolvenz stünden. Die Diakonie hat ein Gutachten in Auftrag gegeben. Danach müsste man den Hartz-IV-Regelsatz auf 433 Euro erhöhen. (Derzeit liegt er bei 364 Euro im Monat.) Aus der Politik habe es keine Reaktion darauf gegeben: „Das ist die Arroganz der Macht.“ Gleichwohl gratulierte er dem „Gulliver“ als „Insel elementarer Gastfreundschaft“, auf der Menschen Station machen könnten ohne dass man ihnen mit „moralischen Anwandlungen“ begegne.

Endlich hat das Gulliver auch einen unbefristeten Mietvertrag
Und das wir auch weiterhin so sein. Die Verantwortlichen des „Gulliver“ haben – sehr zu deren Freude – kurz vor der Feier ihres zehnjährigen Bestehens – sich mit dem Management des Kölner Hauptbahnhofs auf einen unbefristeten Mietvertrag geeinigt, der vor kurzem unterschrieben wurde. Es hatte Irritationen gegeben wegen nicht eingehaltener Brandschutzvorschriften im „Gulliver“. Die sind ausgeräumt, und nachdem der Rat Geld bewilligt hat, um die Einhaltung der Vorschriften baulich umzusetzen, stand der Vertragsunterzeichnung nichts mehr im Wege.

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Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Rahmann