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Großer Erfolg: Die Passionsausstellung in Vogelsang hat einen Nerv getroffen – und zieht unerwartete Konsequenzen nach sich

Sieben Skulpturen aus Draht, Papier und Leim sitzen, stehen, kauern in der evangelischen Emmauskirche in Köln-Vogelsang. Bis zu 1,20 Meter groß, fallen ihre schlanke, reduzierte Konstitution ins Auge, ihre schmalen, (über)langen Gliedmaßen. Es sind Leidensfiguren, festgehalten in verschiedenen Positionen. Mit verschränkten Armen und aggressivem Blick. Mit einer flehenden, verzweifelten Geste gen Himmel. Oder den gebeugten Kopf resignierend und erschöpft auf die Hand gestützt. Was wie Sinnbilder „alltäglicher“, allgemeiner Seelenzustände wirkt, hat einen konkreten Hintergrund. Die relativ nah und doch allein platzierten Figuren – jede steht für sich, jede ist in sich gebunden – sind sehr private Äußerungen von Barbara Riege. Die Bickendorfer Künstlerin, in einer Bombennacht 1942 im Severinsklösterchen geboren, wurde mit dem ersten Atemzug von Kriegsschrecken geprägt. „Ich habe in den ersten Jahren einiges mitbekommen. Aber wenn später über diese Zeit etwas erzählt wurde, habe ich das nie als meine eigene Geschichte empfunden“, sagt sie bei einem Gesprächsabend in der Emmauskirche anlässlich ihrer Ausstellung, die während der Passionszeit, noch bis Karfreitag, 14. April,  zu sehen ist.


„Ich dachte, ich bekomme keine Luft mehr“
Das persönliche, das eigene schreckliche Erleben hatte Riege lange verdrängt, wie viele aus der „vergessenen Generation“ der Kriegskinder. So lange, bis sie vor zwei Jahren einer befreundeten Künstlerin beim Aufbau einer Ausstellung im Ehrenfelder Hochbunker half. „Als ich den Bunker betrat, dachte ich im ersten Moment, ich bekomme keine Luft mehr.“ Lange Verschüttetes trat zutage. „Ich sagte mir: Entweder du stellst dich der Sache oder du musst hier ´raus.“ In einer Pause setzte sie sich in einen leeren Raum. „An dessen Ende habe ich dann Leute gesehen, wie sie früher im Bunker saßen. Und je länger ich dorthin schaute, desto mehr verwandelten sich diese Menschen in die grauen Figuren, die ich schon vorher gemacht hatte, allerdings ohne den speziellen thematischen Hintergrund. Da war mir klar, ich kann mit meinen Skulpturen meine Dinge aussprechen. Das sind Gefühle, die mir als Kind entgegen gebracht worden sind, beispielsweise Angst, Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit Aggression.“

Bildhauerei  als unbewußte Trauerarbeit
Wirklich gesagt oder erklärt hätten Eltern oder Verwandte ihr aber damals nichts. Auch lange nicht nach 1945. „Ich fühlte mich immer ausgeschlossen.“ Ihr sonst von Bewegung und Kommunikation geprägtes Schaffen als Bildhauerin sei in diesem Fall Trauerarbeit. Trauer darüber, dass man über seine Ängste und Erfahrungen nichts sagen, seine Gefühle nicht zeigen durfte.

Die Präsentation ihrer siebenteiligen Arbeit mit dem Titel „Die vergessene Generation“ hat in Vogelsang zahlreiche Reaktionen ausgelöst. „Durch die Ausstellung ist vieles, was vergraben war, wieder aufgebrochen“, bestätigt etwa ein 1939 geborener Besucher des Künstlerinnen-Gesprächs.

Sich im Gespräch auch künftig gegenseitig stützen
Die Erleichterung, über diese Zeit, die eigenen Erfahrungen endlich sprechen zu dürfen, sei groß, hat Riege festgestellt: „Erst wird allgemein erzählt, dann kommen die Betroffenen schnell auf besondere, schmerzhafte, schlimme Situationen zu sprechen, etwa auf den Anblick verbrannter Menschen nach einem Bombenangriff.“
So habe eine Besucherin geäußert, die Skulpturen würden sie an Brandopfer erinnern. „Ich kann diese persönlichen Äußerungen nicht distanziert betrachten, sie gehen mir nahe“, gesteht die Künstlerin. Um diesen und anderen Menschen auch weiterhin eine Möglichkeit zu geben, über das Thema zu sprechen, solle in der Gemeinde ein Gesprächskreis enstehen, regt Riege an. Eine Besucherin des Künstlerinnengesprächs untermauert diesen Wunsch: „Ich möchte mehr darüber reden. Und ich fände es gut, wenn man sich dabei gegenseitig stützen könnte.“

Gleich die erste Kunstausstellung in Vogelsang zieht weite Kreise
„Es ist möglich, dass wir einen Raum schaffen, wo wir strukturiert sprechen oder begleitend Gespräche anbieten“, will auch Pfarrer Torsten Sommerfeld den begonnenen Gedankenaustausch über das Thema nicht einfach abbrechen lassen. Die Idee sei gant ungeplant während der Ausstellung entstanden. Sommerfeld ist glücklich, dass die „erste Kunstausstellung in der Geschichte Vogelsangs und in unserer Kirche“ solche Kreise zieht. „Ich finde das klasse, dass etwas ungeplant angestoßen wird“, ist Sommerfeld gespannt, ob und in welcher Form sich das Vorhaben etabliert.
Dabei beruhe das Zustandekommen der Präsentation eigentlich auf einem Zufall, erinnerte der Pfarrer. „Frau Riege suchte eine Kirche als Ausstellungsort, einen ruhigen, schützenden Raum für ihre Skulpturen. Sie rief mich an, kam mit ihrer Fotomappe vorbei und mir war schnell klar: Das ist ein Thema, das viele Menschen interessiert.“

„Das passiert sonst nie“: Ein Drittel der BesucherInnen kam von auswärts
In einem kleinen Vorbereitungskreis habe man die Idee eines Gesprächsraums entwickelt. Neben der Ausstellung sollte ein passendes Rahmenprogramm auf die Beine gestellt werden. So lud man die Journalistin und Autorin Sabine Bode ein, aus ihrem Buch „Die vergessene Generation“ zu lesen. Und es gab ein kirchenmusikalisches Konzert mit dem Corus Minor unter Leitung von Ingrid Bonnat. Die ehemalige Kantorin des Kirchenkreises hatte unter dem Titel „Die verlorene Zeit“ Rezitation, Chor- und Orgelmusik aus Romantik und Gegenwart zusammengestellt. „Wie die Vernissage waren diese beiden Veranstaltungen ein voller Erfolg“, freut sich Sommerfeld. „Alle Angebote sind sehr positiv aufgenommen worden. Wir haben jeweils fünfzig Besuchende gezählt. Erstaunlich war, dass viele ortsfremde Leute gekommen sind. Bei der Lesung lag der Anteil der Auswärtigen sogar bei zwei Drittel, das passiert sonst nie.“

Gelernt, mit anderen Augen zu sehen
Für viele Besucherinnen und Besucher seien Ausstellung und Veranstaltungen „bewegend“ gewesen, „wichtig“ oder „lang erwartet“. „Es gibt aber auch Gemeindeglieder – vor allem die im Krieg Geborenen – die fragen: ‚Was soll das?‘ Das sind alte Geschichten, ich will daran nicht erinnert werden.“ Sommerfeld, dessen Eltern wie viele Mitglieder seiner Gemeinde der Kriegskinder-Generation angehören, sagt: „Ich habe durch die Ausstellung gelernt, anders hinzuhören, mit anderen Augen zu sehen. Ich habe verstanden, dass man diesen Menschen keinen Raum für ihre Trauer gegeben hat.“ Der Pfarrer lernte auch die großartige Schlichtheit, die Kraft der 1955 eingeweihten Emmauskirche neu zu schätzen. „Anläßlich der Vernissage haben wir die Bänke entfernt, die farbigen Tücher und Bilder abgehängt. Wir wollten den Figuren ein passendes Zuhause geben. Mit der Klar- und Kargheit unserer Kirche ist es uns, das zeigen die Reaktionen, ausgezeichnet gelungen.“ Es sei zwar das erste, aber wohl nicht das letzte Mal, dass in der Emmauskirche mit bildender Kunst gearbeitet wurde, kündigt Sommerfeld weitere Projekte an. „Aber sie müssen vom Thema und vom Raum hierher passen.“

Öffnungszeiten
Die Ausstellung in der Emmauskirche, Birkhuhnweg 2b in Köln-Vogelsang, ist noch geöffnet bis zum Freitag, 14. April, dienstags und mittwochs von 10 bis 12 Uhr und 14 bis 16 Uhr, samstags von 14 bis 18 Uhr und sonntags von 11 bis 18 Uhr.

An Karfreitag, dem 14. April, findet um 10.45 Uhr ein weiterer Gottesdienst zum Thema statt.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich