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Pfarrer Hans Mörtter und Hartmut Priess beim Talkgottesdienst in der Lutherkirche

„Kirche ist da, wo alle mitreden dürfen“ Ex-Bläck-Fööss-Bassist Hartmut Priess zu Gast in der Lutherkirche

„Viele Lieder der Bläck Fööss passen ausgezeichnet in einen Gottesdienst“, sagte Hans Mörtter, Pfarrer an der Lutherkirche in der Kölner Südstadt, zu Beginn des Talk-Gottesdienstes. Gesagt, gesungen. Sieben Lieder der Kölner Mundart-Band sangen die Gottesdienstbesucher. Vom „Kölschen Stammbaum“ und “En unserm Veedel“ bis zu weniger bekannten Songs wie „Loss se kumme“. Die Liedauswahl hatte einen guten Grund. Zu Gast war kein Geringerer als Hartmut Priess, bis zum Silvesterkonzert 2018 Bassist der Fööss. „Es ist wie an Karneval. Jeder kann mitsingen“, fuhr der Pfarrer fort. Heimweh war das Gefühl, das die Kindheit von Priess prägte. Und überschattete. Dabei handelte es sich allerdings nicht um das „Heimweh no Kölle“ im Ostermann-Sinn. Priess wollte zurück nach Berlin. „Ich habe damals alle Freunde verloren“, erinnerte er sich im Gespräch mit Mörtter. Mitte der 40er Jahre sei er mit seinen Eltern aus der Hauptstadt nach Köln umgezogen, weil sein Vater einen neuen Arbeitsplatz gefunden hatte. „Man sollte wissen, was man einem Kind antut, wenn man umzieht“, gab Priess den Gottesdienstbesucherinnen und -besuchern mit auf den Weg.

Die Familie Priess wohnte damals in der Nähe der Lutherkirche. 25 Jahre später ist der Musiker eher zufällig zum Karneval gestoßen. Ende der 60er Jahre hätten alle Englisch gesungen. „Nachdem ich das erste Mal Elvis gehört habe, habe ich meinem Vater kein Wort mehr geglaubt“, erzählte der Talk-Gast. „Ihr müsst Deutsch singen, hat uns der bekannte Sänger Graham Bonney geraten“, erinnerte sich Priess. Und Bonney sei es auch gewesen, der die Bläck Fööss für absolut sitzungstauglich erklärt habe. „Hört auf, uns Engländer nachzumachen. Auf Englisch können wir besser als Ihr“, habe der gesagt. „Wir waren keine Revolutionäre. Wir waren Reformatoren“, erinnerte sich Priess lutherkirchengerecht an die Anfänge der Band im Karneval zu Beginn der 70er Jahre. Denn: „Eine Stadt, die alle fünf Jahre eine Revolution hat, hat ein schweres Leben.“ In der 70ern hätten die Herren noch in Frack oder Smoking, die Damen in Abendgarderobe in den Sitzungen gesessen. „Und wir kamen da barfuß und ziemlich zottelig an“, so Priess. Da seien sehr unterschiedliche Geisteswelten aufeinander getroffen. Dennoch seien die Lieder der Fööss immer auch politisch gewesen.

„Drink doch ene met“ etwa enthalte die Botschaft, dass in Köln niemand arm sein müsse. Die gesellschaftliche Wirklichkeit sei natürlich eine andere. „1978 bin ich mit Bömmel durch die Türkei gefahren. An einem abgelegenen Fleck haben wir Arbeiter getroffen, die einige Jahre in der deutschen Autoindustrie gearbeitet und einige Städte erlebt hatten. So schnell wie in Köln hätten sie sich nirgends zu Hause gefühlt, haben die erzählt.“ Heimweh sei eines der Grundelemente der kölschen Seele. Aber auch die Flüchtlinge, die in den vergangenen Jahren nach Deutschland gekommen seien, hätten viel verloren. Und: „Die sind ja nicht aus Jux und Dollerei zu uns geflohen.“ Mörtter fragte Priess auch nach den Schulbesuchen, die er mit Bömmel und Kafi Biermann jahrelang gemacht hat. „Das ist unser Hobby und macht uns Spaß. Da spielen wir eigene Sachen, aber auch ,Stadt mit K‘ von Kasalla. Das ist gerade auch für die Migrantenkinder ein Weg, um mit der Stadt zu verwachsen. Die Eltern haben oft Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache. Die Kinder lernen das ratzfatz. Kölsch klingt natürlich auch zuerst komisch. Aber Kinder haben ja Spaß an verrückten Sachen.“, auch an Tanzgruppen.

Priess outete sich als großer Fan dieser Gruppen. „Die liegen mir sehr am Herzen. Ich mag diesen Spaß, den sie ausstrahlen. Da gibt es untereinander keine Konkurrenz. ,Wir stricken alle am gleichen Schal‘, heißt es bei denen. Dort wird Gemeinschaft gebildet.“ Aber ein bisschen mulmig wird ihm denn doch bei den akrobatischen Flugeinlagen auf der Bühne. „Ich sage immer: Sieh zu, dass du heil von der Bühne kommst.“ Auch für die Stadtviertel brach Priess eine Lanze. „Das Veedel ist ein Glaubensbekenntnis. Dort spielt sich das Leben ab. Aber wir erleben momentan auch die Gentrifizierung. Die veröffentliche Spache benutzt noch ein zweites Fremdwort, um das auszudrücken, was uns am Herzen liegt. ,Prekariat‘. Armut klingt ja nicht so schön.“ Natürlich liege in Köln vieles im Argen. Aber: „Wir leben in dieser Stadt. Wir haben keine andere.“ Der Stadt tue es gut, dass Bands wie Kasalla, Cat Ballou und Querbeat nachrückten. „Da kommen noch mal ganz andere Gedanken auf die Bühnen der Sitzungssäle.“ Zur Kirche hat Priess eine ganz klare Haltung. „Kirche ist nicht das Selbstgespräch von Hochwürden vorne am Altar. Kirche ist da, wo alle mitreden dürfen und Fragen stellen, die auch beantwortet werden. Kirche ist kein Raum für Rechthaberei. Hier muss alles vorurteilslos auf den Tisch.“

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Stefan Rahmann